Erstellt am: 27. 6. 2016 - 17:06 Uhr
Bevor der Berg gefallen ist
Unser Artist of the Week DJ Shadow begleitet uns seit den ersten Tagen von FM4. Mit 23 Jahren komplettierte der aus Kalifornien stammende HipHop-DJ und Plattensammler Josh Davis sein großes Meisterwerk, zu dem er uns mit seinem aktuellen Album "The Mountain Will Fall" zurückführt.
DJ Shadow ist old school. Nicht soundmäßig, sondern der Einstellung nach. "I talk with my hands", hat Grandmaster Flash einmal über sich gesagt. Inzwischen sind mehr als drei Jahrzehnte vergangen und ein teilweise unberechtigter Starkult ist um die meistens männlichen, teilweise automatisch Beatgematchten MP3-Abspieler entstanden. DJ Shadow gehört zu den DJs der alten Schule, die einen narrativ in ihre Abenteuer und Erkundungsreisen in die unendlichen Weiten des Klangs einbauen, die ein Gefühl für Dramaturgie haben und wissen, dass ein Album im Idealfall eine Reise ist, die Mensch immer und immer wieder unternehmen möchte.
Derick Daily / DJ Shadow
In einem Interview liefert Shadow den Kollegen vom deutschen Radio eine HipHop-Liebeserklärung, die ich auch so jederzeit unterschreiben könnte: "Das erste Album, das ich je gehört habe, war 'The Adventures Of Grandmaster Flash On The Wheels Of Steel'. Das ist die Blaupause für alles. Es nimmt kleine Sachen, die jeder kennt, und macht daraus etwas vollkommen Neues. Das verkörpert für mich alles, was HipHop ausmacht: Ein bisschen, von dem man weiß, was es ist. Einiges, von dem man keine Ahnung hat. Und alles auf kreative, unterhaltsame Weise zusammengesetzt."
DJ Shadow hat vor zwanzig Jahren mit Anfang Zwanzig ein Album geschaffen, das Musikgeschichte geschrieben hat - in formaler Hinsicht, weil sein Album "Endtroducing....." das erste war, das ausschließlich aus Samples zusammengesetzt wurde, und auch musikalisch-inhaltlich, weil er den Weg für ein HipHop-Subgenre geebnet hat, das auch viele MusikliebhaberInnen, die sich bisher nicht mit HipHop beschäftigten, in seinen Bann zog.
DJ Shadow schafft mit seinen Alben etwas Eigenständiges. Nicht die Gastvocalisten und Rapper gehen über einen Beat, sondern die Komposition bringt sie zum Strahlen. Die Instrumental Tracks stehen den Werken, auf denen Stimmen zu hören sind, um nichts nach. Auf "Endtroducing.....", das nur mit einem Sampler und einem Sequenzer gemacht wurde, sind Auszüge aus über 500 Platten zu hören. Die Gesamtsammlung von DJ Shadow umfasst mehr als das Zehnfache. Der einzige speziell für das Album aufgenommene Part sind die nicht gesampelten Parts von Gift of Gab, MC der Crew Blackalicious, die damals genau wie Shadow auf dem eminent wichtigen und zurecht gehypten britischen Label Mo Wax veröffentlichten.
Der Erfolg von "Endtroducing....." ließ DJ Shadow und James Lavelle, den musikbesessenen Gründer des Labels Mo Wax, die fiktive Supergroup UNKLE ins Leben rufen. 1998 erschien "Psyence Fiction" produziert von Shadow. Es wurde viel mit Vocalisten zusammen gearbeitet und es war wiederum eine Welpremiere. Zum ersten Mal konnte Mensch auf einer HipHop-Platte Indie oder Brit-Pop-Stars hören. Mike D. von den Beastie Boys neben Thom Yorke. Kool G. Rap und Richard Ashcroft. Es wurde bestritten, dass UNKLE eine Band ist, die der Graffiti-Künstler und Maler Futura 2000 entwarf, eine Alie Crew, die UNKLE repräsentierte.
Die Idee klingt nach den Gorillaz, aber die wurden erst in dem Jahr erdacht, als der erste UNKLE-Release schon in den Plattenläden stand.
DJ Shadow
"The Mountain Will Fall", das aktuelle Album, das DJ Shadow zu unserem Artist of The Week gekürt hat, hat meine Erwartungen übertroffen und ist ein Indiz dafür, dass Mensch das Rad möglicherweise nicht zweimal, aber eineinhalb Mal erfinden kann. Es schließt für mich an "Endtroducing....." an. Die Arbeitsweise ist nichts neues im Jahr 2016, aber die zeitlose Schönheit und sich nicht abnutzende Tiefe von Shadows Nummern, egal ob Instrumentals oder nicht, die höre ich auf "Endtroducing....." genau so wie auf "The Mountain Will Fall". Die Alben gehören für mich zusammen. Zwanzig Jahre sind kein Tag, wenn man so wie Shadow in seiner eigenen Dimension lebt und wirkt.
Auf "The Mountain Will Fall" begrüßt uns wieder die annonyme Seriosität versprühende Gastgeberstimme, es ist wieder ein Schrei als rhythmussetzendes Element zu hören, wieder ein Dope Best, den ich stundenlang im Loop hören kann, ohne dass mich etwas stört oder nervt. Mir kriecht prickelnde Erwartung durch die Adern, Venen und Synapsen: Kann es tatsächlich sein, dass DJ Shadow eines meiner Lieblingsalben, sein zwanzig Jahre altes "Endtroducing....." noch einmal gemacht hat? Das Selbe aber nicht das Gleiche, two of a kind?
Christian Lehner trifft DJ Shadow heute in Berlin, die Geschichte wird fortgesetzt.