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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

23. 6. 2016 - 14:16

The daily Blumenau. EM-Journal '16-52, 23-06-16.

Warum ich schuld bin am Ausscheiden der österreichischen Nationalmannschaft bei der Euro 2016.

The daily blumenau hat im Oktober 2013 die Journal-Reihe (die es davor auch 2003, '05, '07, 2009 und 2011 gab) abgelöst. Und bietet Einträge zu diesen Themenfeldern.

Das ist ein Eintrag ins EM-Journal '16, da ist die Klick-Übersicht.

Das war das Aus von Österreich in Runde 3. Das war der Rasierklingen-Tanz von Österreich gegen Portugal, so sieht es in der Nachlese aus. Das war Österreich vs Ungarn und das ist die Analyse dazu.

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Anm.: Wer angesichts des Nebenstehenden jetzt vielleicht sagt, dass es doch eh wurscht und völlig einflusslos ist, was in den Lügenmedien oder gar in einem Blog steht: nein, ist es nicht. Das weiß ich aus Reaktionen und Feedback, auch von den Journalisten-Kollegen, sowohl den Geschätzten als auch den Anderen, das erkenne ich dann, wenn ich von Verantwortlichen (meist erbost) mit wörtlichen Zitaten konfrontiert werde, oder wenn der ÖFB-Sportdirektor mit Journal-Ausdrucken anrückt, in denen er seiner Meinung nach Fehlerhaftes gelb gemarkert hat. Medien-Berichterstattung nimmt Einfluss auf zumindest die reflexionsfähigen Meinungsführer der Branche und wichtige Player, #isso, und ist, wenn man das Prinzip der 4. Gewalt halbwegs ernst nimmt, auch richtig so.

#emjournal16 #fußballjournal16

DER Misserfolg hat normalerweise nicht so viele Väter wie der Erfolg, weil alle versuchen sich aus dem Staub zu machen und auf den oder die deuten, an denen man's am offensichtlichsten festmachen kann.

SO werdet ihr, EM-Journal-Rezipienten, in den Medien oder gar in der sogenannten selbsterklärten Fußball-Öffentlichkeit keinerlei (oder nur minimale, vereinzelte) Verantwortungsnahme erleben. Aus dem großen "Wir!" ist wieder ein "Sie" oder sogar eher ein "Die da" geworden; es wird aktive Kindesweglegung betrieben. Medien und Öffentlichkeit, die in den letzten Monaten massiv partizipiert, genossen, Energie und Prestige abgesaugt haben, wollen sich durch Abwendung des (kritischen) Blickes und Schuldzuweisen vor der Analyse ihres eigenen Handelns drücken. Der Boulevard wird voranschreiten, alle anderen werden folgen.

DABEI haben alle, die sich im Vorfeld in der Sonne des ÖFB-Teams gesuhlt haben, ihr Binkerl zu tragen, ihren Teil der Schuld am Misserfolg zu verantworten. Dass dies nicht so ist, hat auch mit der geübten Rolle des österreichischen Tätervolks zu tun, sich seiner Verantwortung nicht nur nicht zu stellen, sondern sie aus Prinzip abzulehnen, und sich dann auch noch als von bösen Führern verleitetes Opfer darzustellen. Auch, aber nicht nur. Es ist ein menschliches Grundprinzip, das mit der Verdrängung. Und in einiger Hinsicht ist sie ein natürlicher Schutz. Wenn es aber darum gehen soll, Fehler nicht zu wiederholen, darf/soll und muss man dieses Muster aussetzen und sich konfrontieren.

IM politisch-gesellschaftlichen Bereich ist das, wie man aktuell merkt, nie passiert - weshalb in den nächsten Jahren in Katastrophen mündende Fehler wiederholt werden. Das muss nicht immer so sein. Und weil die aktuell vorliegende Übung eine vergleichbar leichte ist, sollten wie sie dringend annehmen; nicht nur um nicht auch hier dazu verdammt zu sein, frühere Fehler ewig zu wiederholen, sondern auch um das soziale Gefüge als verantwortungsbewusste Menschen zu stärken.

Also: Ich bin schuld am Euro-Out der Österreicher.

Und zwar ganz konkret.

ICH hab mich, fast unmerklich, von der nach außen getragenen Wohlfühl-Oasen-Stimmung reinsaugen lassen, in der kollektiven Hoffnung auf einen guten Start nach dem Qualifikationsmuster, der das Team dann durchträgt. Und in den letzten Monaten deutlich zu wenig gewarnt, kritisiert, nachgebohrt; nicht genug zugespitzt, nicht alles Nötige in letzter Konsequenz analysiert. Nicht für die Unwucht gesorgt, die meine ÖFB-Team-Texte sonst immer geprägt hat.

