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Christiane Rösinger Berlin

Ist Musikerin (Lassie Singers, Britta) und Autorin. Sie schreibt aus dem Leben der Lo-Fi Boheme.

28. 6. 2016 - 12:25

#TeamGinaLisa

In Deutschland ist die Rechtslage bei Vergewaltigungen eindeutig – zugunsten der Täter. Ein klar artikuliertes „Nein“ reicht nicht, um erzwungenen Geschlechtsverkehr als Straftat zu klassifizieren.

Im Berliner Amtsgericht Tiergarten verhandelt man weiter im Fall Gina-Lisa Lohfink. Auch am zweiten Prozesstag geht es um einen Strafbefehl, gegen den das Model Gina- Lisa Lohfink Berufung eingelegt hatte. Sie soll 24.000 Euro wegen einer Falschbeschuldigung zahlen.

Wer die mediale Schlammschlacht der letzten Wochen verpasst hat, hier eine kurze Zusammenfassung: Am 1. Juni 2012 kam es zu sexuellen Handlungen zwischen Gina-Lisa L. und zwei Männern, die sich in einer Berliner Discothek kennengelernt hatten. Am nächsten Tag boten die Männer ihre Handyaufnahmen mit der Beschreibung „Vergewaltigungsvideo von Gina-Lisa!! Nagelneu“ verschiedenen Redaktionen zum Kauf an.

Über das was auf diesen Videos zu sehen ist, diskutierte und spekulierte man in den letzten Wochen in fast jedem Print- und Online-Medium von Promi Flash, Gala, Bild bis hin zu Welt, taz und Faz.

Gina-Lisa Lohfink

APA/dpa/Jörg Carstensen

Gina-Lisa Lohfink am 27.06.2016 im Amtsgericht Tiergarten in Berlin

Es kursieren Ausschnitte des Videos, in denen Lohfink mehrmals „Hör auf“ und „Nein“ sagt. Lohfink erstattete Anzeige - zuerst, weil das Video inzwischen über Pornhub online gestellt wurde und danach auch wegen möglicher Vergewaltigung, da sie sich nur bruchstückhaft an die Nacht erinnern konnte. Die Staatsanwältin konnte bei der ersten Verhandlung im Video allerdings keine Vergewaltigung erkennen – mit der Begründung, dass sich das „Hör auf“ ja „nur“ auf bestimmte sexuelle Handlungen oder auf das Filmen und nicht auf den Geschlechtsverkehr per se bezogen haben könne.

Gina Lisa äußerte die Vermutung, man habe ihr K.O.-Tropfen ins Getränk getan, sie habe einen Filmriss. K.O.-Tropfen lassen sich im Körper aber nur kurze Zeit nachweisen, und ein Gutachter konnte im Video keine Anzeichen auf Betäubungsmittel erkennen. Deshalb wurden die Männer vom Vorwurf der Vergewaltigung freigesprochen und wegen des unerlaubten Verkaufs der Videos verurteilt, Gina-Lisa selbst wurde jedoch von den beiden wegen falscher Beschuldigungen geklagt. Soweit die Fakten - der Rest ist nicht Schweigen, sondern Mutmaßungen, Verdächtigungen Vorverurteilungen.

Ist es eine Vergewaltigung, wenn eine Frau beim Sex „Nein“ und „Hör auf“ sagt und der Mann trotzdem weiter macht? Nach deutschem Recht derzeit nicht. Nach deutschem Recht muss sich ein Opfer tätlich wehren. „Nein“-Sagen reicht nicht aus. Die einzige Ausnahme ist, wenn „das Opfer der Einwirkung des Täters schutzlos ausgeliefert ist“, etwa nicht fliehen kann.

Leute die das Video gesehen haben, sagen, das Model würde „merkwürdig abwesend“ darin wirken. Der Verdacht, dass sie unter dem Einfluss irgendwelcher Substanzen gestanden hat, ist also nicht vollkommen aus der Luft gegriffen und diesen Verdacht äußerte Lohfink. Ursprünglich hatte auch nicht sie die Polizei eingeschaltet sondern die Redaktionen, denen das „Vergewaltigungsvideo“ angeboten worden war, und die es nicht gekauft hatten.

Der Skandal im Fall Gina-Lisa besteht aber nicht nur aus der Täter- Opfer Umkehr, sondern auch aus der hämischen Berichterstattung der deutschen Medien. Eine Frau, die eher aus Trash-Formaten bekannt ist, Affären hat, Nackt-Shootings mit vergrößerten Brüsten macht, sich gerne freizügig kleidet und dann auch noch Alkohol trinkt, hat wohl kein Recht auf sexuelle Selbstbestimmung.

