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Maria Motter Graz

Bücher, Bilder, Kritzeleien. Und die Menschen dazu.

19. 6. 2016 - 10:52

"Don't write a bad peace poem"

Heute ist der internationale Tag gegen sexuelle Gewalt in Konflikten. Die Friedensnobelpreisträgerin Jody Williams hat andere Ideen als einen Gedenktag.

"Frieden ist weder ein Delfin noch ein Regenbogen. Schickt mir keine Gedichte zu Frieden und singt nicht Kum ba yah my Lord. Davon kriege ich Kopfschmerzen. Friedensarbeit ist harte Arbeit. Frieden bedeutet anzuerkennen, dass wir damit aufhören müssen, Krieg zu glorifizieren und anfangen, uns gegen Aufrüstung zu wehren", fordert Jody Williams auf der "Women For Peace"-Konferenz in Graz. Und sie meint es ernst. Denn schlechte Lyrik bekommt die amerikanische Menschenrechtsaktivistin und Friedensnobelpreisträgerin vielfach gemailt.

Jody Williams' erster Protest wandte sich gegen den Vietnamkrieg, danach arbeitete sie elf Jahre gegen Interventionen der USA in Nicaragua an. Ab 1991 beteiligte sie sich maßgeblich an einer Kampagne gegen Landminen, die zu einem internationalen Bann dieser Waffengattung führte (anders als über 160 Staaten unterzeichneten die USA die Ottawa-Konvention bis heute nicht) und für die Williams 1997 der Friedensnobelpreis verliehen worden ist.

Seit 35 Jahren ist Jody Williams in Grassroots-Aktivitäten involviert. Mit fünf weiteren Nobelpreisträgerinnen hat sie sich zur "Nobel Women's Initiative" zusammengetan, um die Anliegen von Frauenrechtsorganisationen bei allen, den Nobelpreisträgerinnen gebotenen Gelegenheiten vorzubringen. "Es gibt genug Resolutionen der Europäischen Union, der Vereinten Nationen, jedermanns Resolutionen. All diese Wörter auf Papier müssten in die Praxis umgesetzt werden. Warum braucht es einen neuen Aktionsplan, um sexuelle Gewalt in Syrien und im Irak zu beenden? Warum setzen die Vereinten Nationen nicht all das um, wofür sie sich selbst seit fünfzehn Jahren loben?", äußert sich Jody Williams kritisch. "Walk the talk!", fordert die US-Amerikanerin neben Unterstützung - vor allem finanzieller - für Frauenorganisationen.

1% aller Mittel gehen an Frauenorganisationen

Denn Tatsache ist: Nur ein Prozent aller finanziellen Unterstützung der OECD-Länder wird Frauenorganisationen zugewiesen. "Das spiegelt wider, wie wenig Frauen ernstgenommen werden", so die Friedensnobelpreisträgerin Williams. Die Aktivistinnen arbeiten vielfach auf regionaler Ebene, mit hunderten Frauen, doch das wäre den Institutionen nicht genug, um sie zu bewerben. Frauen tragen aktiv zu Friedensprozessen bei. "Die OECD-Länder würden den Frauen an der Frontlinie während Kriegsgeschehen Ressourcen geben, würden sie diese ernstnehmen. Aber das machen sie nicht. Die Institutionen geben sich gegenseitig Gelder, doch nicht den Leuten, die die Arbeit leisten."

Die Friedensnobelpreisträgerinnen Jody Williams flüstert ihrer Kollegin Rigoberta Menchú Tum etwas ins Ohr

Maria Motter

Wenn man sage, man sei ein Friedensaktivist, wäre die Antwort, du bist eine Baum-umarmende Liberale. Jody Williams und Rigoberta Menchú Tum in Graz

Die Anwältin Letitia Anderson, die im Office of the Special Representative of the Secretary General for Sexual Violence in Conflict bei den UN in New York arbeitet, teilt die Kritik. Den neu geschaffenen internationalen Tag gegen sexuelle Gewalt in Konflikten versteht sie jedoch als Anlass für Länder, auf nationaler Ebene auf Organisationen aufmerksam zu machen, die gegen gender-basierte Gewalt und gegen sexuelle Gewalt arbeiten, und für Geldgeber, Ressourcen zur Verfügung zu stellen.

Schockierende Fakten liefert Anderson anhand des ersten und kürzlich veröffentlichten Berichts zu neunzig Staaten, in dem 48 Gruppen und deren sexuelle Gewalttaten gelistet sind. Grauenhafte Erkenntnis: "Das ist jenseits einer Degradierung zum Objekt, das ist Kommodifizierung von Mädchen und Frauen, d.h. sie werden zu Waren gemacht", sagt Anderson. Obwohl sich der Diskurs über die Finanzierung des Terrors des sogenannten Islamischen Staats meist auf die Schwarzmärkte von Öl und Antiquitäten bezieht, ist der Menschenhandel ein wesentlicher Wirtschaftsfaktor geworden.

"Es gibt Sklavenmärkte in Raqqa und dasselbe geschieht online. Beispielsweise wird die Verschlüsselungsapp Telegram genutzt, um auf Mädchen und Frauen online zu bieten", sagt Anderson im Interview. Für den sogenannten Islamischen Staat sind Zwangsheiraten, sexuelle Versklavung, Frauenhandel und das Wieder-Freikaufen von Mädchen und erwachsenen Frauen zu signifikanten Transaktionen geworden.