DABEI war und ist genau das immer nötig. So wie hier anlässlich der Zufriedenheits-Niederungen nach dem (immer noch) schwachen Auftakt in die EM-Quali. Oder auch da, in der Sitzriesen-Warnung vor dem ersten Montenegro-Spiel. Und hier beim Bosnien-Testpiel im März 2015 über "... die Problematik des letzten Passes, die nicht nur mit der entschiedenen bosnischen Defensivarbeit zu erklären ist, sondern die Ursache ihres Präzisionsmangels immer noch in der mangelnden Konsequenz bei Freundschaftsspielen hat."

DANACH, mitten in der rauschhaften Phase des Frühjahrs 2015, anlässlich des 4:1 in Schweden, taucht das erste Mal der zentrale Begriff der Hoffnung auf, ich spreche da von einer "vorbildhaften und hoffentlich stilprägenden Leistung". Aber es findet sich immerhin auch diese wichtige Einschränkung: "Ja, der Gegner war nicht gut genug, Schweden stellt aktuell einfach keine Europa-Klasse dar." Worte, die sich ähnlich auch bei den Russland-Matches finden.

DIESE Ambivalenz findet sich, nach erfolgreich beendeter Quali, angesichts der dringend nötigen Test-Niederlage gegen die Schweiz im November 2015: die "... ist also kein Beinbruch; sie zeigt akute Schwachstellen und personelle Lücken auf, und das ist auch gut so. In Hinblick auf einen EM-Auftritt, der die richtige Balance zwischen Demut, Selbstbewusstsein, Respekt, Angriffslust, Vorsicht und Gewitztheit erst finden muss. Und finden wird."

NOCH konkreter ist der Lehrsatz nach dem Sieg im ersten Test 2016, dem Spiel gegen Albanien: "... die Lehre aus dem Albanien-Spiel ist wohl, dass es bei der Euro genau so gehen wird." Dass sich die Mannschaft nämlich aus einer miesen Lage befreien kann.

DANN, immer noch im März, der endgültige Knackpunkt beim 1:2 gegen die Türkei: Im Gegensatz zu davor, wo die kritischen Anmerkungen von Koller teilweise schärfer waren als die der kritisch-analytischen Berichterstatter, ist der ÖFB diesmal offiziell zufrieden. Mein Gefühl war, einen unvollendeten Tests erlebt zu haben: "Natürlich kann bei der Euro genau so etwas auch passieren: alles im Griff, alles unter Kontrolle, die besseren Chancen haben und trotzdem in Rückstand geraten, mit egal wie vielen Minuten noch auf der Uhr. Für diesen Ernstfall war das heutige Match kein Test."

GENAU das aber wäre wohl die Stelle gewesen, in die nachzubohren sich gelohnt hätte. Warum da kein Ernstfall ein/auftreten konnte. Dann kam das völlig abgehobene, bar jeder Konzentration durchgefühlte Malta-Spiel mit dem Alaba-Eigentor, das eigentlich eine Warnung für alle hätte sein müssen. Dann der strange Test gegen Schluein Ilanz, in dem Koller sein Team in einem 5-4-1 aufs Feld schickte (auf das er sich dann im Island-Spiel bezog, wiewohl derlei vorher nie auch nur angetestet wurde). Und auch da fehlte die kritische Auseinandersetzung, die konkrete Frage nach dem Warum, das deutlichere Sichtbarmachen der aufbrechenden Schwächen.

DIE letzte Gelegenheit, die alles allen offensichtlich machte, war der finale Test gegen die Niederlande. Ich bin weiter im Ambivalenz-Modus: "Das ÖFB-Team gefällt sich in Sorglosigkeit und verunsichert alle; hoffentlich nicht auch sich selbst." Da ist sie wieder, die Hoffnung, mittlerweile zu einer echten Kategorie aufgestiegen. Da ist der Fehler.

ICH sage da auch etwas, was eigentlich den entscheidenden Hinweis gibt, erkenne ihn aber selber nicht: "Ich habe heute keine Unsicherheit, keinen Rückfall in alte Zeiten gesehen, sondern eine Handbremsen-Fahrt, die keine Rücksicht auf das Hier und Jetzt genommen hat, sondern sich bereits im Tunnelblick der Turnierteilnahme befand."

Diesem Tunnelblick ist die Mannschaft nie mehr entkommen.
Er hat sie gelähmt, geschwächt und eingeschüchtert.

