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Nermin Ismail

Politik. Menschenrechte und alles, was mit Menschen zu tun hat. Hinhören und nachfragen.

21. 6. 2016 - 17:22

Erstes Schuljahr für geflüchtete Schüler

Die Zahl der schulpflichtigen geflüchteten Kinder in Österreich wird auf 8500 geschätzt. Die Schule in der Anton-Krieger-Gasse versucht seit September, 15 Flüchtlinge im Schulalltag zu integrieren. Wie gelingt ihnen das?

Über 60 Millionen Menschen befanden sich 2015 auf der Flucht. In Österreich waren es rund 90.000 Asylanträge, die im vergangenen Jahr gestellt wurden. Nicht nur erwachsene Menschen sind gekommen, sondern auch Jugendliche und Kinder wie unbegleitete Minderjährige. Die Zahl der schulpflichtigen geflüchteten Kinder in Österreich wird auf 8.500 geschätzt. Ein Viertel dieser Kinder und Jugendlichen wird bereits in Wiener Schulen unterrichtet. Die Anton-Krieger-Gasse versucht seit September, 15 Flüchtlinge im Schulalltag zu integrieren. Wie gelingt ihnen das?

Deutschkurs Flüchtlinge in der Schule

FM4 Irmi Wutscher

Irmi Wutscher hat im Herbst schon einmal in der Anton Krieger-Gasse vorbeigeschaut. Mehr dazu hier.

Montag. Halb acht. Nathalie ist müde. Sie muss schon um sechs Uhr früh aufstehen, um rechtzeitig in der Schule anzukommen. Mit dem 66A fährt die 19-jährige Syrerin vom Reumannplatz bis zu ihrer Schule in Wien-Liesing. Hier besucht sie die fünfte Klasse Oberstufe. "Ich hätte schon mit der Schule fertig sein können. Meine Freunde in Syrien studieren jetzt alle", sagt sie mir in arabischer Sprache. In der ersten Stunde hat Nathalie Deutsch, dann folgen zwei Stunden Deutschkurs.

In Wien organisiert der Stadtschulrat für Flüchtlinge Neu-in-Wien-Kurse. In einem Jahr erhalten Flüchtlinge bis zu fünf Tage in der Woche Deutschförderung. In Salzburg nennt man das Willkommensklassen. Auch Nathalie wechselt zwischen dem regulären Unterricht in der 5A und der Sprachklasse. Sie ist mit ihrer Familie vor zwei Jahren nach Österreich gekommen. Was sagt sie zu ihrem ersten Schuljahr in Österreich? Dieses Mal auf Deutsch: "Es ist anders. Es gefällt mir, aber es ist schwer sich anzupassen. Die Sprache ist sehr schwierig." Dabei spricht die 19-Jährige schon ganz gut Deutsch.

Deutschkurs Flüchtlinge in der Schule

FM4/Irmi Wutscher

Herausforderungen im Schulalltag

Gemeinsam Kochen in der Anton Kriegr-Gasse BRG

Anton Krieger-Gasse

Gemeinsames Kaiserschmarrnkochen mit den SchülerInnen des Deutschkurses

Vier Mal die Woche geben Deutschlehrer, meist mit der Zusatzausbildung "Deutsch als Fremdsprache", den geflüchteten Jugendlichen Deutschunterricht. Eine von ihnen ist Agnes Lörnitzo. Heute unterrichtet sie Nathalie und ihre Freundin Amina. "Sie lernen sehr schnell und sind motiviert. Man merkt, dass sie viel üben und sich deutlich verbessern." Die Deutschlehrerin weiß aber auch von anderen KollegInnen, dass es nicht immer so gut funktionieren muss. Denn bei manchen Jugendlichen gestaltet sich der Schulalltag schwieriger. Vor allem Jugendliche, die ohne ihre Familie nach Österreich gekommen sind, hätten Schwierigkeiten. "Kinder, die alleine da sind, denen fehlt oft eine Bezugsperson, die sie unterstützt. Man merkt, die Kinder sind zu jung, um ganz auf sich gestellt zu sein."

Bei Jugendlichen wie Nathalie habe die Eingewöhnung schnell stattgefunden, so Lörnitzo. Immer wieder seien kulturelle Unterschiede präsent. Über gewisse Themen müsse man einfach mit den Schülern sprechen. Zum Beispiel, wie man mit Haustieren umgeht. "Das scheint in Syrien anders zu sein." Was der Lehrerin ebenso auffällt ist, dass sich die Schüler eher mit den anderen Flüchtlingskindern zusammentun, das würde ihnen helfen. Mit ihnen können sie auch ihre eigene Sprache sprechen.

