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Christian Fuchs

Twilight Zone: Film- und Musiknotizen aus den eher schummrigen Gebieten des
Pop.

20. 6. 2016 - 14:02

Eisige Hitze

Kontroversenkönig Nicolas Winding Refn erweist sich erneut als einer der visionärsten Gegenwartsregisseure. Einige Gedanken und Warnungen zu "The Neon Demon".

"Und das Neonlicht, es blendet mich. Es zeigt mich bleich, wenn’s in den Augen sticht" singt die deutsche Band Messer in einem ihrer mitreißenden Songs. Dabei zapfen die jungen Musiker aus Münster natürlich mit ihren plakativen Sätzen und den anklingenden Joy-Division-Gitarren eine ganz bestimme Quelle an. "Neon" lautete das Schlüsselwort schlechthin der frühen Achtziger Jahre.

Nach der Hippie-Ära mit ihrer überbordenden Gefühligkeit, dem omnipräsenten Kuschelzwang und den im Wind fliegenden Protest-Langhaaren, nach Free Love bei (Räucher-)Kerzenlicht und blumigem Barock als modischem Code, konnte es damals nur eine Form von Gegenrebellion geben.

Man betete die Kälte an, den Beton, die Neonbeleuchtung in U-Bahn-Schächten, gab sich freiwillig und lustvoll allem hin, was moderne Großstadtbürger in die Depression treibt. Szenelokale, auch in Wien, wirkten wie Gefrierschränke, in denen Frau und Mann ins Leere starrten, apathisch Cocktails schlürften oder zackig tanzten, wie Roboter aus einem Kraftwerk-Song. Kühle Liebe, kühle Küsse, kühler Sex im flackernden Neonlicht. Hört sich heutzutage verrückt an, war aber schon auch leider geil.

The Neon Demon

Thimfilm

"The Neon Demon"

Emotionale Erstarrung und unwirkliche Schönheit

Der dänische Regisseur Nicolas Winding Refn, geboren 1970, hat sich als Pubertierender eventuell noch nicht in einschlägigen New-Wave-Bars herumgetrieben. Aber er zehrt, seit seinem filmischen Neustart "Bronson", als er plötzlich zu einem zentralen Verherrlicher des Artifiziellen im Gegenwartskino mutierte, maßgeblich von der Frühachtziger-Pop-Ära und der dazugehörigen Stimmung.

Wie die Bands und Propheten dieser Zeit erregt sich Winding Refn (und seine Filme sind eine einzige Erregung, in vielerlei Hinsicht) an der Ambivalenz. Er zeigt Menschen, bislang vor allem einen bestimmten Männertypus, die mit ihren Gefühlen nicht umgehen können, die wie die Protagonisten aus frostigen Wave-Songs herumdriften, die sich wie Ryan Gosling im Neo(n)-Noir-Thriller "Drive" hinter einem Panzer aus Posen verschanzen.

In einer Spezialstunde in der heutigen FM4 Homebase spricht der gefeierte wie kritisierte Regisseur Nicolas Winding Refn mit Christian Fuchs über sein Schaffen. Über "The Neon Demon" und "Drive", über die Kunst, das Kino, Vorbilder, feministische Vorwürfe und seine Faszination für Musik.

Gleichzeitig weiden sich die Filme von Nicolas Winding Refn an der Entfremdung, ihre fast schon unwirklich schönen Bilder, stets unterbrochen von Eruptionen stilisierter Gewalt, setzen der emotionalen Erstarrung ein Denkmal. Und ja, Refn, nennen wir ihn ab jetzt NWR, knüpft natürlich auch ästhetisch an die Achtziger an, ohne dabei aber in einen reinen Retro-Gestus zu verfallen.

Drive

constantin film

"Drive"

Sterotypen und Schockstrategien

"The Neon Demon" treibt diese Hingabe an neonbeleuchtete Abgründe schon im Titel auf die Spitze, markiert aber einen Einschnitt im Schaffen des Regisseurs. Erstmals sind Männer auf sarkastische Nebenrollen reduziert, die strengen Tableaus gehören gänzlich weiblichen Figuren. NWR spricht selbst bei seinem "Teenage-Horrorthriller" von einem "Frauenfilm".

Dass genau dieser Zugang, in Verbindung mit der visuellen und inhaltlichen Palette des Dänen, manche feministische Kritikerin erst recht zu Hasstiraden treibt, war eigentlich vorherzusehen. Ziemlich sicher legte es der Mann, der die Provokation so sehr wie wenige seine Kollegen genießt, auch darauf an. Wie würden aber wohl sakrosankte Meilensteine des surrealen Horrors, wie Dario Argentos "Suspiria", denen "The Neon Demon" deutlich die Ehre erweist, heute ankommen? Mit ihren puppenhaften, nur grob skizzierten Frauenrollen, die direkt grimmigen Märchen entnommen sind? Verharren viele dieser Vorwürfe nicht an der Oberfläche und verhaken sich in simpelsten Stereotypen? Lauter Fragen, die mir nach der Pressevorführung durch den Kopf gehen.

