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Erich Möchel

Netzpolitik, Datenschutz - und Spaß am Gerät.

30. 6. 2016 - 19:00

Live-Nachrichten vom Syrienkrieg - aus der Ukraine

Ein ukrainisches Start-Up bringt die einzigen aktuellen und verlässlichen Nachrichten über den Verlauf des Bürgerkriegs in Syrien, der mit ungebrochener Brutalität weitergeht.

Seit der Sperre der Balkanroute ist der Bürgerkrieg in Syrien nicht nur hierzulande aus den Breitenmedien verschwunden. Die Kämpfe dort gehen jedoch mit unvermittelter Brutalität weiter, wie aus aktuellen Informationen vor Ort hervorgeht. Die derzeit einzige, aktuelle und verlässliche Quelle ist eine Website, die keinesweg aus Syrien stammt, sondern von einem kleinen Start-Up-Unternehmen aus Dnipr (ehemals Dnjepropetrowsk) in der Ukraine betrieben wird.

Rodion Rozhkovsky, der seinen Titel "CEO" bezeichnenderweise selbst unter Anführungszeichen setzt, ist einer der beiden Geschäftsführer des ukrainischen Start-Ups Liveuamap.com. Die Betreiber sind auch keineswegs Politikwissenschaftler, sondern Programmierer, die Dienstleistungen wie etwa Visualisierungen im WWW für Firmenwebsites anbieten. "Wir haben als outgesourcte Firma für IT-Entwicklungen einen völlig technischen Background" schrieb Rozhkovsky an ORF.at, der die Firma zusammen mit seinem Partner Alexander Bil'chenko betreibt.

liveuamap.com

Die Genesis von Liveuamap.com

Neben den externen Dienstleistungen habe die Firma "bei Gelegenheit eigene Projekte hochgezogen." Als dann 2013 schwere Unruhen in der Ukraine losbrachen, waren in den internationalen Medien massive geografische Fehler aufgetaucht. Der wohl krasseste sei eine Karte von Pakistan in einem Medienbericht zur Ukraine gewesen, da auch dort ein Ort mit Namen "Kyiv" existiert. Im Februar 2014 seien die Zusammenstöße dann weit über die ukrainische Hauptstadt hinausgegangen, so Rozhkovsky weiter, "Liveuamap startete dann am 18 Februar 2014 im WWW."

Die Website Liveuamaps.com zum Krieg in Syrien sowie die die Website des gleichnamigen Start-Ups aus Dnipr, Ukraine

Als der damalige ukrainische Präsident Janukowitsch vier Tage später von der Bildfläche verschwunden sei, war die Visualisierung bereits umgesetzt. Direkt danach habe die Annexion der Ukraine begonnen, zwei Monate gingen die ersten Visualiserungen der Kämpfe in der Ostukraine live ins WWW. Anfang April 2014 seien bereits erste Anfragen aus aller Welt eingetroffen, alle des gleichen Inhalts: Ob es denn möglich sei, solche Visualisierungen von Konflikten auch für andere Weltregionen anzubieten?

April 2014, Mapping des Syrienkonflikts beginnt

Als die Zugriffszahlen auf Liveuamap.com nach dem Waffenstillstand im umkämpften Osten der Ukraine sanken, habe man sieben Monate nach dem Start weitere Weltregionen in Angriff genommen. Die für die Darstellung des syrischen Bürgerkriegs notwendige Auswertung von Daten aus der arabischen Welt werde mit einer Kombination aus diversen Online-Übersetzerdiensten wie etwa "Google Translate", freiwilligen Helfern samt etwas "Common Sense" umgesetzt, so der ukrainische

liveuamap.com

Rot markiert sind jene Gebiete, die von der Armee (Syrian Arab Army SAA) des syrischen Machthabers Baschar al-Assad konrolliert werden, gelb das von den Kurden (YPG/YPJ) kontrollierte Terrain. Grün ist der Machtbereich der sogenannten "gemäßigten Rebellen", die von den USA und den Briten unterstützt werden, schwarz das vom Islamischen Staat (IS) gehaltene Terrain

Vom Propagadamagazin "Dabiq" des IS ist nur noch eine Ausgabe erschienen. Um die gleichnamige syrische Stadt fand auch kein entscheidende Schlacht, sondern überhaupt keine Kampfhandlung statt.

In Folge trafen immer mehr Rückmeldungen aus der arabischen Welt ein, die Zugriffe aus dem Nahen Osten auf Liveuamap.com stiegen zugleich rasant. "Die Firma gehört nur zwei Personen, nämlich meinem Partner Alexander Bil'chenko und mir", so Rodion Rozhkovsky weiter in seiner Antwortmail, weder ein Inkubator für Start-Ups noch sonstige Financiers seien daran beteiligt. Nach kommerziellen Geldgeber suche man zwar, allerdings extrem vorsichtig, um die Unabhängigkeit der Services von Liveuamaps.com nicht zu gefährden.

