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Gerlinde Lang

Innerlichkeiten. Äußerlichkeiten.

2. 7. 2016 - 10:53

Der Teufel trägt Kik

Nicht an allem sind wir KonsumentInnen schuld. Es tut sich was in Sachen neue Gesetze.

"Wenn du nicht willst, dass an deinen Kleidern Blut klebt, dann kauf besser nicht dieses Billigzeug", hat man uns bisher gemahnt. "Stimm ab mit deinem eigenen Taschengeld, und wo du es hinträgst!"
Stimmt gar nicht, sagen jetzt Personen wie Menschenrechts- und Umweltanwalt Dr. Remo Klinger aus Berlin und Diplomjuristin Marieta Kaufmann vom NESOVE - Netzwerk soziale Verantwortung aus Wien.

Zwischen 2005 und 2013 konnten über 50% der börsennotierten Unternehmen aus GB/F/D mit solchen Menschenrechtsverletzungen in Verbindung gebracht werden.
(Quelle: NESOVE)

Marieta Kaufmann: "Der Ansatz ´Es sind doch die KonsumentInnen, die entscheiden, wie produziert wird´, geht aus unserer Sicht an der Sache vorbei. Was und wie produziert wird, entscheiden schon die Unternehmen, die die Mittel in der Hand haben. Die KonsumentInnen haben zwar in gewissen Bereichen eine gewisse - man kann nicht sagen Marktmacht -, aber sie können natürlich eine Kaufentscheidung treffen. Wir sehen jedoch, dass die meisten Kaufentscheidungen eher von der Größe des Portemonnaies abhängen als von der Überzeugung von bestimmten Produktionsbedingungen. Wir sind der Meinung, wenn Unternehmen keinen Regulierungsrahmen haben, dann konkurrieren sie auch über Menschenrechtsverletzungen um Wettbewerbsvorteile. Wenn Unternehmen z.B. Gewerkschaften verbieten, Betriebsratskörperschaften nicht zulassen, Sicherheitsvorkehrungen nicht einhalten, dann vergünstigt das die Produktion und verbessert die Position gegenüber KonkurrentInnen auf dem Markt. Wir fordern einen klaren Rechtsrahmen, sodass sichergestellt wird, dass die Menschenrechte, die in Europa gelten, auch für europäische Unternehmen gelten, die in der Welt agieren. Es kann nicht angehen, dass Standards, die Unternehmen hier einhalten, plötzlich in Bangladesch oder Pakistan nichts mehr zählen."

Cover der Broschüre "Menschenrechte ohne Grenzen"

NESOVE

Die Bröschure gibt es hier als pdf zum Download.

Unternehmensverantwortung müsse verbindlich reguliert werden, findet man beim NESOVE. Das NESOVE gründete sich vor zehn Jahren, um soziale und ökologische Kriterien beim Geschäftsgebaren von österreichischen Unternehmen einzufordern.
NESOVE ist eine Zusammenarbeit von österreichischen Gewerkschaften und Nicht-Regierungs-Organisationen und hat soeben das Handbuch "Menschenrechte ohne Grenzen" veröffentlicht, das sich speziell an Nicht-Juristinnen wendet.

Die Hauptzielgruppe der NESOVE Lobbyarbeit sind aber politische EntscheidungsträgerInnen (wie im Nationalrat), aber auch BeamtInnen, die Gesetze umsetzen (Sozialministerium, Lebens-, Wirtschafts-, Justizministerium). Österreich reagiert mit gletscherartiger Geschwindigkeit.

Menschenrechtsverletzungen: Typische Fallgruppen

Landnahmen zur Rohstoffgewinnung
Gesundheitsschädigungen durch Rohstoff- oder Agrarindustrie
Kriminalisierung und Verfolgung sozialer Proteste
Verantwortung entlang der globalen Zulieferkette
Investitionen in Kriegs- und Krisengebieten

(Quelle: Dipl. Jur. Marieta Kaufmann)

Marieta Kaufmann: "Im Jahr 2011 wurden die UN-Leitsätze für Wirtschaft und Menschenrechte verabschiedet, worin steht, dass die Nationalstaaten sicherstellen sollen, dass menschenrechtliche Sorgfaltsprüfungspflichten von Unternehmen eingeführt werden, und auch, dass eine Verantwortung für Tochter- und Zulieferunternehmen besteht. Österreich aber hat bis dato noch nicht einmal einen Aktionsplan zur Implementierung dieser Leitsätze verabschiedet, wie es einige andere europäische Staaten schon gemacht haben - immer auch mit dem Verweis darauf, dass doch erst mal die EU was machen soll, dass von anderen Ländern etwas kommen soll, bevor man selbst etwas unternimmt."

