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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

19. 6. 2016 - 12:11

The daily Blumenau. EM-Journal '16-44, 19-06-16.

Der Wiedereinstieg in den Realismus. Die Nachlese zum 0:0-Sieg Österreichs gegen Portugal

The daily blumenau hat im Oktober 2013 die Journal-Reihe (die es davor auch 2003, '05, '07, 2009 und 2011 gab) abgelöst. Und bietet Einträge zu diesen Themenfeldern.

Das ist ein Eintrag ins EM-Journal '16.

Das war gestern und das ist der intensive Live-Ticker zum Spieklverlauf.

Die zweite Runde brachte bisher Rumänien vs Schweiz sowie Frankreich - Albanien weiters Russland gg Slowakei und England - Wales sowie Ukraine - Nordirland und Deutschland vs Polen. Dann war Schweden gegen Italien sowie Tschechien gegen Kroatien und Spanien vs Türkei

Das war Österreich gegen Ungarn, das ist die Analyse dazu, das dann noch Portugal - Island.

Die Klick-Übersicht übers Turnier mit den weiteren Erstrunden-Spiele: Frankreich vs Rumänien sowie Albanien - Schweiz und aus der der Gruppe B Wales vs Slowakei und England - Russland. So gingen Polen gegen Nordirland und Deutschland - Ukraine. Und das war Türkei - Kroatien und Spanien - Tschechien
Und dann noch Irland vs Schweden und -Belgien - Italien.

Offizielles gibt's auf uefo.com´und das ist die Info-Site von sport.orf.at.

Der Spielfilm zum gestrigen Match.

#PORAUT #emjournal16 #fußballjournal16

Die Frage, die gestern am öftesten gestellt wurde, war: "Was ist da eigentlich passiert?" Und das nicht, weil die Menschen, die das Match gesehen hatten, nicht verstanden hätten wie es verlaufen oder ausgegangen war, sondern weil das how come noch Rätsel aufgab.

Es war in jedem Fall der riskanteste Tanz, den Marcel Koller seiner (durch Roger Spry extrem tanzfitten) Mannschaft jemals aufgetragen hatte: einer am Gipfelgrat, einer auf der Rasierklinge. Und der tiefe Absturz, der scharfe Schnitt wären jederzeit möglich gewesen: Nanis Kopfball an die Stange, der vergebene Elfer, Ronalds Offside-Tor und noch gut zehn andere Szenen, in denen es jederzeit hätte klingeln können. Und höchstwahrscheinlich vorbei gewesen wäre. Eine Führung Portugals hätte das ÖFB-Team nicht mehr geholt, wäre gegen dann konternde Rote auf verlorenem Posten gewesen.

Das heißt nicht, dass der Matchplan ein herausbetoniertes 0:0 vorgesehen hat. Das war auch am Zeitpunkt der österreichischen Top-Chancen abzusehen: Minute 3 brachte den Sabitzer-Cross, den Harnik allein am langen Eck nicht unterbrachte; Minute 2 von Halbzeit 2 den Ilsanker-Flachschuß aufs lange Eck, den Rui Patricion nur mit Mühe wegblocken konnte. Der Wille mitzuspielen, die Basis des österreichischen Weges unter Koller, war da.

Kollers Spekulation, dass Portugal seine Mannschaft anders, angriffig und offensiv erwarten würde (etwas, was Fernando Santos im Nachhinein bestätigte) war Teil eines Verwirr-Spiels, das allerdings wiederum nur zum Teil aufging. Denn natürlich war der Koller-Plan auch darauf aufgebaut, dass Portugal besser kontrolliert werden würde, und sie zu deutlich weniger Chancen kommen würden - es sollte sich maximal im Bereich der Chancen gegen Island bewegen. Es wurden drei- bis viermal so viele.

Kollers Umstellungen waren personell zwar unerwartet, aber nicht per se spielverändernd: Prödl ersetzt Dragovic in der Innenverteidigung, Ilsanker rückt neben Baumgartlinger, dafür geht Alaba nach vorne in die Junuzovic-Position; Sabitzer kommt auf die rechte Seite statt des formschwachen Harnik - der aber ins Sturmzentrum rückt. Dort soll er seine Tugenden (Fahrt aufnehmen und losziehen) ausspielen.
Das ist ein durchaus vorsichtigeres 4-2-3-1 als das mit Junuzovic und dem immer wieder als Achter vorstoßenden Alaba, also die Bestformation des ÖFB-Teams. Auch weil Baumgartlinger in dieser Konstellation dann der spielerischere der beiden Sechser ist, aber bei weitem nicht die Ausflüge nach vorne unternimmt, die Alaba sonst so macht.