Zwischen März und Mai, als die Spieler unbetreut und vereinzelt vor sich hin gewerkelt haben (und wir wissen etwa von Dragovic und Hinteregger dezidiert, dass sie davon ausgehen mit ihren psychischen Problemen allein fertig zu werden; da lacht die Fachwelt nur bitter auf) hat sich dieses Scheuklappen-Ding festgesetzt, und konnte dann auch im Laaxer Trainingslager nie mehr abmontiert werden. Die Stimmung und das Rundherum - alles easy. Aber sobald man sich auf einen Platz begab, geriet das Gesichtsfeld vieler wichtiger Spieler ins Wanken.

UND plötzlich wurde die Wohlfühl-Oase zum abgeschotteten Bereich, zum Träumeland, in dem sich eine irreale, kindliche Weltsicht über die unschöne Realität der Testspieleinheiten stülpte. Koller und Co gefielen sich in der Schutz-Pose, fanden aber offenbar nicht mehr den Weg in die sich zunehmend verdunkelnde Psyche von Alaba, Dragovic und Co, bis tief ins dritte schlimmer Euro-Spiel hinein.

Mein Fehler, meine Mitschuld spielt genau hier rein:

Einige Dinge richtig zu erkennen ist schön und gut. Wichtiger wäre aber gewesen sie zielgerichtet zu bündeln, von mir aus auch im Modus massiver Überspitzung, um dann zumindest ihren Kern klarzumachen.

DAS betrifft etwa den Punkt der relativen Selbstüberschätzung wegen Fehleinschätzung der Gegner-Qualität - Schweden die Klasse abzusprechen, Russland richtig (nämlich beschädigt) einzuschätzen ist wunderbar. Wichtiger wäre es gewesen, auch die Stärke von Albanien, der Schweiz und der Türkei nicht erst zur Euro hin, sondern schon im Vorfeld (Winter 15/Frühjahr 16) richtig einzuschätzen und davor zu warnen brauchbare Leistungen gegen diese Gegner höher zu bewerten bzw ein schwaches Abschneiden zu relativieren.

ODER der Glaube an das rauskitzeln der Qualitäten wenn's ernst wird. Auch der letzte Test vor der EM-Quali (damals gegen Tschechien B) sah grässlich aus, die dazwischengestreuten Freundschaftsspiele boten immer wieder Schonkost - aber sobald es in die Punktspiele ging, wuchs das ÖFB-Team über sich hinaus. Dieses Muster auch für die Euro als gegeben anzunehmen: schlimmer Fehler. Dass hat gar nicht so viel mit "keine Turniererfahrung" zu tun, sondern mehr damit, dass der ÖFB erst seit/mit Koller unter den Bedingungen des 21. Jahrhunderts arbeitet, und daher nichts, aber auch GAR NICHTS bereits über ein Muster verfügen kann; das sind Entwicklungen, die Jahre vielleicht Jahrzehnte dauern, in denen die Verheerungen der Vorgängerschaft (nennen wir sie doch einmal alle, die Schuldigen am Niedergang vor Koller, die Totengräber: Constantini, Brückner, Hickersberger und Krankl) aufgearbeitet werden können.

DER Fehler liegt nicht darin, sich mit einem grundsätzlichen Anliegen gemein zu machen mit seinem journalistischen Objekt und es zum Subjekt zu erheben. Solange das Anliegen darin besteht die Strukturen des österreichischen Fußballs kritisch auszuleuchten, sowohl die Spiele als auch das Umfeld als auch die Berichterstattung zu analysieren, kann man innerhalb des journalistischen Ethos bleiben. Und auch der Hoffnung, dass das zu beackernde Feld sich aus seiner autokratischen, strukturell korrupten und von Freunderlwirtschaft geprägten Vergangenheit in eine bessere Zukunft bewegt, darf Ausdruck verliehen werden. Insofern ist auch die Hoffnung für eine gute Entwicklung des aktuellen ÖFB-Teams, das nämlich in seiner aktuelle Ausrichtung Ausdruck einer multiethnischen, anti-nationalistischen und sozial engagierten Gesellschaft ist, auch nicht verkehrt.

DER Hoffnung auf ein gute Entwicklung aber die letzte Konsequenz der genauen Analyse zu opfern, deswegen die Euro-Vorbereitung nicht als Dauer-Störfaktor zu begleiten, Auffälliges sanft und erklärend wegzulächeln und die Analyse unter eine allzu positivistische Generalannahme unterzuordnen, das war falsch.

Es ist also meine Schuld. Und sie wird nicht verdrängt, sondern zum Anlass für ein noch genaueres Hinschauen genommen. Wohin die Reise geht, wenn man sich im Träumeland einkuschelt, haben wir gesehen. Und einmal ist genug.