Erstellt am: 23. 6. 2016 - 17:54 Uhr
Fußball-EM: Treffpunkt der extremen Rechten
Während der Europameisterschaft in Frankreich gibt es laufend schwere Auseinandersetzungen zwischen den Fans verschiedener Länder. In einer Reihe von Städten kam es zu regelrechten Straßenschlachten, vor allem im südfranzösischen Marseille und in Lille an der Grenze zu Belgien.
Die Fangruppen, die daran beteiligt sind, haben oftmals einen rechten oder rechtsextremen Hintergrund. Der Vorsitzende des Dachverbands russischer Fußballfans (VOB) etwa, Alexander Schprygin, war in den 1990er Jahren führendes Mitglied der russischen Neonazi-Szene und einer der Köpfe der Hooligans von Dynamo Moskau. Erst kürzlich forderte er für das russische Team ausschließlich "slawische Gesichter".
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Neonazi als Leiter des Fan-Dachverbands
Aktuell ist Schprygin, übrigens auch Mitglied des Organisationskomitees für die Ausrichtung der WM 2018 in Russland, in offizieller Funktion damit beschäftigt, die Angriffe der russischen Hooligans auf den englischen Fansektor beim Spiel der Gruppe B in Marseille zu rechtfertigen.
Bei dieser Führung des Fan-Dachverbands ist es kaum überraschend, dass beim Spiel gegen England auch rechtsextreme Banner im russischen Sektor aufgehängt wurden, wie die Organisation "Football against racism in Europe" (FARE) in einem Report an den Europäischen Fußball-Dachverband UEFA berichtet.
Englische Fans demütigen bettelnde Kinder
Die ersten Auseinandersetzungen während des Turniers hatten sich englische Fans bereits zuvor mit lokalen Jugendlichen in Marseille geliefert. Englische Medien vermuten dabei einen rassistischen Hintergrund. Und tatsächlich waren auf mehreren Videos weiße englische Fans zu sehen, die in heftige Kämpfe mit Jugendlichen verschiedener Hautfarbe im bekannt multikulturellen Marseille verwickelt waren.
Wenige Tage später waren es wiederum englische Fans, die für Aufregung sorgten. In Lille bewarfen sie bettelnde Roma-Kinder mit Münzen und demütigten diese. Einer der Beteiligten war bereits zuvor auffällig geworden, weil er an Straßenschlachten mit russischen Hooligans beteiligt gewesen war.
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Hooligans mit Reichskriegsfahne
Am Tag nach diesem Vorfall wurden neuerlich heftige Auseinandersetzungen gemeldet, ebenfalls aus Lille. In dieser traditionellen Industrie-Stadt lieferten sich deutsche Fans Straßenschlachten mit ihren Gegnern aus der Ukraine. Davor ließen sich die Anhänger Deutschlands noch mit einer Reichskriegsflagge und beim Zeigen des Hitler-Grußes fotografieren. An den Ausschreitungen sollen viele Anhänger der "Hooligans gegen Salafisten" (HoGeSa) beteiligt gewesen sein.
HoGeSa ist ein deutschlandweiter Zusammenschluss von rechtsextremen und neonazistischen Fans und Fangruppen. Kontakte bestehen auch zu Fans in Österreich. Vor dem ersten Aufmarsch der Gruppe in Köln im Oktober 2014 waren etwa auch Fans der beiden Wiener Großklubs Austria und Rapid sowie Hooligans aus der Steiermark in einschlägigen Vorbereitungsgruppen aktiv.
Borussenfront in Lille
Im Stadion selbst waren dann am Abend des Spiels gegen die Ukraine auch bekannte deutsche Neonazi-Kader anwesend. Unter ihnen etwa Michael Brück, Dortmunder Stadtrat für die neonazistische Kleinpartei "Die Rechte", der in mehreren deutschen Stadien Stadionverbot hat.
Die Fanszene des Dortmunder BVB galt über viele Jahre als die problematische Rechtsaußen-Fußballszene in Deutschland. Insbesondere hervor tat sich dabei die sogenannte "Borussenfront", eine offen neonazistische Fan-Gruppierung, die eng mit der Partei "Die Rechte" vernetzt ist. Im Stadion des BVB sind die neonazistischen Gruppen seit einiger Zeit weniger präsent, nachdem der Verein begonnen hat, die Augen vor der Problematik nicht mehr zu verschließen und sich nun klar positioniert.
