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Claudia Unterweger

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19. 6. 2016 - 14:04

Afros und Iros

Schwarze Gegenkulturen treffen aufeinander, wenn das Afropunk-Fest nach Paris ruft. Rückschau auf ein Festival jenseits üblicher Mehrheitsverhältnisse.

In der hellen Nachmittagssonne, gleich ums Eck vom Pariser Touristenviertel Montmartre: eine aufgebrezelte Crowd drängt sich vor dem alten Operettentheater Le Trianon. Kickoff beim Afropunk Paris.

Statt zerschlissener Jeans und ausgelatschten Turnschuhen versteht man hier unter „Festival-Outfit“ Bodenlanges und Catsuits, Piercings und African prints, Mohawks und Headwraps. Der Fancy Dress Ball am Eröffnungsabend - und die lässigen Sicherheitskontrollen am Eingang - lassen Frankreichs Terrorwarnungen, Hochwasser und Streiks so fern erscheinen wie der Mond.

More than just music

„This festival is as much about fashion as it is about music“, jubelt mir eine Modebloggerin ins Mikrofon. Sie ist zum ersten Mal beim Afropunk, extra mit Freundinnen aus Birmingham angereist. Das überschaubare 3-Tages-Festival in Paris Anfang Juni ist der perfekte Catwalk. Rundum wird fotografiert und geposed. Und anders als bei meinen bisherigen Festivalerfahrungen sind weiße Gesichter die Ausnahme.

Alle Sinne werden bedient. Vom Festival-Streetfood Truck weht der Duft von senegalesischem Poulet Yassa und gebratenen Kochbananen herüber. Drinnen im plüschigen Theater-Ambiente performt bereits Karol Conka, feministische afro-brasilianische Musikerin mit Superstar-Status in ihrer Heimat Brasilien. Zu synkopischen Baile-Funk-Beats schleudert sie ihren rauen Rap ins Publikum und fordert in ihren Lyrics, dass Frauen sich den Sex holen sollen, der ihnen taugt.

Karol Conka auf der Bühne

Claudia Unterweger / Radio FM4

Karol Conka

Wieviel Punk steckt noch in Afropunk?

Auch Punk- und Hardcore-Bands spielen bei den Afropunk-Festen, aber auf ein einziges Musikgenre lässt sich das Line-up nicht mehr eingrenzen. In Paris wechseln einander nigerianisch-französischer Party-Pop (Féfé), Punkrock aus Kanada (The OBGM’s) und brasilianischer Metal (Project Black Pantera) mit Hiphop von Angel Hazeund Saul Williams ab. Auch heiterer bis düsterer Elektro von Cakes da Killa und Gaika
(vor kurzem erst beim Donaufestival in Krems zu Gast) erwartet die BesucherInnen. Dazwischen gibt’s Retro-Soul von Michael Kiwanuka bis hin zu Faserschmeichler-Triphop à la Morcheeba.

Anm: *Schwarz wird hier als politischer Begriff durchgehend groß geschrieben, ähnlich wie die Schreibweise ‚Black‘ der Black Power Bewegung.

Vorbei ist die Zeit, als ab 2005 das Afropunk-Fest als Gratis-Open Air in Brooklyn vorwiegend Schwarze* Punkfans lockte. Nun schimpft nicht nur der New Yorker über „Verwässerung“ und „Gentrification“ des inzwischen kostenpflichtigen Afropunk-Fests, wodurch Schwarze Punk-Fans heimatlos gemacht würden.

Angel Haze auf der Bühne

Claudia Unterweger / Radio FM4

Angel Haze

Dabei entstand das Afropunk-Fest ursprünglich aus der Not genau jener afroamerikanischen und karibischen Jugendlichen heraus. Schon seit den Siebzigern lebten sie Punk als Gegenkultur, mit ihren eigenen Styles und Frisuren. Doch sie blieben vereinzelt und ausgeblendet inmitten einer meist eurozentrischen, weiß-dominierten Punkszene. In der legendären Doku Afro-Punk aus dem Jahr 2003 lässt sie Regisseur James Spooner zu Wort kommen. Rund um den Film wuchs die Schwarze Fanbase, bis zu regelmäßigen Festivals war es dann nicht mehr weit.

Tanzendes Publikum

Claudia Unterweger / Radio FM4

Politischer Anspruch und Kommerz

Heute steht Afropunk für eine kontinental übergreifende Festival-Institution mit Corporate Identity: Brooklyn, Atlanta, Paris. London folgt im September, Brasilia und eine noch nicht näher genannte afrikanische Metropole stehen auf der Wunschliste der Festivalleiterin Jocelyn Cooper. Abseits der Musikveranstaltungen ist afropunk.com Infoquelle und Vernetzungsort für Schwarze Gegenkulturen weltweit mit 9 Millionen Usern pro Woche. Der Spagat zwischen politischem Anspruch und Kommerzialisierung wird im Trianon Theater deutlich. Überall prangen die Trademark-Afropunk-Slogans für gegenseitigen Respekt.

Bierflasche mit Slogans

Claudia Unterweger / Radio FM4

Für aufrüttelnde Momente in der Partystimmung sorgen auch jene KünstlerInnen, die sich politisch kein Blatt vor den Mund nehmen. Wie ein Bürgerrechtskämpfer ruft Afropunk-Grand Seigneur Saul Williams im Columbo-Trenchcoat zum Widerstand gegen jede Form der Unterdrückung auf, seine verstörenden Visuals tun das Übrige. Für einen Gänsehaut-Moment im Saal ist gesorgt, als #BlackLivesMatter-Mitbegründerin Opal Tometi plötzlich von der Bühne in die Afropunk Paris-Crowd ruft, dass jedes Schwarze Leben wertvoll ist. Auch in Frankreich. Die Antwort liefert ein Konzertsaal voller in die Höhe gestreckter Fäuste.

Saul Williams vor einer Visualisierung mit der Aufschrift: The Slave Ship was insured

Claudia Unterweger / Radio FM4

Saul Williams

Thinking outside the box

Weiterlesen:

Christian Lehner über das Afropunk-Fest 2013 in NYC

„To get a sense of Afropunk you have to know what it is like to be alone, as a Black, as a Queer. And then to gather with others, and not to feel a weirdo anymore“, bringt es die junge Pariser Malerin Pauline NGouala auf den Punkt.

Was Punk aus der Sicht eines Schwarzen, queeren Artists noch bedeuten kann, ergänzt ein gut aufgelegter Cakes da Killa nach einer lasziven Show beim Afropunk Paris:

„My version of punk is ‘Cunt’. Cunt is just living as an outlaw doing what you wanna do as an effeminate man, or as a man who doesn’t live by the rules of gender binary. It’s thinking outside the box. That is kind of punk in itself for Black people.”

Künstlerin in jubelnder Menge

Claudia Unterweger / Radio FM4

Cakes da Killa