„Die Welt“ zweifelte offen an ihrer Glaubwürdigkeit sprach von der „windigen Geschichte von einem Sex-Video“, und wies darauf hin, dass das Ganze ein Publicity Stunt sein könnte („Lohfink, der Name steht für Skandale, die meisten selbst inszeniert“). Statt sie mit ihrem Namen oder ihrem Beruf zu bezeichnen wird sie grundsätzlich „Busensternchen“, „Doppel -D – Darstellerin“, oder „wasserstoffblonde Hessin“ genannt.

Sie sieht demnach einfach nicht wie ein ernstzunehmendes Opfer aus; als hätten Frauen mit Alkoholpegel und tiefem Ausschnitt kein Recht auf sexuelle Selbstbestimmung. Dabei ist in der BRD seit 1974 die sexuelle Vergangenheit einer Frau, die eine Vergewaltigung anzeigt, nicht mehr Gegenstand der gerichtlichen Verhandlung.

Wenn bei Vergewaltigungsprozessen Aussage gegen Aussage steht, kann man als Außenstehende nicht wissen was passiert ist, und kann es auch nicht beurteilen. Das ist eines der strukturellen Probleme von Vergewaltigungsprozessen. Das führt zu Vorverurteilungen – von vermeintlichen Opfern ebenso wie von vermeintlichen Tätern. Und es gibt ja tatsächlich Falschbeschuldigungen. Menschen, die fälschlicherweise einer Vergewaltigung beschuldigt werden, können extrem traumatisiert werden. Der Umkehrschluss darf aber nicht sein, dass man deshalb grundsätzlich an der Glaubwürdigkeit des Opfers zweifelt.

In der BRD ist die Rechtslage bei Vergewaltigungen eindeutig – zuungunsten der Opfer. Ein klar artikuliertes „Nein“ reicht nicht, um erzwungenen Geschlechtsverkehr als Straftat zu klassifizieren. Deshalb muss das deutsche Sexualstrafrecht dringend reformiert werden. „Nein“ muss endlich auch „Nein“ heißen, egal wie betrunken die Personen sind, egal ob sie zuerst einverstanden waren, und dann doch nicht weiter machen wollen, egal was sie anhaben und egal was sie sonst im Leben machen.

Wer ein absolute widerwärtiges Beispiel von Victim Blaming, Slut-Blaming und Rape-Culture sehen will, der kann sich das Video des Geflügelfleischproduzent Wiesenhof und des Comedian Atze Schröder ansehen. Der Clip wirbt für Grillwürste, originellerweise mit sexualisierten Anspielungen zur Länge männlicher Geschlechtsorgane. Schröder sagt: „Danach müssen Gina und Lisa erst mal in die Traumatherapie.“ Inzwischen haben sich Konzern und Komiker entschuldigt und das Video zurückgezogen. Der Imageschaden ist gerechterweise groß, letztendlich ist das Video aber auch nur der Ausdruck gewöhnlicher deutscher Heteromackernormalität, die Vergewaltigungen bagatellisiert und sich über die Opfer lustig macht.

Gegen Vergewaltigungen und sexuelle Übergriffe ist man hier wohl nur, wenn Täter und Opfer in bestimmte Schubladen passen, so wie bei den sexuellen Übergriffen in der Silvesternacht in Köln. Dort hat man ein hartes Durchgreifen gegen die mutmaßlichen Straftäter gefordert.
Sobald das Opfer allerdings nicht in das Raster einer „anständigen“ Frau passt, greifen augenscheinlich andere Reflexe.

Am Montag hat das Amtsgericht Tiergarten in Berlin übrigens kein Urteil gefällt und den Prozess auf 8. August vertagt.

Nach Köln hatte wurde in Deutschland eine Verschärfung im Sexualstrafrecht gefordert. Allerdings soll auch danach eine Vergewaltigung nur dann strafbar sein, wenn das Opfer sich erkennbar wehrt. Alles andere würde zu einer Zunahme von falschen Verdächtigungen führen, heißt es aus Regierungskreisen. Man stelle sich eine ähnliche Argumentation bei Straftaten vor, bei denen das Opfer einen finanziellen Schaden erleidet, wie Raub, Diebstahl oder Einbruch. Justizminister Heiko Maas hingegen will die Reform des Sexualstrafrechts weiter voran treiben – mit dem Grundsatz „Nein heißt nein“.