Dieselben Probleme wie CNN

Das hier geschilderte Problem, nämlich Weltnachrichten in privaten Nachrichtenkanälen zu finanzieren, ist seit dem Aufstieg des Nachrichtenkanals CNN in den späten 80er Jahren des vergangenen Jahrtausends bekannt. CNN und später auch Sky News sowie die deutschsprachigen News-Kanäle NTV und N24 hatten schon damals dasselbe Problem. Da Weltnachrichten in erster Linie Nachrichten über Konflikte bis hin zu Kriegshandlungen zeigen, ist die übliche Finanzierungsart privater TV-Stationen - nämlich Produktwerbung - nicht möglich. In Folge setzten NTV und der danach gestartete News-Channel N24 vermehrt auf Dokumentationen.

liveuamap.com

Die heftigsten Kämpfe spielen sich momentan nördlich von Aleppo ab. Die Armee Basher al Assads (rot) versucht dort, eine doppelte Zangenbewegung auszuführen

Russland musste eingreifen, weil die USA in Syrien völlig plan- und erfolglos agieren - Das ist die zentrale Aussage der Berichte des russischen Staatsfernsehens RT.

Firmen wie Schaltagenturen werben nicht in einem Umfeld, das in erster Linie aus Berichten über Kriege, Flugzeugabstürze, Pogrome, Naturkatastrophen und ähnlichem besteht. Werbeblocks passen gerade einmal zu Berichten über Staatsbesuche, Gipfeltreffen oder Ereignisse an den internationalen Börsen. Die Lösung dieses grundlegenden Problems bestand - wie auch aus den Programmierungen von CNN & Co klar hervorgeht - in einer Mischfinanzierung durch internationale Airlines und Distributoren, die solche Weltnachrichten wieder als Teil ihrer eigenen Dienstleistungen nützen.

Warum Saddam CNN berichten ließ

Gemeint sind globale Hotelketten wie Sheraton, Hilton aber auch andere, nämlich regionale Hotelbetriebe, wie etwa das Al-Rashid in Bagdad, von dessen Dach der legendäre CNN-Reporter Peter Arnett im ersten Golfkrieg live über die Bombardements durch die Luftwaffe der USA berichtet hatte. Der damalige Machthaber des Irak, Saddam Hussein, hatte Arnett aus eigenen, propagandistischen Motiven wochenlang ungestört drehen und berichten lassen. In Folge wurden sogar die Selbstinszenierungen des Saddam-Regimes für den Staatssender Iraqi TV unweit der Außenstelle von CNN im Al-Rhashid abgehalten.

Saddam Hussein

Iraqi TV 2003

Saddam Hussein ließ sich gern in feinem Tuch mit Havanna filmen

Ein immer wiederkehrendes Motiv dieser theatralischen Inszenierungen waren dabei Straßenbarrikaden mit bewaffneten Zivilisten aller Altersklassen, die ihre Kalaschnikows in die Luft hielten, untermalt wurde das Ganze durch Schlachtgesänge. Saddam hatte CNN nämlich nur aus einem einzigen Grund frei berichten lassen: um auf diesem Weg auch nach Abbruch des Informationsaustauschs zwischen den USA und dem Irak seinem Kriegsgegner, der Administration des damaligen US-Präsidenten George Bush, indirekt zu kommunizieren.Die Botschaft von den Barrikaden hätte nicht deutlicher ausfallen können: Sobald es zu einer Invasion durch US-Landstreitkräfte kommt, wird es quer durch den Irak bewaffneten Widerstand in Form eines Partisanenkriegs geben.

Eine der ersten Kriegshandlungen im Zweiten Golfkrieg, den George W. Bush 2003 startete, war ein Bombardement von Iraqi TV

Möglicherweise war das einer der Gründe dafür, dass die US-Armee damals wieder abzog, ohne den brutalen Diktator Saddam Hussein zu stürzen, der davor sogar Giftgas gegen Kurden Im Norden des Irak eingesetzt hatte. Allein beim Angriff auf die vorwiegend von Kurden bewohnte Stadt Halabdscha im März 1988 waren bis zu 5000 Menschen ums Leben gekommen. Diesen Massenmord hatte Ali Hasan al-Madschid at-Tikriti durchgeführt, ein Cousin Ѕaddams aus Tikrit, der daraufhin in den westlichen Medien "Chemical-Ali" tituliert wurde. Der Massenmörder "Chemical Ali" blieb wie sein Cousin Saddam, der Giftgasangriffe auf Zivilisten in Auftrag gegeben hatte, mehr als ein Jahrezehnt lang völlig unbehelligt. Er wurde erst im August 2003 von Truppen der US Army festgenommen. Ein irakisches Sondergericht verurteilte ihn erst im Juni 2007 wegen Völkermordes viermal zum Tode durch den Strang und ließ ihn hinrichten.

"Brutaler Job, finsterer Hintergrund"

"Täglich nur über Kriege und Tote zu berichten" sei ein brutaler Job, so Rozhkovsky abschließend, vor allem, wenn weit und breit niemand zu sehen sei der eingreife, um das Morden zu stoppen. Auch wenn sich eine dauerhafte Finanzierung von Liveuamap.com nach mehr als zwei Jahren nirgendwo abzeichne, werde das Projekt "trotz seines finsteren Hintergrunds" weitergeführt. Das nächste Ziel von Liveuamap.com sei es, "entstehende Konflikte durch Analyse von Big Data möglichst früh zu erkennen und zukünftige Konflikte womöglich durch frühe öffentliche Aufmerksamkeit quasi 'in nuce' zu stoppen", so Rodion Rozhkovsky abschließend.