Als ich den Film beim FM4 "Kino unter Freunden" zum zweiten Mal sehe, habe ich nicht nur ein spannendes, langes und verwirrendes Interview mit seinem Macher hinter mir. Ich sitze vor allem in einer großen Freundesrunde im Saal, inklusive selbstbewussten Frauen, die ihre eigene Form von Feminismus leben und atmen und die mit den Schockstrategien des zeitgenössischen Überwältigungskinos vertraut sind. Jeder von uns findet seinen eigenen Zugang zu "The Neon Demon", aber das Urteil ist einhellig: Der Film hypnotisiert. Fasziniert. Verführt. Bleibt in den Gedanken präsent.

The Neon Demon

Thimfilm

Elle Fanning und Nicolas Winding Refn

In der strengen Modekammer

Worum es in der bewusst minimalistischen Story von "The Neon Demon" geht? In schleichendem Tempo und strengen Tableaus erzählt der Film von Jesse, einem der unzähligen Nachwuchsmodels aus der Provinz, das in der Stadt der Engel sein Glück versucht. Die 16-Jährige, perfekt verkörpert von Elle Fanning, wirkt naiv, verstört, etwas unbeholfen, zumindest scheint es anfangs so. Vor allem aber ist Jesse etwas Besonderes. Sie hat das gewisse Etwas, das sich alle ihre überambitionierten Konkurrentinnen wünschen.

NWR inszeniert das karge Stück Handlung wie eine "America's next Topmodel" Show aus der (Arthouse-)Hölle, eisig und verschwitzt zugleich, als dekadenten Bilderrausch, der die Fashionwelt von L.A. als Raubtier-Zirkus zeigt, in dem es im wahrsten Sinn des Wortes um fressen und gefressen werden geht. Man kann sich in all die extreme Symbolik, die plakativen Metaphern, den glamourösen Mix aus Schönheit und Schrecken, der von der pulsierenden Musik von Cliff Martinez vorangetrieben wird, wohl nur hineinfallen lassen - oder eben den Zutritt zur strengen Modekammer bewusst verweigern.

Wer sich klassisches Thrillerkino erwartet, wird jedenfalls vom Regisseur schroff enttäuscht. Man muss "Drive", diesen Konsensfilm der Dekade, in seiner poppigen Machart, wohl definitiv als bisherigen Ausnahmestreifen in NWR's Karriere betrachten. "The Neon Demon", mitgeschrieben von zwei Bühnenautorinnen, fotografiert von der Ausnahmekamerafrau Natasha Braier, vollgepackt mit großartigen Auftritten von Jenna Malone, Bella Heathcote oder Abbey Lee, die alleine mit ihren Blicken und Gesten töten, steht lustvoll zwischen den Stühlen. Manche Szenen erinnern an sprödes Avantgardekino, dann weidet sich der Film knietief in der Tradition des Pulp-Exploitation-Trash-Kinos.

The Neon Demon

Thimfilm

"The Neon Demon"

Fatale Botschaften unter neonfarbenen Oberflächen

Was an den Werken des Regisseurs, der während des ganzen Interviews mit dem Schreiber dieser Zeilen sein leicht hämisches Grinsen nie verliert, oft übersehen wird: Die existentialistische Unerbittlichkeit und den Hang zu grausamen Wahrheiten, der unter all der verführerischen, neonfarbenen Oberfläche ruht und an Autoren wie Michel Houellebecq erinnert.

Während man die kontroverse Slow-Motion-Blutoper "Only God Forgives" mit ihren kaputten Beziehungen zwischen Thais und Farangs als pessimistische Absage an jegliche Annäherung zwischen "dem Fremden" und dem "Eigenen" lesen kann, hat "The Neon Demon" eine andere fatale Botschaft parat.

Refn Fuchs

FM4

Nicolas Winding Refn und der Autor

Diese zentrale Aussage kommt im Film aus dem Mund eines Modedesigners, der das bestechende, natürliche Aussehen von Jesse in höchsten Tönen als wertvollstes Gut des Universums lobt, während deren junger Freund den Kopf schüttelt. Glaubt er doch noch an Humanismus und innere Werte statt an pure Äußerlichkeiten. Du lebst in der falschen Zeit, am falschen Ort, in der falschen Welt, sagt uns sinngemäß der Designer, der wie ein Alter Ego von Nicolas Winding Refn anmutet: "Beauty isn't everything. It's the only thing."