In Deutschland ist man tatsächlich weiter, weiß Umwelt- und Menschenrechtsanwalt Remo Klinger aus Berlin:

Remo Klinger: "Es gibt in der Politik ein starkes Bestreben, etwas zu ändern. Wir haben in Deutschland ein großes Bemühen, einen sogenannten Aktionsplan für Wirtschafts- und Menschenrechte zu verabschieden, wo Deutschland tatsächlich von staatlicher Seite her Maßnahmen vorschreibt, die man als Unternehmen ergreifen muss, um nicht von derartigen Menschenrechtsverletzungen zu profitieren. Innerhalb dieser Planaufstellung wurden alle Stakeholder, also sowohl Nicht-Regierungs-Organisationen (NGOs) als auch die Industrie zusammen mit der Politik an einen Tisch gebracht, um darüber zu diskutieren, wie man das am besten umsetzt. Das lief über anderthalb Jahre, mit sehr regelmäßigen und produktiven Treffen. Der Plan soll in den nächsten Wochen veröffentlicht werden."

Marieta Kaufmann: "Im Jahr 2014 hat die EU eine Richtlinie erlassen, in der allen Mitgliedsstaaten vorgeschrieben wird, innerhalb einer gewissen Frist national umzusetzen, dass nicht nur über finanzielle Belange berichtet wird (was ja derzeit schon der Fall ist), sondern auch über nicht-finanzielle Belange: ökologische, soziale Belange. Die Richtlinie ist etwas umstritten, es ist aber derzeit in Österreich die Umsetzung im Gange, wo man sich anschaut, wie kann sichergestellt werden, dass in Nachhaltigkeitsberichten ökologische und soziale Belange nicht nur vorkommen, sondern dass auch in der Weise darüber berichtet wird, dass für die Öffentlichkeit nachvollziehbar ist, was das Unternehmen im sozialen und ökologischen Bereich tut, welche Probleme auftauchen und welche Maßnahmen gesetzt werden."

Blick in einen Discount Kleidungs Store von Kik

CC BY 2.0 von Mirko Tobias Schäfer flickr.com/gastev/

Menschenrechte sollen in Zukunft nicht nur gegenüber Staaten gelten, sondern auch Unternehmen gegenüber. Remo Klingers KlientInnen aus Pakistan verklagen das deutsche Textilunternehmen Kik, in dessen Zulieferbetrieb "Ali Enterprise" 280 Menschen bei einem Brand sterben mussten.

Die Liste ist lang in Südasien:

Rana Plaza (2013)
Tazreen Fashions (2012)
Ali Enterprise (2012)
Ha’meem Group (2010)
Garib & Garib Sweater Factory (2010)
KTS Textile Industries (2006)
Shan Knitting (2005)
Mico Sweater (2001)
Chowdhury Knitwear Garments Factory (2000)
Globe Knitting (2000)
Shanghai Apparels (1997)
Jahanara Fashion (1997)
Lusaka Garments (1996)
Saraka Garments (1990)

(Quelle: Remo Klinger)

Remo Klinger: "Dieser KiK-Fall ist ein Präzedenzfall für das ganze deutsche Recht. Wir haben stellvertretend für vier Pakistanis Klage erhoben, die Opfer dieses Unglücks [Brand in der Fabrik von Ali Enterprise in Karachi, Pakistan] geworden sind. Drei davon sind Eltern, die ihre 17-, 18- und 21jährigen Söhne bei dem Unglück verloren haben. Letztendlich geht es um die Kardinalfrage: KiK behauptet, dort nur Kunde gewesen zu sein, und deshalb nicht für das zu haften, was in der Fabrik passiert. Wir sagen, stimmt nicht, sie waren nicht nur Kunde, sie waren der Boss des Unternehmens. Sie haben bestimmt, wie viel und was geliefert wird. Sie haben bestimmt, dass es diese Fabrik überhaupt gab. Sie ist groß geworden mit KIK und hat nahezu 100% für KIK produziert. Das war ein klassischer Scheinselbständiger, und deshalb soll KIK für diese fatalen nicht gegebenen Feuerschutzvorkehrungen dort haften. Die Fenster waren vergittert, die Leute darin sind einfach erbärmlich verreckt während des Feuers in der Fabrik, und dafür muss KIK einstehen."

Ob Kleider, Holz oder Turbinen für Staudämme - europäische Unternehmen benehmen sich im globalen Süden wie die Axt im Walde. Sie nutzen schwache Gewerkschaften und niedrige Löhne im Ausland zu ihrem Wettbewerbsvorteil.

Hier findet ihr den Bericht "Menschenrechte ohne Grenzen" des Netzwerks Soziale Verantwortung.

Marieta Kaufmann: "Es geht auch darum, den Wettbewerbsnachteil für vorbildlich agierende Unternehmen abzubauen, indem man die schwarzen Schafe sanktioniert, um sicherzustellen, dass menschenrechtskonformes Verhalten auch wirklich für alle Unternehmen verbindlich durchgeführt wird."

Remo Klinger: "Wer das ausnutzt, der muss aber auch wissen, dass irgendwann die Globalisierung wieder nach Hause kommt. Irgendwann werden die Leute sich organisieren und ihre Rechte einfordern. Sie werden durch NGOs aus Österreich und Deutschland unterstützt, und auch die VerbraucherInnen kriegen mit, dass derartige Produktionsbedingungen einfach nur ausgenutzt werden … und irgendwann wird das zurückschlagen."