Defensiv steht diese Truppe genauso ihr 4-4-2, also in zwei Viererketten und mit zwei Störpressern vornedrin. Theoretisch. Denn Harnik war gestern entweder entschuldigt oder dazu nicht imstande.

In diesen österreichischen Plan griffen nun aber zwei unerwartete Faktoren ein:

  • 1) Alaba war völlig neben den Schuhen. Es war irgendwann in Halbzeit 2, als sein erster halbwegs relevanter Pass zum Mitspieler auch ankam. Davor lag seine Fehler-Quote bei über 90%. Und vor allem: es waren (in seiner Position logisch) die wichtigen, die letzten Passes. Dazu kam einmal auch ein prontogefährlicher Rückpass, der aussetzermäßig fatal an sein Malta-Eigentor erinnerte.
  • 2) Portugal interpretierte sein Offensivspiel noch deutlich fluider als das schon gegen Island der Fall war. Im Mittelfeld hielt überhaupt nur William Carvalho seine Position. Alles andere war in jeder einzelnen Situation komplett unausrechenbar. Man kann genauso von einem 4-3-3 (so standen sie bei jedem Anpfiff) als auch von einem 4-4-2 sprechen - sie haben beides gleichzeitig gespielt. Offenbar ein kreativer Kompromiss zwischen Fernando Santos, der das 4-4-2 aus dem Island-Spiel pflegen will und Cristiano Ronaldo, der wieder das alte 4-3-3 herbeisehnte, mit dem er bei Real super fährt, aber mit Portugal noch keinen Blumentopf gewonnen hat.

Also bewegten sich er, Nani und Quaresma letztlich situativ immer dorthin, wohin es sie gerade zog; und weil die drei einander lange kennen und eingespielt sind, klappte das auch. Weil Quaresma aber auch viele Etappen im Mittelfeld einbaute, waren Andre Gomes und auch Moutinho dazu gezwungen, das auszutarieren. Gomes, indem er immer die jeweils andere Seite (nicht den Flügel, den weiten Halbraum im Mittelfeld) suchte und Moutinho, der dann als finaler Ausbalanceur die Schwerpunkte legen konnte.

Eine fantastisch-kreative Spielanlage, die nur großen Teams gelingt. Und letztlich ist sie Portugal auch gelungen: sich so viele Hochkaräter herauszuarbeiten, bedeutet im Normalfall auch den Sieg einzufahren. Dass das nicht gelungen ist, hat vielleicht auch mit dem Jinx zu tun, der auf CR7 liegt (immer knapp zu scheitern ist auch kein Zufall), aber auch mit seiner teilweise erstaunlich pampigen Spieleinstellung (die er bei Real Madrid nie und im Team auch nur selten zeigt). Und mit der österreichischen Gegenwehr: vor allem der von Robert Almer, der sein Team im Spiel halten konnte.

Prödl und Hinteregger (der nicht weiß, dass er dringend einen Mentalcoach braucht, eine traurige Geschichte von fehlendem Selbstbild) waren immer wieder rechtzeitig dran, Florian Klein konnte Ronaldo öfter ärgern als zu erwarten stand, und links half Marco Arnautovic als Linksverteidiger aus, wenn es brannte.

Was ist also da genau passiert?
Österreichs Mannschaft, die nach Spiel 1 brutal von der Wohlfühl-Wolke gestoßen wurde, auf der sie durchs Turnier zu schweben gehofft hatte, war gezwungen wieder in ihren alles erkämpfen!-Modus zurückzukehren, der sie in der Quali geleitet hatte. Das half. Die kollektive Fehlpass-Quote des Grauens ging auf normale Maße zurück und beschränkte sich diesmal auf Alaba, dessen Quasi-Komplett-Ausfall das Team zwar schwerstens verunsicherte, aber nicht komplett aus der Spur warf. Und genau an dieser Tatsache zog sich die Mannschaft dann hoch und war imstande einen Widerstand zu leisten, der den Gegner in seinen Grundfesten erschütterte. Und: auch knapp vergebene Bälle oder ein knappes Offside, sind Teil einer solchen Verunsicherung.

Was da gestern also wirklich passiert ist, eigentlich, das ist eine kleine Wiederkehr des ÖFB-Teams, ihr Wiedereinstieg in den Realismus, ins echte Leben. Für einige Zeit, vielleicht schon seit der Qualifikation im Herbst hatte man da die Andockpunkte verloren, oder besser: sie waren leicht verrutscht.

Koller tut gut daran dieses Docking bis zum Island-Spiel noch zu verstärken. Denn erst dort kann sich die kleine Basis, die sich seine Mannschaft gestern Abend erarbeitet hat, dann auch vergolden.