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Robert Rotifer London/Canterbury

Themsenstrandgut von der Metropole bis zur Mündung: Bier ohne Krone, Brot wie Watte und gesalzene Butter.

20. 6. 2016 - 06:00

„Write a song I can lift me spirit / Write a song I can jig me foot.“

Laura Mvula ist unsere Artist of the Week. Ihr neues Meisterinnenwerk 'The Dreaming Room' geht spielend über alles hinaus, was die Konventionen des Popsongs erlauben. Die Geschichte einer Bekehrung.

Laura Mvula sagt, es war die Scheidung ihrer Eltern, die alles auslöste. Die Implosion des Idylls der „Trapp-Familie unserer christlichen Community“, wie sie es selbst sagt. Sie wuchs in Birmingham in einem religiösen Haushalt auf, in dem ihr Vater den Stellvertreter Gottes spielte. „Und dann war er weg, von einem Tag auf den anderen. Und ich kam drauf, dass er nur ein Mensch war, so wie ich.“

An diesem Punkt begann Laura Mvula, die gelehrige Musikstudentin, auf dem Weg zum Lehrerinnen-Beruf über ihre Rolle hinaus zu denken. Sich ihr Leben von Grund auf neu vorzustellen. Ein Gedankenflug, der 2013 zu ihrem Album „Sing to the Moon“ führte und jetzt mit „The Dreaming Room“ seinen vorläufigen Landeort gefunden hat.

Ich sollte hier ehrlich sein: Das Interview mit Mvula und somit die Beschäftigung mit ihrer Musik war eine jener Sachen, die einem als Journalist angeboten werden, ohne dass man danach gefragt hätte. Interessant genug und außerhalb meines üblichen Themenkreises, dachte ich, also sagte ich einmal ja, klickte auf den vom Label geschickten Stream und war augenblicklich gefangen in einer Mischung aus Begeisterung und Schuldbewusstsein.

Wie konnte es sein, dass das bisher an mir vorbei gegangen war? Dumme Frage, ich weiß es genau: Bei „Sing to the Moon“ wurde Laura Mvula als eine Art Neo-Soul-Sängerin vermarktet, die in das von der verstorbenen Amy Winehouse hinterlassene klaffende Loch etwas links von Adele passt.

Das war für sie wohl das Ticket zum Massen-Erfolg. Und für mich mein Ausschalt-Impuls. Es war allerdings auch kompletter Unsinn.

Insbesondere ihr in drei Jahren Arbeit entstandener neuer Wurf „The Dreaming Room“ ist ein perfekt auskomponierter Songzyklus voller überraschender, erfrischender Rhythmen- und Tonartenwechsel, der selbst in seinen quasi-kommerziellen Momenten wie der von Nile Rodgers' Gitarre geschmückten Single „Overcome“ weit darüber hinaus geht, was die Konventionen des Popsongs erlauben.

Laura Mvula

Sony

Freund_innen der Kunst von Prince, Brian Wilson, The Left Banke, Kate Bush, der Mittelperiode von Joni Mitchell, Mussorgski und Tschaikowksi (siehe das Nussknacker-artige Intro zu „Kiss my Feet“) sollten sich da gleichermaßen zuhause fühlen.

Diese Frau kann alles und mehr. Am Berührendsten vielleicht der Moment, wo eine kammermusikalische Version des Titelstücks von „Sing to the Moon („Renaissance“) in „Show Me Love“, eine traurig-schöne Hymne an ihre eigene gescheiterte Ehe, übergeht, die Gospel-artige Proklamationen mit Orchester-Arrangements wie aus „Bilder einer Ausstellung“ kombiniert.

Wie ihre Großmutter im (inszenierten?) Telefongespräch des Spoken Word-Tracks „Nan“ so treffend sagt: „Write a song I can lift me spirit / Write a song I can jig me foot.“

Laura Mvula zum Gespräch zu treffen, erfüllte alle Hoffnungen, die ich ihn sie hineinprojiziert hatte. Ein schlauerer, analytischerer Geist war mir kaum je (oder nie) gegenüber gesessen. Ich bin ja sonst nicht der Typ, der Interviews mit Umarmungen beendet, aber in diesem Fall...

Laura Mvula

Sony

Hier ein paar kleine Kostproben ihrer Weisheit:

„Es ist wichtig, dass man sagt, was man denkt. Ich habe verstanden, dass ich eine Plattform besitze. Und ich kenne zu viele Lügner_innen mit Mikrophonen. Wenn Menschen lügen und ein bisschen Macht besitzen, ist das ein Alptraum.

Ich hab heuer meinen Mund aufgemacht, als die Leute mich fragten, was ich von den Brit Awards halte. Und die Reaktion war: 'Oh mein Gott, Laura Mvula hat eine Meinung!'

Ich muss ehrlich sagen: Bei der ersten Kampagne für 'Sing to the Moon' war ich aus einigen komplexen Gründen sehr bedacht darauf, so unbedrohlich und liebenswert wie möglich rüberzukommen und bloß nicht anzuecken.
Freunde sagten: 'Warum sprichst du im Fernsehen so? Du klingst nicht wie du selbst.'

Das geht zurück auf meine Erfahrungen in der Volksschule. Wenn du ein dunkles Mädchen bist mitten in einem Meer von Leuten, die nicht so aussehen wie du, willst du eben akzeptiert werden. Ich wollte den Leuten keine Angst damit einjagen, dass ich eine dunkelhäutige Frau ohne Haare bin. Ich wollte mich nicht von ihnen entfremden, also war ich einfach nett. Es ging sogar so weit, dass ich unbewusst weiße Kleidung und hautfarbenes Make-Up trug. Alles, was mich heller machen würde.

