Erstellt am: 25. 6. 2016 - 12:35 Uhr
33 1/3 Grad
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Alle Stories, Bilder und Videos zum Donauinselfest findet ihr unter fm4.orf.at/ donauinselfest2016.
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Das Wiener Donauinselfest geht in die 33. Runde. Auf der FM4-Planet.tt-Bühne drehen die HipHop-DJs erneut ihr Vinyl 33 1/3 Mal pro Minute. Und die Wettergötter haben die Schnapszahl gewürfelt und schrauben die Betriebstemperatur auf 33 Grad hoch. Beware, it's gettin' hot out there.
17:00: SOIA - Are you down with destiny?
Die beiden Hosts des Abends, Manuva und Joejoe, erklären die Spiele um 17 Uhr für eröffnet und heißen Soia und ihre Band willkommen. Zitat: die perfekte Band für diese Uhrzeit. Joejoe dankt später noch dafür, dass er nach 14 Jahren noch immer durch den Abend führen darf. Währenddessen hält er seinen kleinen Sohn am Arm - und betont, auch diesen dem Donauinselfest zu verdanken. Tjo, Feiern verbindet.
Als die Wienerin Soia, Sängerin und Biotechnologin, mit ihrer Band das 33. Donauinselfest eröffnet, versteckt sich das Publikum noch in den wenigen Schattenflecken vor der gleißenden Sonne. Doch Soias stark verhallte Stimme bläst uns eine frische Brise ihres modernen Souls um die Ohren. Das vor kurzem hier präsentierte „Tropical Jinx“ entführt in einen mythischen Zwischenraum, der unserem Schicksal erlösenden Schatten spendet. Soia und ihre Band, mit dem Produzenten Mez am Keyboard, machen neugierig auf das kommende Album H.I.O.P., das im Herbst erscheinen wird.
17:35: A.Y. - I have a Dream
Der Wiener Rapper A.Y. ergatterte seinen Bühnenslot beim Rock the Island Contest 2016, den er in der Kategorie HipHop gewann. Beim HipHop Open Austria 2015 bewies er bereits sein Improvisationstalent, als er den Freestyle-Battle in der Arena Wien für sich entscheiden konnte. Auch hier am Donauinselfest muss er improvisieren, nachdem sein DJ, der Beatboxer Fii, ihm den Beat nicht pünktlich liefert. Doch genau in dieser ungeplanten Pause entwickelt A.Y. die Lockerheit, die er braucht, um seinen mehrfach betonten Traum von der großen Bühne auch zu erfüllen. Dann bewahrheitet sich seine Prophezeiung - und er bleibt auch hier.
18:10: KREIML & SAMURAI - Wuff oink! Wuff grunz!
Der Schweinehund kummt. Die Wiener MCs Kreiml & Samurai entern die Bühne mit einer Schweine- und einer Hunde-Maske am Kopf und gehen mit ihrem inneren Schweinehund Gassi. In breitestem Wiener Dialekt heißt es: Das Untier ist zurück.
Die beiden Rapper aus dem Dunstkreis der Wienzeile und Honigdachs Records haben das lasterhafte Leben zum Lebenskonzept erhoben - zumindest in ihrer Musik. Sie liefern den Soundtrack zu Elisabeth T. Spiras Alltagsgeschichten über die Donauinsulaner, gehen auf Konfrontationskurs statt zum AMS und wundern sich, warum die Jogginghose stinkt, obwohl man sich zwei Wochen eh nicht bewegt hat. Vor ihnen der Paktlwein, hinter ihnen die Sintflut. Und angestoßen wird immer zuerst mit dem Reparaturseidel. Umso frischer rollen ihre runden Beats, angetrieben von Live-Drumming und funky Samples. Sind Kreiml & Samurai (und Gast Monobrother) die „ranzigsten Ratzen unter der Sonne“? Nein, sie sind „die besten Männer Wiens“.
18:50: FATONI - Authitenzität [sic!]
Dem Rapper Fatoni gelingt der unterhaltsamste, wenn auch unglücklichste Auftritt des Abends. Zehn Jahre hat sich der Münchner darauf gefreut, endlich auf der FM4-Planet.tt-Bühne am Donauinselfest in Wien zu stehen - und dann funkt ihm die Technik derartig dazwischen. Vielleicht hätte er während seines „Gebt mir einen Reizgegenstand“-Freestyles das Skateboard bloß verbal fahren sollen, anstatt auf der Bühne mit ihm zum Ollie anzusetzen, dessen Druckwellen offenbar die Beat-Übertragung beleidigt haben.
