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29. 6. 2016 - 11:35

Treffpunkt Museum

Flüchtlinge geben anderen Flüchtlingen in ihrer Muttersprache Führungen in Berliner Museen. Das Multaka-Projekt, übersetzt "Treffpunkt", stößt europaweit zur Zeit auf großes Interesse.

von Philipp Landauer

"Von nichts kommt nichts", meint der Direktor des Museums für Islamische Kunst und Initiator des Multaka-Projekts, Stefan Weber. Viele Jahre hat er in Damaskus gelebt und weiß deshalb aus eigener Erfahrung, dass Integration in Sachen Kultur nur funktioniert, wenn man die eigene Kultur kennt und auch weiß, wie sich eine neue, andere Kultur definiert. "Die Menschen kommen aus Syrien, Irak usw. und fühlen sich in ihrer eigenen Identität unsicher. Hier in Deutschland müssen sie dann erst einmal warten und dürfen nicht arbeiten. Wie sollen sich diese Menschen integrieren? Wie sollen sie den Mut fassen, sich zu integrieren?", führt Stefan Weber weiter aus.

Pergamon Museum

Philipp Landauer

Das Projekt Multaka in Berlin ist eine Kooperation zwischen dem Museum für Islamische Kunst, dem Vorderasiatischen Museum, der Skulpturensammlung und Museum für Byzantinische Kunst und dem Deutschen Historischen Museum. Bereits im Oktober vergangenen Jahres fing man an, 19 Flüchtlinge aus dem Irak und Syrien als Museums-Guides zu schulen. Der Fokus dabei lag auf den historisch kulturellen Zusammenhängen zwischen Syrien, Irak und Deutschland. Jedoch nicht, um den Besuchern Fakten zu den Ausstellungsobjekten um die Ohren zu hauen, sondern um Fragen aufzuwerfen. Es soll einen Dialog zwischen den Flüchtlings-Guides und den Flüchtlingen fördern.

"Wie kann das aus Syrien sein? Das kann doch keinem Muslim gehört haben!" fragt einer der Besucher Zoya Massud, eine der Flüchtlings-Guides im Museum für Islamische Kunst. Die Gruppe steht vor einem zwei Meter hohen, aus Holz geschnitzten Eingangsbogen aus dem 17 Jahrhundert. Darauf sind kleine Kreuze und auch Abbildungen von Menschen zu sehen – sehr untypisch für die islamische Kunst und Kultur. Zoya antwortet: "Gut erkannt! Und stimmt, das gehörte einem Christen. Man weiß sogar, dass es einem Kaufmann aus Europa gehört hat. Er ließ es von muslimischen Handwerkern anfertigen". Die Handwerkskunst der Perser war damals bis weit ins Abendland bekannt. Doch alles, was mit Kunst und Kultur zu tun hat, wird in der Schule in Syrien oder dem Irak nicht gelehrt. "In der Schule lernen wir nur über die Herrschaftsgeschichte. Manche wissen teilweise gar nicht, was für eine großartige Zivilisation in ihrem Heimatland früher existierte", meint Zoya.

Pergamon-Museum

Philipp Landauer

Zoya Massud

Für Stefan Weber erfüllt das genau den Sinn der Sache: "Die Geflüchteten sollen sehen, dass sich die islamische und die abendländische Kultur immer schon gegenseitig befruchtet haben". Für ihn ist es aber genauso wichtig zu erklären, wie diese Kunstwerke nach Deutschland kamen, denn niemand soll denken, dass es sich dabei um Kunstraub handelt. "Jedes dieser Stücke hat seine eigene, legale Geschichte, wie es nach Deutschland kam".

Doch die Flüchtlinge sollen nicht nur durch die eigene Kultur- und Kunstgeschichte führen und geführt werden. So sollen die Führungen im Deutschen Historischen Museum, im Gegensatz zum Museum für Islamische Kunst, eine Reflexionsebene anbieten: Eine Annäherung an die deutsche Kultur und Geschichte, mit samt ihren Krisen und Erneuerungen ermöglichen. Vor allem die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg – der Wiederaufbau - steht hier im Zentrum der Führungen. Ein Hoffnungsschimmer, dass mit den Zerstörungen im Irak und Syrien die Geschichte nicht endet.

Pergamon Museum

Philipp Landauer

Das Projekt Multaka ist bereits allemal erfolgreich. Die deutsche Kulturstaatsministerin zeichnete das Projekt mit einem Sonderpreis für vorbildhafte Flüchtlingsarbeit aus. Europaweit war das Interesse sehr groß – viele Museen rufen bei Stefan Weber an, um zu wissen, wie die Schulung und vor allem die Bezahlung der Guides rechtlich genau funktioniert. Für Flüchtlinge gilt die Faustregel: Solange man in einer Aufnahmeeinrichtung, also einem Flüchtlingsheim, untergebracht ist, darf sie oder er unter keinen Umständen arbeiten und dafür bezahlt werden. Doch wie die Bezahlung für die Flüchtlings-Guides funktioniert bleibt das Geheimnis des Direktors, Stefan Weber. Nur so viel will er verraten: "Hier passiert nichts illegales. Wir nutzen eine Grauzone im Gesetz aus. Die Guides sind Mitglieder des Pergamon-Museums und erhalten den gleichen Lohn wie ein Deutscher-Guide".