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Florian Wörgötter

Phonographien. In Wort und Bild.

4. 7. 2016 - 12:44

Vienna Sunsplash: Songs of Freedom

Das Vienna Sunsplash bringt den Reggae zurück in die Arena Wien. Die Headliner: Roots Manuva, Gentleman & Ky-Mani Marley. Stiller Beobachter: Bob Marley.

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Nach 30 Jahren Reggae-Festivals in Wiesen wandert das Sunsplash von der Waldbühne im Erdbeerland in den Schlachthof der Arena Wien. Der Vertrag zwischen Veranstalter Ewald Tatar und den Inhabern des Festgeländes Wiesen war gekündigt worden. Was zu Migrationsbewegungen in der heimischen Festivallandschaft geführt hat. Das Backsteinareal der Arena Wien, wo noch immer die Piratenflagge weht, erweist sich als neuer Schmelzpunkt von Sonnenschein und Systemkritik. Die Programmierung verspricht ebenso eine angenehme Mischung aus Großstadt-Vibe und Insel-Feeling: Alle Jahre wieder gastiert Deutschlands Reggae-Aufhänger Gentleman, diesmal mit Jamaika-Connection mit Bob-Marley-Spross Ky Mani-Marley. Der Brite Roots Manuva verbindet experimentelle Beats mit strengem Rap. Der Italion Lion Alborosi, der gleich lang ist wie seine Dreadlocks, präsentiert im jamaikanischen Rumfass gereiften Roots Reggae. Und Chassidist Matisyahu, die Rapperin Akua Naru und der Wiener Sound Rekall & Bassrunner verjagen am Nachmittag die Wolken überm Schornstein, während in der Grube rotgelbgrün uniformierte Löwenherzen mit ihren Rastaprinzessinnen tanzen.

Let the spirit move you

Queen Mum verdankt Roots Manuva, dass ihr königliches HipHop-Reich Ende der Neunziger zu eigenem Rhythmus und eigener Sprache fand. Seine Pionierarbeit fußt auf perfekt kombiniertem amerikanischen Boom Bap und jamaikanischem Dub. Der britische Rapper und Produzent galt schon immer als mysteriöser Exzentriker, als solcher durchwandert er auch experimentierfreudig und abenteuerlustig sein aktuelles Album „Bleeds“ (2015). Das Publikum in der Arena nimmt er auf diese dunklen Pfade mit - nur will es ihm nicht ganz folgen.

Vielleicht zieht die kalte Synthetik der Beats zu düstere Klangwolken auf, die den positiven Spirit vernebeln, den Alborosi und sein Shengen Clan zuvor aus dem Gras sprießen ließen. Vielleicht weil Roots Manuva etwas desorientiert, offenbar dezent berauscht, auf der Bühne herumtapst, bei weitem nicht so präsent ist wie sein Schlagzeuger. Vielleicht weil er seinem Publikum mehr Aufmerksamkeit hätte schenken müssen, anstatt seinem Sidekick die gesamte Konferenz zu überlassen. Vom Sohn eines Pastoren ließe sich schon einen ordentlicher Call-and-Response-Gospel erwarten. Vermutlich hat sich das Reggae-Publikum aber einfach mehr Roots von seinem Namen erwartet, mehr als nur vereinzelt in Songs wie „Jah Warriors“. Dabei hat er nahezu jedes seiner Alben einer Dub-Remix-Kur unterzogen. Nicht zuletzt das 2010 erschienene Duppy Writer hätte genügend Songs geboten, die besser auf ein Reggaefestival passen als etwa das von Four Tet frisch aus der Zukunft eingeflogene „Facety 2:11“. Trotzdem stark: „Stolen Youth“, „Like a Drum“, „Don´t breath out“, „Let the Spirit“.

Witness the unfitness

Nach einer Stunde Konzert fragt Roots Manuva mit schmerzverzerrtem Gesicht nach der Uhrzeit. Er greift sich an den Rücken, der ihm seit den Luftsprüngen offenbar zu schaffen macht: Zeit für die Auszeit. Als Rausschmeißer wobbelt der Bass des sagenhaften „Witness (1 Hope)“ durch die Arena. Großbritanniens Rap-Hymne Nummer 1 aus dem Jahr 2001 beschleunigte die Entwicklung des Genres Grime maßgeblich. Witness the Fitness? Leider wurde das Publikum heute selten Zeuge von Roots Manuvas Hochform.

Where Shadow, there is light

Wer Licht-Schatten-Metaphern ausspielt wie Lord Yoda, hat meist nur im stereotypen Weltraum-Märchen die Macht. Gerade im Reggae, der ewigen Utopie für eine bessere Welt, läuten schnell die Kitsch-Alarm-Glocken und gut gemeinte Parolen á la Love, Peace and Unity verkommen blitzschnell zu hohlen Phrasen á la Freiheit, Gleichheit, Übelkeit. Auch Gentleman und Ky-Mani und ihr Weltretten-Vokabular sind davor nicht gefeit, wenn sie „We need a change“, „Love over all“ oder den „Uprising of the Freedom-Fighters“ propagieren. Doch zum musikalischen Setting heute Abend passen ihre Forderungen, endlich aus dem Dauerloop menschlichen Fehlverhaltens auszubrechen. Außerdem stehen hier die Roots der Reggae-Kultur im Zentrum - und wir können Werte wie „Solidarity“, „Motivation“ oder „It´s not about you or me, it´s about us“ derzeit mehr als dringend brauchen.

Wir sollten reden

Der Jamaikaner Ky-Mani Marley hat mit Gentleman erstmals auf dessen MTV Unplugged Concert 2014 musiziert. Auf der anschließenden Tour schlossen sie Freundschaft und den Plan, gemeinsam das Album „Conversations“ aufzunehmen. Die simple Botschaft: Beim Reden kommen die Leute z´amm - und abwechslungsreiche Songs wie „Signs of the Times“, „Jah guide over us“, „Mama“, die beide in gemeinsamer Harmonie präsentieren, gebackt von Gentlemans Band, The Evolutions, ein ausgeglichenes Soundbild schaffen.

Gentleman gelingt es heute um einiges besser als Roots Manuva, sein Publikum zu erreichen. Wenn er sagt, tanzt, tanzen alle. Wenn er sagt, hoch die Arme, schwenken alle die Arme von links nach rechts. Zur Zugabe singt er gleich zwei ganze Songs („Dem gone“, „Superior“) direkt aus dem Publikum. Ky-Mani Marley versprüht bei seinen gelegentlichen Einsätzen die charismatische Aura seines Vaters („High like a skyscraper“), am stärksten klarerweise, wenn er dessen Songs covert: Bei „Simmer Down“, „Iron, Lion, Zion“ oder „Is this Love“ liegt Robert Nesta Marley mit breitem Grinsen und einem Joint dick wie der Kamin in der Luft. Den Abschluss des Vienna Sunsplash markiert dann fast schon zu logisch der Song, dessen einziger Fehler darin besteht, ihn unwürdig zu interpretieren: Bob Marleys „Redemption Song“. Das Piano führt ihn ein, die Feuerzeuge flackern, die grellen Smartphone-Displays fressen die letzten Prozente des Akkus. Kollektive Andacht. Chorales Gegröhl. Wahre Weisheit. Ob nun mit oder ohne Marley-Blut in den Adern, schlussendlich zählt die zeitlose Botschaft - und die darf, nein, soll sogar das Unmögliche fordern:

Emancipate yourself from mental slavery,
none but ourselves can free our mind.