Fatoni ist eben ein Performer („kein MC, sondern MCinatra“), das hat er als professioneller Schauspieler am bayrischen Theater gelernt. Daher rettet er sich über digitale Problemchen mit unterhaltsamen A-capella-Gags, etwa wenn er seinen DJ V.Raeter der Pfuscherei bezichtigt („Deine Eltern sind Geschwister“). Oder er greift zur Akustikgitarre, um den flapsig-schönsten Gitarrensong seit Mike Krüger einzustimmen („Lassen Sie mich Künstler, ich bin durch“).
Zum Ende gelingt ihm beim Song „Ich hab keine Vorurteile“ noch ein überraschender Coup, indem er jene MCs verarscht, die ihr Publikum zum Spannungsaufbau in die Knie zwingen. Widersprüchlich, wie Fatoni eben ist, bittet auch er die Crowd vor der FM4-Planet.tt-Bühne in die Hocke - um sich dann kurzerhand wegzudrehen und die Crowd entlarvend knien bleiben zu lassen. Ein kurzer Konfetti-Sprühregen entschädigt. Und vielleicht wird Fatonis Drohung wahr: „In ein paar Jahren bin ich Tatort-Kommissar!“
19:40: ZUGEZOGEN MASKULIN - Grauweißer Rauch
Die Sonne steht bereits so tief, dass ihre letzten Strahlen nur noch die Bühne erhellen. Das warme Abendlicht, von dem kitschverliebte Porträt-Fotografen träumen, passt aber nur schwer zur rauhen, urbanen Kälte des Neo-Berliner Duos Zugezogen Maskulin. Ihr Song „Endlich wieder Krieg“ eröffnet symptomatisch ein nervenaufreibendes Set. Ihre großstädtischen Trapbeats hyperventilieren, ihre explosiven Basslines schlagen graue Krater in die grünen Wiesen und ihr aggressives Gebrüll suggeriert Randale und Unbequemlichkeit.
Die beiden Rapper Grim 140 und Testo haben sich musikalisch von den guten alten Zeiten des HipHops verabschiedet und zeigen mit ihren pulsierenden Songs aus dem Album „Alles Brennt“, wie moderner (T)Rap heutzutage funktionieren könnte. In satirischer Manier und bilderreicher Sprache behandelt man Gesellschaftsthemen zwischen Zuwanderung und Gentrifizierung („Wir haben viel zu viel, um Euch was abzugeben“). Hipster und Hippies werden ebenso aufs Korn genommen wie Kiffer und die Rapszene. Am Ende wirbelt ein Moshpit ordentlich Staub auf, der von einer kurzen Sektdusche abgewaschen wird. Auch wenn heute nicht alles brennt, die Glut hat sich eingebrannt.
20:30: DAME - Somewhere over the Rainbow
Der Salzburger Rapper Dame zimmerte eine beachtliche Do-it-Yourself-Karriere, die ihn mit Computer-Game-Songs zum gefeierten YouTube-Star machte, der auch Charterfolge verbuchen kann. Am heutigen Abend liefert er den poppigsten Entwurf von Rapmusik, der vor allem beim ganz jungen Publikum enormen Anklang findet. Kein Wunder, Dame gelingt es - wie allen YouTube-Stars - hervorragend, sein junges Publikum abzuholen, indem er es ermutigt, ihm Selbstwert zuspricht („Du bist einzigartig, so wie du bist“), sich mit den Kids auf eine Ebene stellt („Ich bin genauso wie du, ich hab Sorgen und Ängste wie du“). Und: Er weiß, was sie zocken („Ich sitz wieder vorm PC, spiele WoW, alles für die Horde, meine Freundin sagt, sie geht“). Seine eingängigen Refrains über die Liebe zu Frauen und zu Computerspielen transportieren schlagerhaft eine heile Welt, die die Generation WoW (World of Warcraft) scheinbar braucht, um aus ihrem virtuellen (Multiplayer-Kriegs-)Alltag zu entfliehen.