Gemeinsam Kaiserschmarrn essen in der Anton krieger gasse BRG

Anton Krieger-Gasse

Nathalies Klassenvorständin Alexandra Lechner-Amante hat in der eigenen Klasse zwei Kinder mit Fluchterfahrung. An Anschluss fehle es nicht, so die Lehrerin. Doch sie sieht zwei andere Probleme. "Die eine Schwierigkeit ist, dass sie zwei bis drei Jahre älter sind, was bei 15-Jährigen einen Riesenunterschied macht. Das andere Problem ist die Sprachbarriere, dieser Austausch, der geht dann nicht so einfach." Sie werden gut aufgenommen, gehen auf die anderen zu, aber sie müssten sich ständig bemühen und kämpfen.

Die Fluchterfahrung kann aber auch tiefe Spuren und Traumatisierungen hinterlassen. Lechner-Amante hat das Gefühl, "dass das sehr tief sitzt, aber dass da noch viel abgewehrt wird. Darüber wird nicht gerne gesprochen. Ich würde nicht sagen, dass sich die Kinder von den anderen erkennbar unterscheiden." In anderen Klassen ist die Integration der geflüchteten Kinder gar kein Thema, erzählt die Lehrerin. Dabei hilft das gleiche Alter. Das kann auch Nathalie bestätigen. Viel lieber würde sie, wie ihre Freunde in Syrien, an der Universität studieren. Neben dem regulären Schulbesuch in der Anton-Krieger-Gasse, holt sie momentan auch die arabische Matura in der libyschen Schule nach.

"Konkrete Leitfäden und Programme fehlen"

Michel Fleck, Schuldirektor Anton-Krieger-Gasse

Anton Krieger-Gasse

Der Direktor der Schule, Michel Fleck, ist stolz auf seine Schule. Besuchen heuer rund 15 Schüler seine Schule, sollen es kommendes Jahr zwölf mehr werden. Für diese Kinder hat die Schule spezielle Angebote: Neben dem normalen Unterricht arbeiten junge Lehrer in Kleingruppen an der deutschen Sprache und auch Einzelbetreuung durch Freiwillige wird angeboten. "Das sind oft pensionierte Lehrer, die sich in Eins-zu-Eins Betreuung den Kindern widmen und beim Lernen helfen." Dass seine Schule Flüchtlinge aufnehmen werde, das löste an der Schule große Begeisterung an der Schule aus, doch das Know-How fehle oft. Das bedrücke die Lehrkräfte, denn sie wüssten zu Recht nicht immer, wie sie etwas tun könnten. Der Direktor wünscht sich mehr Unterstützung. Konkret würde es einen Leitfaden oder ein Programm brauchen. "Wie man Flüchtlingskinder, die noch nicht Deutsch können, in den Unterricht besser einbindet. Weil wenn sie nur drinnen sitzen, verstehen sie nichts, das frustriert sie. Der Lehrer kann das aber auch nicht parallel auf ein Niveau runterbrechen von jemandem, der kein Deutsch kann. Da fehlen ihm das Know-How und die Zeit. Leitfäden, Materialien, dass man die Kinder, die im Regelunterricht sitzen, einbindet. Das wäre sehr hilfreich."

Schülerin Hand hält Puzzlestein

FM4 Irmi Wutscher

Viele LehrerInnen versuchen tagein, tagaus ihr Bestes und entwickeln ihre eigenen Konzepte. Das bedeutet aber auch sehr viel Aufwand. Würde das von einer zentralen Stelle kommen, wäre das eine gute Unterstützung, so Fleck. Der Direkter der AHS Anton-Krieger-Gasse ist zufrieden über die Leistungen seiner Schule. Die Kinder haben viel gelernt, auch jene, die die Schule verlassen werden, haben von diesem Schuljahr profitiert, ist er überzeugt. "Auch wenn ein Schüler geht, dürfen wir nicht vergessen: Ein Jahr hat er unsere Kultur gelebt. Ihm ist hier ein Jahr mit Wertschätzung, Respekt begegnet worden. Bei einigen glauben wir sogar, dass sie Matura machen werden in ein paar Jahren."

Nathalie merkt, wie bemüht die LehrerInnen sind. Auch sie bemüht sich. Noch weicht sie im Gespräch mit ihren MitschülerInnen auf Englisch oder auch auf Arabisch aus. "Man merkt schon, dass man hier viele Möglichkeiten hat. Ich möchte erst einmal Kindergärtnerin werden und später vielleicht dann Englisch studieren."