Erstellt am: 22. 6. 2016 - 16:07 Uhr
Spione im Wohnzimmer
Ein Gericht in Nordrhein-Westfalen hat Samsung verurteilt. Der Konzern muss in Zukunft bei seinen internetfähigen Fernsehgeräten deutlicher darauf hinweisen, dass Daten gesammelt werden. Bisher erhalten User beim ersten Mal Einschalten einen ca. 56 Bildschirmseiten langen, unformatierten Text - die Allgemeinen Geschäftsbedingungen. Das Gericht will nun, dass die AGB mit deutlichen Überschriften gestaltet und leserlicher formatiert werden. Mit ihrer Klage wollten die Verbraucherschützer auch erreichen, dass beim Anschließen des Fernsehers ans Internet Daten erst nach Einwilligung des Nutzers fließen dürfen. Das wollte das Gericht allerdings nicht anordnen - unter anderem mit der Begründung, dass die Daten nicht an die beklagte deutsche Samsung Electronics GmbH, sondern an den Mutterkonzern in Südkorea übertragen werden.
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Mit einem modernen TV-Gerät kann man sowohl die Programme herkömmlicher Fernsehsender anschauen, als auch Videoportale wie Youtube und Netflix nutzen. Die Geräte merken sich, welche Filme und Videos man ansieht und schicken diese Daten an den Hersteller. Das Gerät kann daher die zum Nutzungsverhalten passende Werbung einblenden. So weit, so normal - denn wir sind das Tracking unseres Surfverhaltens bereits durch die Webbrowser unserer Computer gewöhnt. Allerdings hat man am Computer zahlreiche Möglichkeiten, sich zu schützen: Privater Browsermodus, Adblocker-Plugins, Anonymisierungsdienste, Unterdrückung bzw. Löschung von Cookies und vieles mehr. Bei Smart TVs hingegen werden die Privatsphäre-Einstellungen extra gut versteckt. Erweiterungen wie Adblocker gibt es gar nicht. Hinzu kommt die Tatsache, dass Smart TVs auch Kameras und Mikrofone eingebaut haben. Können einem die Geräte auch zuhören und zuschauen? Bei Smartphones ist das am offensichtlichsten bereits der Fall.
Okay, Google
Seit Version 5.0 des Betriebssystems Android („Lollipop“) ist es möglich, Smartphone und Tablet durch ein gesprochenes „Okay, Google“ zu aktivieren. Danach kann man mündliche Suchanfragen stellen sowie Befehle geben, wie „Schreibe eine E-Mail“ oder „Kalendereintrag“. Damit ein Android-Smartphone auf das gesprochene „Okay, Google“ reagieren kann, muss es natürlich ständig zuhören. Alle Spracheingaben, die nach „Okay, Google“ folgen, werden auf Google-Servern gespeichert und ausgewertet. Wer die Spracheingabe am Smartphone, Tablet oder im Chrome-Browser schon einmal genützt hat, kann ganz einfach die Google Audio History (in jedem beliebigen Browser mit eingeloggtem Google-Account) öffnen. Dort kann man sich dann alle Sprachbefehle und Suchanfragen ansehen und anhören, die man jemals in das Smartphone- oder Computer-Mikrofon gesagt hat. Der Elefant im Raum ist die Frage: Wird wirklich nur das gespeichert und ausgewertet, was nach "Okay, Google" gesprochen wurde?
Nicht nur Android-Smartphones hören zu und schicken die Daten an einen Server: Apples neuere iPhones reagieren auf „Hey, Siri“, und auch Cortana, die Sprachassistentin von Windows 10, hat einen Always-Listening-Modus. Diese Möglichkeit, ein Gerät mittels Sprachbefehlen zu steuern, gibt es auch bei Fernsehgeräten und Videospielkonsolen. Vorreiter bei letzteren war Microsofts Xbox mit Kinect. Dabei handelt es sich nicht nur um eine Kamera, sondern auch um ein Mikrofon mit Spracherkennung, einen Bewegungssensor, einen Infrarotsensor zur Erfassung der Raumgeometrie sowie um Gesichtserkennung für mehrere Personen im Raum.
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Geheimdienste greifen zu
Natürlich kann es bequem sein, eine Videospielkonsole durch einen Sprachbefehl einzuschalten und via Gesichtserkennung automatisch eingeloggt zu werden. Es kann auch nützlich sein, beim Fernsehen mit einer Handbewegung die Lautstärke zu verringern, oder beim Autofahren das Smartphone mit Sprachbefehlen zu steuern. Doch diese Technologie ist eine Medaille mit zwei Seiten.
Aus den von Whistleblower Edward Snowden geleakten Dokumenten geht hervor, dass bei den Geheimdiensten NSA und GCHQ Malware existiert, mit denen Geräte infiziert werden, um deren Mikrofone und Kameras zur Überwachung von Menschen zu nutzen. Eines dieser Malware-Pakete heißt „Smurf Suite“. „Dreamy Smurf“ heißt das Tool, mit dem Smartphones ferngesteuert ein- und ausgeschaltet werden können. „Nosey Smurf“ ist das Tool, mit dem das Mikrofon aktiviert werden kann. „Tracker Smurf“ ist das Ortungswerkzeug. Auch die Kameras von Geräten können laut Snowden von den Geheimdiensten genutzt werden. Beim US-Militär wiederum existiert seit 2012 ein ganz offizielles Forschungsprogramm zum Hacken von Videospielkonsolen.
Es ist also nicht nur sinnvoll, sich bei Geräten wie Smartphones, Smart TVs und Videospielkonsolen mit den Privatsphäre-Einstellungen im Menü vertraut machen und die „Always Listening“-Dienste zu deaktivieren, wenn man sie nicht benützt - man kann eine Kamera wie Kinect auch abstecken und in Geräte eingebaute Kameras mit einem Stück Klebestreifen abdecken. In vertraulichen Gesprächen lohnt es sich vielleicht auch, den Akku aus dem Telefon zu nehmen (wenn das noch möglich ist). Das deutsche Gerichtsurteil, das den Samsung-Konzern zwingt, die AGBs seiner Geräte ein bisserl leserlicher zu gestalten, bietet wohl kaum ausreichenden Schutz - bemerkenswert ist aber, dass das Urteil durch die Klage einer Verbraucherschutz-Organisation bewirkt wurde. Es ist eben die Zivilgesellschaft, die nicht aufhören darf, das Treiben der Konzerne zu beobachten, von den Regierungen funktionierende Datenschutzgesetze einzufordern sowie auf die schärfste Kontrolle von Geheimdiensten zu bestehen.