Erstellt am: 1. 7. 2016 - 16:34 Uhr
Roskilde 2016: Schon wieder nur Superlative
Wenn Ende Juni das Festival mit seinen "Warm Up"-Tagen beginnt, wächst das überschaubare Städtchen Roskilde mit seinen 50.000 Einwohner_innen auf seine dreifache Größe an.
ondrusova
Wer bei Festivals im 6-stelligen Bereich ins Schwitzen kommt, weil einem die Dimensionen von Menschen, Bühnenentfernungen und Hygiene-Zuständen Sorgen machen und lieber die Fraktion "klein aber fein" bevorzugt, der oder die war wohl noch nicht auf diesem Vorzeige-Festival. Man kann sich vieles vorstellen, aber am besten man macht sich auch immer ein eigenes Bild.
Mit seinen 45 Jahren hat das Festival die wohl spannendste Entwicklung in der Festivallandschaft erlebt. Aus Erfolgen und auch Tragödien gelernt. Es sagt sich so leicht, dass sich hier viele andere Festivals gut und gerne einiges abschauen könnten, aber so eine organisch gewachsene Struktur kann nur mit der jahrelangen Erfahrung zum Erfolg führen.
Ondrusova
Das Wichtigste, was man wissen muss, ist, dass Roskilde von Freiwilligen organisiert und durchgeführt wird. Von Studenten, die sich mit ihrem Einsatz einen Festivalpass "erarbeiten" und zum Beispiel Bänder-Kontrollen durchführen oder einer Kinderärztin, die seit Jahren im Booking-Team mitarbeitet und für die Auswahl der Bands zuständig ist.
Der Roskilde-Spirit wird auch im Bühnen-Bereich gelebt. Wenn die Ordner gratis Trinkwasser an die ersten Reihen weiterreichen oder sich mit einem Daumen-Hoch "bedanken", wenn ein Gast so etwas "Verbotenes" macht, wie jemanden auf die Schultern zu heben. Festival als ein Ort, an dem man aus dem Alltag flüchten kann oder sich ein Stück inspirieren lassen kann.
Warum die Athmosphäre so friedlich und positiv ist, hat wohl damit zu tun, dass die Besucher_innen und Macher_innen im Grunde eins sind, weil sie alle ein gemeinsames Ziel haben: eine schöne Zeit erleben und sich gegenseitig respektieren. Ob vor oder hinter den Kulissen. Profit-Gedanken gibt es auch nicht, schließlich werden alle Erlöse des Festivals karitativen Organisationen gespendet.
Roskilde/Kim Matthäi Leland
Mehr als Musik
Die einzelnen Areale des Camping Geländes sind durchstrukturiert. Honig und Urin. Also Green Camping oder die "War Zone". Hier, so erzählt ein Roskilde-Volunteer, sind die Teenager-Festivalfans zu Hause. 24 Stunden Parties, Soundsysteme, Trichterspiele, Sprayer, die ihre Zelte markieren. Selbst hier wird allerdings mitgezählt wie viele Bands man sich schon angeschaut hat und noch anschauen möchte. In der "Dream City" dem Camping-Stadt-Zentrum gibt es Aktivitäten wie zum Beispiel den "Naked Run". Der oder die schnellste gewinnt Festivaltickets fürs nächste Jahr. Von einer Glowstick-Party mit Dresscode in Weiß wird mir auch erzählt. Es gibt Kochkurse oder DIY-Reparatur-Workshops.
"We want to present Roskilde as a life changing musical experience", erzählt mir Marianne Ifversen im Gespräch. Die Kinderärztin und Festival-Bookerin meint, dass es am Roskilde nicht nur um das Kennenlernen, Genießen und Verstehen von alternativer Musik sondern auch alternativer Lebensstile geht. Da wären wir also beim Thema der Nachhaltigkeit. Im Food-Court, einem Essens-Areal, bei dem sich alle zwei Jahre Restaurants oder auch Hobby-Köche mit einem eigenen Konzept anmelden können, ist eine der Bedingungen für die Standbetreiber: 75% der Zutaten müssen ökologischen Richtlinien entsprechen. Nächstes Jahr will man diese Quote auf 90% erhöhen.
Roskilde/Arthur Cammelbeeck
2015 hat das Festival damit geendet, dass ein Stagemanager namens Dave den Blur-Frontman Damon Albarn von der Bühne getragen hat. Albarn ist mit seinem Africa Express aufgetreten und wollte einfach nicht aufhören. So war es nur sinnvoll, dass Damon Albarn heuer die Hauptbühne, die Orange Stage, eröffnet hat. Mit einem ähnlichen kollaborativen Projekt, wie es der Africa Express ist: The Orchestra of Syrian Musicians & Guests. "Syria is a land of light and music. And tonight you are going to see that", heißt es gleich zu Beginn. Die Gäste kommen aus Tunesien, Lybien, Eritrea, Senegal, Mali, Algerien, Damaskus, Syrien. Ob syrische Volkslieder, ein Blackbird-Cover, das Albarn mit Julia Holter performt, oder Hip Hop-Tracks.
Im Publikum treffe ich eine Freiwillige, die sich mit ihrem Schulfreund Mustafa das Konzert angeschaut hat. Beide sichtlich gerührt. Sie, weil sie die Heimatmusik ihres guten Freundes hören kann und sich übersetzen lässt, was da besungen wird ("Peace and freedom!") und er, weil er für einen Abend seiner Heimat näher ist. Als ich ihn frage worauf er sich noch am Wochenende freut, meint er "This war taught me just to think about this moment so I cannot think about tomorrow."
Roskilde/Peter Troest
Nachdenklich schleppe ich mich also danach von Bühne zu Bühne und denke an früher, als ich At The Drive-In zum Frühstück gehört hab. Bei ihrem Konzert bin ich allerdings so unglaublich gelangweilt von ihren Kettensägen-Gitarren-Soli, dass ich mich auf die Empfehlungen der anderen Besucher_innen einlasse. So lerne ich Khun Narin´s Electric Phin Band aus Thailand kennen, Pat Thomas & Kwashibu Area Band aus Ghana und lasse den Abend bei einer chilenischen Krautrock-Rave-Band namens Föllakzoid ausklingen. Der gestrige Festival-Tag war Pop gewidmet.
Roskilde/Betina Garcia
Roskilde/Steffen Joergensen
Dass ich just in dem Moment an der Orange Stage vorbeilaufe, als Macklemore mit einer Post-Orlando-Rede seinen Song "Same Love" einläutet, ist ein schöner Zufall! Die Kiss-Cam sucht sich zwei Frauen mit dem schönsten Lachen aus, um die Botschaft des Songs auf die Leinwand zu projizieren. Damit auch alle der 60.000 Besucher_innen vor der Hauptbühne wissen was Sache ist. Neben Konzerten von Santigold und Grimes, kam es dann auch tatsächlich zu einem Wiedersehen mit den Chvrches. Seitdem ich sie das erste Mal vor 3 Jahren am Eurosonic Festival gesehen habe, hat die Band einen unglaublichen Popularität-Aufschub erlebt. Und sie sind mit ihren Bühnen gewachsen. Energetische Liveshow, gutes minimalistisches Lichtkonzept und Fans, die der Band dankbar zujubeln. Schließlich haben die Chvrches in den letzten Jahren um Dänemark einen ähnlich großen Bogen gemacht wie um Österreich. Aber alles vergessen. Lassen. Hauptsache tanzen. So muss Festival!
Roskilde/Steffen Joergensen