21:35: THE FOUR OWLS - The Natures greatest mysterys
„The Owls are not what they seem“. Mit dieser Phrase trieb David Lynch die Fans seiner zeitlosen TV-Mystery-Klassikers Twin Peaks in den Wahnsinn der offenen Interpretation. Als heute The Four Owls aus Großbritannien die Bühne betreten, die keinen eigenen Wikipedia-Eintrag haben, aber Eulenmasken über die Baseballcaps gezogen, legen sie mit dem ersten Satz unmissverständlich fest, wofür sie stehen und wie sie zu interpretieren sind: „We represent the real HipHop“. Und diese These halten die vier Rapper Fliptrix, Verb T, BVA und Leaf Dog und ihr DJ Molotov bis zum Schluss aufrecht - sofern man seine Maßstäbe an den goldenen Jahren des HipHops der Neunziger ansetzt. Denn wie im Bouncetrack „Not Like Before“ betont, waren Wu-Tang Clan, A Tribe Called Quest, Gangstarr, The Pharcyde die Bands, mit denen man aufwuchs - und sie sind es auch, mit deren Flügelschlag die Eulen aus England heute auf die Bühne flattern.
Ihr „Silent Flight“ auf der Donauinsel besteht zum größten Teil aus Hardcore-Rap, springenden Posen, Hands-in-the-air-Befehlen und Boombap-Beats gestrickt aus funky Basslines, dicken Drums und engmaschig wiederholten Soul-Gesängen. Die gedrängten Strophen der vier MCs und nur gelegentliche Refrains erzeugen druckvoll einen reißenden Schwall, schaffen aber auch wenig Luft für dramaturgischen Spielraum, der der Show auf Dauer etwas mehr Abwechslung verleiht hätte.
Den Abschluss krönt das voller Stolz angekündigte „Think Twice“, produziert von niemand geringerem als GangStarr-Produzentenlegende DJ Premier persönlich. Der (Mehr-)Wert dieses Ritterschlags ist auch im prickelnden Mastering deutlich zu hören. Fazit: The Four Owls are exactly what they seem.
22.45: SAMY DELUXE + DLX BND - Most famous last words
Wo letztes Jahr um diese Uhrzeit noch Rapper Nazar stand, vor zwei Jahren The Teacher KRS-One persönlich, beendet heute Deutschrap-Dauerbrenner Samy Deluxe mit seiner DLX BND als Headliner das 33. Donauinselfest. Auch diese Nacht füllt sich der Hang vor der Bühne bis nach oben hin mit feierlaunigen Menschen, die sich ebenso wenig abkühlen wollen wie die Temperatur. Der afro-deutsche Hamburger Samy Deluxe beweist nach wie vor, dass er eine coole Socke ist, nicht nur, weil er bei stolzen 27 Grad Abendtemperatur nach 75 Minuten noch immer Jacke, Beanie und Sonnenbrille trägt - auch, weil seine Performance größtenteils sitzt.
Seine Show wirft einen bunten Überblick auf die hohe Bandbreite seiner Schaffenskraft, die von seiner DLX BND hervorragend instrumentalisiert wird, wenn sie zwischen Roots Reggae und Dancehall, verzerrtem Gitarrenrock und Voll-auf-die-12er-Partybrennern variiert. Samy Deluxe und sein Rap bleiben dabei wandlungsfähig: smooth, polternd, Schleudergang, Soulgesang. Manches Mal ist der Grat zwischen Flowen und Lallen ein sehr schmaler, aber Samy Deluxe beherrscht den Fluss wie nur wenige, wenn er ihn nur fließen lässt.
Nicht immer hat die Gallionsfigur des großen Deutschrap-Hypes Ende der Neunziger geschillert, oft landete seine Experimentierfreude in Produktionen, für die er viel Kritik einstecken musste. Doch heute zeigt er eine vielseitige Mischung aus starken Klassikern, die zu HipHop-Evergreens wurden („Füchse“, „Grüne Brille“, „Weck mich auf“, „Poesiealbum“) und neuen Hits, die endlich wieder das Potenzial haben, welche zu werden („Haus am mehr“, „Klopapier“, „Mimimi - Mitbürger mit Migrationshintergrund“). Sein Alter Ego Herr Sorge und dessen Autotune bleiben sicher im Oberstübchen versteckt. Dafür überraschen die Gäste Ragga-Deepthroat D-Flame und der Wiener Appletree, der auf Samys Label KunstWerkStadt gesignt worden ist.
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Also eigentlich kein Grund, sein kürzlich erschienenes Album „Berühmte letzte Worte“ zu taufen. Auch wenn an diesem Tag des Brexits wohl David Camerons Rücktrittsrede als die berühmtesten letzten Worte in die Geschichte eingehen, Samys letzte Worte treffen den Charakter des Abends hier auf der FM4-Planet.tt-Bühne-Planet.tt-Bühne punktgenau: „Urleiwand“.