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Todor Ovtcharov

Der Low-Life Experte

22. 6. 2016 - 13:42

Der Verpacker

Der Künstler Christo ist heute, nachdem der Ruhm des Fußballspielers Hristo Stoitschkov nachgelassen hat, der vielleicht bekannteste Bulgare der ganzen Welt. Sein neues Projekt "The Floating Piers" wird gerade von der ganzen artistischen Welt bewundert.

Viele erinnern sich an die Verpackung des Reichstags in Berlin vor ungefähr zwanzig Jahren. Bevor sie zustande kommen konnte, wurde das Projekt für noch weitere zwanzig Jahre von den deutschen Abgeordneten und der deutschen Regierung diskutiert. Christo musste jeden einzelnen der Abgeordneten überreden, dass die Verpackung des Reichstags künstlerisch wertvoll ist. Der in der bulgarischen Bergstadt Gabrovo als Hristo Javaschew geborenen Künstler gewann und der Reichtsag wurde verpackt. Berlin, das Symbol des kalten Krieges, war begeistert. Weltberühmte Musiker wie Pavarotti und Domingo wollten vor dem verpackten Reichstag auftreten und baten Christo um Erlaubnis, doch er erteilte sie nicht. Jedes weitere Projekt von Christo wurde seitdem zu einem Kunstereignis.

Christo bei seiner aktuellen Installation, auf den schwimmenden Stegen "The Floating Piers" am Iseosee in Nord-Italien

AFP PHOTO / Filippo MONTEFORTE

Christo bei seiner aktuellen Installation, auf den schwimmenden Stegen "The Floating Piers" am Iseosee in Nord-Italien

Der Weg des heute 81-jährigen Christo zum Weltruhm beginnt in Wien. Kurz bevor die sowjetischen Panzer 1956 über Budapest rollen, emigriert er in den Westen. Sein erster Stopp ist Wien. Hier arbeitet er eine Weile als "Junge für alles" - mal ist er Tellerwäscher, mal malt er Portraits von den Offiziersfrauen der Alliierten. Ich frage mich, ob irgendjemand heute diese Portraits, die Christo auf seinen Knie gemalt hat, immer noch hat? Und ob sie wissen, dass der Urheber heute weltbekannt ist? Christo flieht vor der kommunistischern Diktatur und muss das schwere Leben eines Migranten haben – Schwarzarbeit, ständige Kontrollen, Leben ohne gültige Papiere.

Bald danach verlässt Christo Wien und geht über Paris nach New York. Dort lebt er einige Jahre ebenfalls als illegaler Emmigrant, bis er die Green Card bekommt. Bis heute sagt er, dass er keine Nationalität besitzt, dass er ein Weltbürger sei. Man sagt über ihn, dass er keine Sprache richtig sprechen kann, obwohl man über ihn in vielen Sprachen spricht. Villeicht steckt unter den Flüchtlingen, vor denen heute alle Angst haben, der neue Christo?

Menschen auf den "Floating Piers" von Christo

AFP PHOTO / MARCO BERTORELLO

Die Projekte von Christo und Jeanne-Claude sind einige der teuersten Installationen der Welt. Die Verpackung der Pont Neuf, "The Umbrellas" in Japan und den USA, "The Gates" im New Yorker Central Park kosten alle Milionen. Das letzte Projekt von Christo und seiner Eherfrau (obwohl Jeanne-Claude 2009 starb, wird ihre Kunst weiterhin von den beiden gemacht) kostet um die 17 Milionen Euro.

"Unsere Kunst hat weder einen tiefen Sinn, noch eine politische Botschaft. Unser Ziel ist nur der unmitellbare ästhetische Genuss", sagen Christo und Jeanne-Claude. Obwohl Christo jegliche ideologische Verbundenheit verneint, wird er bis zum Schluss von der kommunistischen Staatssicherheit verfolgt. Neulich tauchte ein Agenturbericht über Christo aus dem Jahr 1984 auf. Als Christo den Reichstag verpacken wollte, wurde er von der bulgarischen Geheimpolizei als Sicherheitsrisiko eingestuft und beobachtet. Interessant ist, dass die Agentin, die Christo beobachtet habe, von seiner Kunst begeistert war. Ihr Bericht ähnelt einer positiven Kunstkritik. Sie meint, dass Christo ein großartiger Mensch und Künstler sei. Ob sie heute einmal aus dem Nichts erscheint und ein Honorar für den Agenturbericht verlangt, oder wird sie, wie die in Wien gemalten Offiziersfrauen, unbekannt bleiben?

"The Floating Piers" von Christo

AFP PHOTO / Filippo MONTEFORTE