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Christoph Sepin

Pixel, Post-Punk, Psychedelia und sonstige Ableger der Popkultur

21. 6. 2016 - 11:58

Kleinstadtabenteuer

In ihrem ersten Buch "Elefanten treffen" präsentiert Kristina Schilke dreizehn Geschichten über die Tristesse des Kleinstadtlebens.

Waldesreuth, das ist der Name des erfundenen Schauplatzes von Kristina Schilkes "Elefanten treffen". Ein ruhiger Kurort in Bayern, in dem laut der dortigen Bewohner eh nie viel passiert. Bis dann doch was passiert. Denn Schilkes erstes Buch, nachdem sie in der Vergangenheit für "Spex" und die Soap Opera "Verbotene Liebe" geschrieben hat, ist voll mit Spannung und düsteren Momenten. Und vor allem mit den Überlegungen und Gedanken der Bewohner der Kleinstadt, die in der ländlichen Stille oft besonders laut werden. Dreizehn Geschichten über unterschiedlichste Menschen, die aus der Ich-Perspektive von ihren persönlichen Lebenswelten erzählen.

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Ich raste durch die Nacht. Betrunken konnte ich schon immer besser radeln als gehen. Die Sicherheit, die Langeweile, Waldesreuth war voll davon. Genauso wie die Brennnesseln überall einfach so wuchsen und einen beim Wandern an den Waden stachen.

Da gibt es einen Altenpfleger, der beim Fußballspielen sein Gesicht verliert, einen Jungen, der in der Nacht von Geistern besucht wird und ein Kind, das nicht so recht weiß, ob es geboren werden will. Die Figuren in den Geschichten reagieren auf die Herausforderungen, die sich ihnen entgegenwerfen, stoisch und passiv nachdenklich. Fast so als ob ein seltsamer Zauber über der Kleinstadt läge, der es den Charakteren unmöglich mache, aktiv Lebensentscheidungen zu fällen.

Kristina Schilke

Tanja Kernweiss

Kristina Schilke

Monotone Idylle

Kristina Schilke selbst ist in Russland geboren, aber im Bayerischen Wald aufgewachsen. In Grafenau um genau zu sein, einer 8.000-Einwohner-Stadt nicht weit von der tschechischen Grenze. Dass der Kurort als Vorlage für Schilkes Waldesreuth dienen durfte, ist naheliegend. Ein autobiographischer Text scheint "Elefanten treffen" aber nicht zu sein, zu unterschiedlich sind die Geschichten, die verschiedenen Lebensumstände der Figuren. Vielmehr demonstriert Schilke sich gekonnt in die Gedankenwelt ihrer Charaktere hineinversetzen zu können. Und analytisch auf die Spur zu gehen, warum Menschen so sind wie sie sind.

Im Grunde gab es das Leben vom Einsetzen der ersten Erinnerung bis sieben und dann folgte eine Pause, ein Wachkoma. Danach setzte das Leben wieder mit neunzehn ein und dauert bis jetzt an, und das sind immerhin schon zwölf Jahre. Aber die Schulzeit: Sie war bestenfalls langweilig, meistens schrecklich, und schlimmstenfalls hatte ich meinen Vater als Lehrer.

Schilke konzentriert sich auf die kleinen Details des Lebens, auf das Langziehen von kurzen Momenten. Wie das eben so ist am Land, wenn Sekunden zu Stunden werden und kurze Eingebungen zu existentiellen Reflexionen. Dadurch wird Waldesreuth zum Schauplatz zwischenmenschlicher Dramen inmitten von alltäglichen Situationen: Betrunkene Teenager, Selbsthilfegruppen und Erinnerungen an frühere Zeiten, bevor man jeden Tag Tabletten hat nehmen müssen.

Wir waren verwöhnt und wollten Komfort. Wir mochten die Landschaft hier, wir wollten an keinen Ort ziehen, an dem der Horizont flach vor uns lag. Oder, so muss ich es sagen, ich wollte das nicht, ich war verwöhnt.

Elefanten treffen Cover

Piper

Kristina Schilke: "Elefanten treffen" Piper Verlag, München/Berlin 2016

Je weiter man sich durch die Geschichten liest, desto vernetzter werden die Schicksale der einzelnen Figuren. Zusammenhänge werden erklärt, Zeitsprünge durch die Geschichte der Stadt gemacht und Waldesreuth wird zu einem realen, detailliert konstruierten Ort.

"Elefanten treffen" nimmt die Landmonotonie auseinander, lässt die Menschen, die sich darin geborgen fühlen und auch gar nicht weg wollen von dort, sich selbst analysieren. Antworten gibt es aber wenige. Vielmehr werden die Geschichten zur Projektionsfläche der eigenen Biografie, den eigenen Erwartungen, den eigenen Schlussfolgerungen, was das denn jetzt für Leute sind, aus deren Leben man hier liest.

Ein Buch über die Tristesse des Kleinstadtlebens ist Kristina Schilke damit gelungen. Für alle, die schon immer wissen wollten, wie das so ist, in der ländlichen Monotonie zu leben. Denn manchmal sind es die kleinen, nebensächlichen Dinge im Leben, die am spannendsten sind.