Ukrainer zeigen Hakenkreuz-Tattoos
Doch auch die gegnerischen Fans aus der Ukraine ließen sich nicht lumpen und zeigten im Stadion ihre nackten Oberkörper. Zum Vorschein kamen dann unter anderem Tätowierungen mit Hakenkreuzen sowie dem Sonnenrad, das von Neonazis gerne als Code-Symbol verwendet wird.
Aktuell dient das Sonnenrad auch als Logo der ukrainischen Neonazi-Kampftruppe "Asow Bataillon", die im Bürgerkrieg in der Ukraine lange Zeit eine wichtige Stütze der aktuellen Regierung war.
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Keltenkreuz im kroatischen Sektor
Am vergangenen Freitag gingen schließlich auch Ausschreitungen der kroatischen Fans während des Spiels gegen Tschechien durch die internationalen Medien. Es wurden Bengalen aufs Spielfeld geworfen und ein Transparent mit dem faschistischen Keltenkreuz-Symbol präsentiert. Zu den Ausschreitungen bekannte sich die rechtsextreme Gruppe Torcida, die von Fans des kroatischen Vereins Hajduk Split organisiert wird.
Solche Ausschreitungen waren fast erwartet worden, schließlich geriet der kroatische Fußballverband bereits des Öfteren wegen des rechtsextremen Verhaltens vieler Fans in den Fokus. So wurde Kroatien von der UEFA vergangenes Jahr nach rassistischen Gesängen bei einer Partie gegen Norwegen mit einem Geisterspiel bestraf. Das nächste Match gegen Italien musste unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden. Dieser Ausschluss hinderte allerdings kroatische Fans nicht daran, mit einer chemischen Substanz ein Hakenkreuz in den Rasen zu brennen, das dann während der Fernsehübertragung gut zu sehen war.
Proteste gegen Sperre nach Ustascha-Gruß
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Es wäre allerdings zu kurz gefasst, das kroatische Rechtsextremismus-Problem ausschließlich bei den Fans zu verorten. 2013 etwa nahm Team-Kapitän Josip Šimunić nach einem Spiel gegen Island das Stadion-Mikro in die Hand und stimmte den Sprechchor "Za dom - spremni!" ("Für die Heimat - bereit!") an. Es handelt sich dabei um den Gruß der faschistischen Ustascha-Bewegung, die während des Zweiten Weltkriegs Verbündete des NS-Regimes am Balkan und verantwortlich für die Ermordung von hunderttausenden SerbInnen, Juden/Jüdinnen, Roma/Romnija und AntifaschistInnen waren.
Vergleichbar wäre das damit, wenn ein österreichische Teamspieler nach einem erfolgreichen Spiel das Publikum dazu aufrufen würde, gemeinsam "Sieg Heil" zu rufen. Der kroatische Verband hatte damit allerdings kein Problem. Proteste gab es erst, als der Fußball-Weltverband FIFA Šimunić für zehn Spiele sperrte.
Rechte Fan-Gruppen aus Österreich
Österreichische Fans dürften sich derzeit nicht in größerem Ausmaß an Ausschreitungen beteiligen. Aus Marseille allerdings wird der Fall eines Anhängers von Rapid Wien gemeldet, der bei den Auseinandersetzungen zwischen russischen und englischen Hooligans mitgemischt hat und nun zu fünf Monaten Haft verurteilt wurde.
Doch auch österreichische rechte Gruppen zeigen in Frankreich Flagge. In der Fankurve der ÖsterreicherInnen hängen bei den Spielen der Nationalmannschaft etwa ganz selbstverständlich die Transparente von "Atzgersdorf" und "Bulldogs", beides Fanclubs der Wiener Austria mit bekannt rechtsextremer Vergangenheit.
Milde Strafe für Kroatien
Als Reaktion auf die bisherigen Ausschreitungen hatte die UEFA spürbare Sanktionen gegen das russische Team verhängt, das nur noch auf Bewährung weiterspielen durfte (mittlerweile aber ohnehin ausgeschieden ist). Die Strafe gegen den kroatischen Verband hingegen fiel vergleichsweise milde aus, eine Geldstrafe von € 100.000 wird fällig.
Alle diese Ausschreitungen werden zweifellos von - je nach Land - kleineren oder größeren Minderheiten unter den Fans provoziert und getragen. Gleichzeitig ist es aber natürlich auch kein Zufall, dass rechtsextreme und nationalistische Gruppen bei Sportereignissen auftreten, die sehr stark die jeweiligen nationalen Identitäten betonen und verstärken.
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