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Christian Lehner Berlin

Pop, Politik und das olle Leben

22. 6. 2016 - 16:19

Das Ende des Schwans

Michael Gira von Swans über schwerwiegende Vorwürfe, den Sinn von Sound und das neue Album "The Glowing Man".

"Ich werde wohl ein ganzes Jahr durchschlafen", sagt Michael Gira, als ich ihn nach seinen Plänen für die Zeit nach den Swans befrage. Gira sitzt tief in der Couch. Er trägt eine russische Fellmütze. Rauchschwaden ziehen durch die Berliner Wohnung seines Gitarristen Christoph Hahn. Gira kündigte vor der Veröffentlichung des neuen Albums "The Glowing Man" das Ende seiner Band in der momentanen Konstellation an. Zukunft ungewiss. "Es ist das erste Line-Up, das ich als wahre Freunde bezeichne, aber es ist Zeit für den Abschied. Wenn man sich 220 Tage im Jahr sieht, braucht man nach einer Weile etwas Neues", sagt er.

Michael Gira, Swans

Christian Lehner

Gira wirkt ausgelaugt. Auch von den Jahren des unsteten Lebens als Underground-Musiker im Zeichen des Lärms und düsteren Folks. Es sind jedoch die Vorwürfe der sexuellen Nötigung, die dem 62-jährigen sichtlich zusetzen. Sie kommen von der Singer-Songwriterin Larkin Grimm, die bei Giras Label Young God Records unter Vertrag stand. Der Missbrauch soll im Jahr 2008 stattgefunden haben. "Die Anschuldigungen sind so absurd, dass ich darüber lachen sollte, wäre es nicht so schlimm für meine Familie", sagt Gira, der von einer kurzen und betrunkenen Affäre mit Grimm spricht.

Mittlerweile ist der Vorwurf wieder aus den Medien verschwunden. (Das Interview fand Anfang April statt, Grimm richtete sich Ende Februar an die Öffentlichkeit.) Es gibt keine Anzeige und kein Gerichtsverfahren. Nur Aussage gegen Aussage, Gerüchte über Stalking und eine Persönlichkeitsstörung, unglaublich sexistische Ausfälle von Swans-Fans, die Gira zu Mäßigung aufrufen musste und wohl viele Tränen und Schmerz.

Swans-Review am Mittwoch in der FM4-Homebase ab 19 Uhr.

Das Ende der Swans hat mit den Vorwürfen allerdings nichts zu tun, denn "The Glowing Man" war zu diesem Zeitpunkt bereits fertig produziert. Es ist das vierte Swans-Album seit dem Comeback vor sechs Jahren. Von 1982 bis 1997 arbeitete sich die aus der New Yorker Post-Punk und No-Wave-Szene entsprungene Band mit brachialer Intensität "am Thema Liebe und dem Gegenteil davon" (Gira) ab.

Noise, Post-Punk, No Wave, Industrial und Folk - all diese Stile vereinigen sich am letzten Album zum Schwanengesang der Swans. Sie stehen im Dienste der Auflösung. Die Songs im zum Teil gewohnt epischen Format von über 20 Minuten Länge rasen nicht mehr so schnell auf den Abgrund zu wie früher. Sie treiben vielmehr einem glühenden Horizont entgegen, dessen Absichten ungewiss sind. So ist "The Glowing Man" ein meditatives Season-Finale ohne Cliffhanger geworden. 120 Minuten Schweben und Fallen und sich versenken im reinen und unreinen Sound. Im Herbst ziehen sie noch einmal durch die Lande; so auch nach Österreich. Ob und wie Gira weitermachen wird und wie das klingen könnte, weiß er selbst noch nicht. "Ich bin müde", sagt er "sehr müde".

Michael Gira, Swans

Cyrille Choupas

Gira über das zentrale Thema Liebe

Love so often is portrayed in a corny way. But if you approach things with love, which means for me a certain selflessness and willingness to give yourself completely to something, yes, I do believe it’s the solution for a lot of things. As a pure intention it’s beautiful.

Gira über Pop als Kino

I said that the new album sounds like the musical equivalent of "Ben Hur" coupled with Kurosawa’s "Ran"? Well, it also sounds like Walt Disney’s "Cinderella" (lacht). In a way I view records as a little piece of cinema. There are similar dynamics and sequences, tones and colors. As a producer I also have to cut away the excess at the end.

Gira über das ewig unvollendete Stück

Most of the pieces on this record were performed live for over a year. They were not recited as a finished thing. They grew and were shaped, they found a new form every time we went on stage. At the end of the tour we went into the studio and recorded them and they changed again. I don’t look at any material as being finished anymore. I just look at it as a version that exists on this record.

Gira über den wichtigsten Moment in seiner Musik

It’s like walking down a stairway and you think there is a couple more steps but there isn’t. That moment, when your mind is off balance, that’s the moment to extent.

Gira über den Sinn von Sound

One of the beautiful things about music is it’s utterly in the moment and you are generating a force that is greater than you through sound. So it’s only natural to aspire to surrender to the sound. The best moments are happening when your are not playing the music, but the music is playing you. That’s all I care for. I don’t want to illustrate what it’s like to go to war, or what it’s like to have sex or to regret to lose your lover. It’s that moment in itself that we are seeking. But it’s also a moment you never can grasp fully.

Swans Albumcover "The Glowing Man"

Young God Records

"The Glowing Man" von Swans ist am 17.6.2016 via Young God/Mute erschienen.

Gira über die Anstrengungen einer Live-Performance

I simultaneously try to use the form and destroy the form. It’s exhausting. I’m tired.

Gira über Publikumsbeschimpfung und Ablenkungen

Back in the day I used to call out headbangers, now I call out people texting while we are playing. Acting out this silly and empty rock’n’roll ritual and staring into your phone both means you are not fully in the moment. And it’s also incredibly rude. I see it and it distracts me and I don’t want to be distracted on stage.

Gira über den Song "The World Looks Red", den er für Sonic Youth geschrieben hat und für das neue Swans-Album adaptierte

I wrote this song on a typewriter for Sonic Youth many years ago. I don’t have any problems using some lyrics for my new version. The music is completely different and Thurston’s voice compared to mine is like Frank Sinatra to Tiny Tim.

Gira über sein Faible für Hüte

There’s a story to that: Jarboe (Jarboe La Salle Devereaux, frühere Partnerin Giras und Sängerin der Swans, Anm.) gave me a hat to wear that was her father’s hat. He was a FBI agent and it was the hat he wore every day. So I started wearing hats. That was around 1985 and I have rarley gone out of the house without one since. I simply love hats.