Ich glaube nicht, dass die Musik unwahr war, aber die Art, wie sie präsentiert wurde, war etwas Anderes. Schwarze Frauen kommen oft auf mich zu und gratulieren mir zu meiner natürlichen Erscheinung. Zuerst dachte ich mir, ich sei ein Leuchtturm der Hoffnung, aber dann fragte ich mich: 'Was soll daran eigentlich revolutionär sein?' Ich sage und tue nichts besonders Radikales, aber wegen des Kontexts der Zeit und dem Klima, in dem wir leben, wird es so wahrgenommen.“

Zur Empowerment-Rhetorik rund um Beyoncé & Co:

„Ich hatte eine Konversation mit meiner Assistentin und meiner Schwester darüber. 'Warum kämpfe ich immer noch so mit meinem Körperbild?'

Wir sprechen viel über dieses Thema. Wie kommt es, dass ich zu anderen Themen so klare Ansichten vertrete und gleichzeitig immer noch so viele Probleme mit Dingen habe, von denen ich weiß, dass sie verkehrt, verdreht und einfach nicht in Ordnung sind.

Ich glaube, dass jeder Körper anders ist und Schönheit in sich hat. Aber ich weiß auch, wie weit ich selbst vom Ideal entfernt bin. Ich sehe Bilder von mir und hasse, wie ich aussehe.

In uns allen wühlt dieses seltsame Seilziehen mit den Bildern, mit denen wir aufgewachsen sind. Den Bildern der Beyoncés und Rihannas dieser Welt. Jessie J, Jess Glynne oder Ellie Goulding. Ich stelle diesen Kampf in mir wenigstens offen und ehrlich dar.

So gerne ich sagen würde: Yeah, Beyoncé, das war ein toller Moment mit 'Formation' – sie steht immer noch in Hotpants mit blondiertem Haar da. Es ist verwirrend, es ergibt keinen Sinn. Ich habe auch nicht alle Antworten, aber es ist wichtig, diesen Dialog offen zu führen. [...]

Wir tun so als hätten wir eine Diskussion, aber was wir wirklich besprechen, ist, wie großartig Beyoncé ist. Und deswegen versuche ich auch, meinen Fuß in die Tür zu kriegen. Nicht weil es mein Mädchentraum ist, so groß wie Beyoncé zu sein. Sondern weil es so toll wäre, wenn es etwas in der öffentlichen Wahrnehmung gäbe, das die Konversation öffnet.

In unserer Welt gibt es derzeit zu viel von dieser Master/Slave-Mentalität. Das ist, wie unsere Gesellschaft funktioniert. Da kann es nur eine Meisterin geben. Es gibt ja sogar diese Beyoncé Police, die einen zurechtweist, wenn man etwas Negatives über sie sagt. Das ist ja irgendwie lustig aber auch ein bisschen düster. Was bedeutet das eigentlich?

Ich will einfach mit diesen Leuten im selben Raum stehen. Nur weil ich nicht auf dieselbe Art sexy bin, sollte ich trotzdem das Recht haben, in diesem Raum zu stehen. Ich weiß, dass es viele Leute auf dieser Welt gibt, die das brauchen.“

Über die Komplexität ihres Songwritings:

„Das ist wichtig für mich. Es kommt daher, dass ich in der Kirche spielte. Und wenn ich 'Kirche' sage, dann denken die Leute, weil ich schwarz bin, muss das bedeuten, dass ich in einem langen Umhang da stand, in die Hände klatschte und eine Hammond-Orgel spielte.

Aber das war nicht die Kirche, in der ich aufwuchs, sondern eine Tradition, in der die Graham Kendricks dieser Welt, oder die modernere Version davon wie Tim Hughes und Chris Tomlin buchstäblich die Akkorde 1, 4 und 5 verwenden. Und das sind alle Farbtöne, die sie gebrauchen, um damit einen Gottesdienst zu malen.

Wenn ich in einer dieser Bands sonntags Klavier spielte, war es eine meiner Rollen als Bandleader, dass der Priester, sich zu mir drehte und mit seinen Fingern diese Geste machte, die bedeutete, dass ich unter ihm was spielen sollte. Mein Instinkt als kreativer Mensch war immer, zu fragen: 'Was passiert, wenn wir diese Harmonie umdrehen, wenn wir diese Akkorde durch andere ersetzen, wenn wir einmal NICHTS spielen oder den Takt wechseln?'

Einen Popsong zu schreiben kann sich wie die schwerste Bürde der Welt anfühlen. Heutzutage könnte das heißen, dass man etwas macht, das sehr ähnlich ist, wie das, was es schon gibt, und es nur leicht variiert.

Es muss auf diese oder jene Weise simpel sein, weil das Publikum sonst nicht mitkommt. Aber für mich bedeutet der Auftrag, einen Song zu schreiben, dass man buchstäblich alles tun kann, was man will.“

„Ich glaube ja nicht, dass ich so ein Genie bin, wie manche behaupten. So sieht das einfach aus, wenn jemand kreativ ist, so wie Millionen andere Leute auf dieser Welt auch.

Bloß ist unsere kommerzielle Welt so aufgestellt, dass Musik nicht mehr Musik ist, sondern nur mehr ein Bedarfsartikel aus Titten, Ärschen und Technobeats.“

Zum Song „Phenomenal Woman“:

„Ich wachte eines Tages auf, ich hatte das gleichnamige Maya Angelou-Gedicht gelesen. Es war ein Moment der Erleuchtung. Ich tanzte eine halbe Stunde lang nackt durch meine Wohnung, stellte mich vor den Spiegel ohne zu blinzeln, und ich spürte: Der Kern meines Seins ist in Ordnung, weder gut noch schlecht, er ist einfach.“