Wirtschaftsfaktor: Sexuelle Gewalt

54 Millionen US-Dollar hat der sogenannte IS 2014 mit dem Handel von Mädchen und Frauen, sowie durch bezahltes Lösegeld für vom sog. IS entführte Mädchen und Frauen erwirtschaftet. Im Jänner 2015 allein bekam der sog. IS 850.000 US-Dollar von jesidischen Familien im Irak, die an die 200 Angehörige frei kauften. Auch die islamistische Terrorgruppe Boku Haram verübt systematisch sexuelle Gewalt, ebenso Gruppen in Somalia und Mali.

Den Zugriff auf Gelder zu sperren und bestimmte Korridore zu schließen, sei ein Weg, gegenzusteuern. "Sexuelle Gewalt als Terror-Akt und -Taktik anzuerkennen und dies in nationale Gesetzgebungen zu verankern, würde sicherstellen, dass Überlebende mit anderen Terroropfern gleichgestellt werden", so Anderson. Der UN-Angestellten ist klar, dass die Dokumentation dieser Verbrechen erst als Beweismittel dienen kann, wenn Mechanismen zur Ahndung geschaffen sein werden. Die Friedensnobelpreisträgerin Rigoberta Menchú Tum, selbst Opfer sexueller Gewalt, kämpfte in ihrer Heimat Guatemala 35 Jahre um eine Verurteilung der Täter.

Staatliche sexuelle Gewalt

Vergewaltigung sei nicht einfach allein eine Tat von Terroristen, stellt Jody Williams im Interview klar: Staatlicher Terror tut Menschen dieselbe Form von Gewalt seit Generationen an. Aktivistinnen fürchten, dass die Problematik nicht umfassend behandelt wird, spreche man nur über Terroristen.

"Schaut in den Sudan und nach Darfur. Wir hören das immer und immer wieder: Wenn wir unsere Geschichte nicht verstehen, sind wir dazu verdammt, sie zu wiederholen. Reist nach Bosnien und sprecht mit den Frauen. Mehr als zwei Jahrzehnte streben sie Gerichtsverfahren an", so Jody Williams. "Aber jetzt geht es um Syrien und den Irak, auch das völlig zurecht. Aber um Himmels Willen, wie ergeht es den Bosnierinnen? Was ist mit den Maya-Frauen in Guatemala? 200.000 Mayas wurden ermordet, Vergewaltigung war die Kriegstaktik des Staates."

Die Friedensnobelpreisträgerinnen Jody Williams und Rigoberta Menchú Tum sitzen auf einer Couch und geben sich die Hand, sie sind Freundinnen

Maria Motter

Friedensnobelpreisträgerinnen und Freundinnen: Jody Williams und und Rigoberta Menchú Tum in Graz

Sexuelle Gewalt ist ein Mittel, Gesellschaften zu zerrütten. In Syrien werden die Kinder vergewaltigter Frauen nicht registriert, sie erhalten keine Dokumente. Abtreibungen sind in Syrien verboten. Opfer sexueller Gewalt werden gesellschaftlich geächtet und von ihren Familien oftmals verstoßen. Die syrische Gesetzgebung unterstützt Überlebende nicht. Auch häusliche Gewalt ist kein Thema: Zu Vergewaltigung in der Ehe und Gewalt des Partners gibt es keine Gesetzgebung.

Chahnez Abdulghafour ist selbst Opfer sexueller Gewalt. Heute ist sie vierzig, 35 Jahre ihres Lebens ist sie sexueller Gewalt ausgesetzt gewesen. Ihr Vater war politisch aktiv, wurde bei lebendigem Leib verbrannt und seine Angehörigen verfolgt. Abdulghafour wurde in einem der Foltergefängnisse in Aleppo gefangen gehalten. Inzwischen gebe es 75 solcher Gefängnisse.

Augenzeuginnen:
Die aufrüttelnste Session der "Women For Peace"-Konferenz in Graz kann man hier nachsehen.

"Ich kenne Mädchen unter 18 Jahren, die gezwungen worden waren, sechzigjährige Männer zu heiraten", sagt Chahnez Abdulghafour. "Wie werdet ihr, die ihr in einer sicheren Nation lebt, uns schützen? Wie kommen wir wieder zu unseren Rechten? Ich will keine Schauergeschichte im Fernsehen sein, wir brauchen Gesetze, die uns schützen."

Sexuelle Gewalt an Buben und Männer

"Wo Krieg herrscht, wird vergewaltigt. Und diese Vergewaltigungen haben unterschiedliche Formen. Was wir mehr und mehr registrieren, sind Vergewaltigungen von Buben und Männern in Gefangenenlagern, um Geständnisse zu erpressen oder an Informationen zu kommen", sagt die Anwältin Letitia Anderson. Oftmals werden die Vergewaltigungen als Folter vermerkt und sexualisierte Folter wird bislang nicht eigens in UN-Berichten notiert. Zahlen dazu gibt es noch keine, aber Berichte zu Syrien und Irak, als auch von der Zentralafrikanischen Republik. 62 Länder, die den Vereinten Nationen angehören, betrachten Vergewaltigung von Männern nicht als Verbrechen.

Umso wichtiger ist die Unterstützung lokaler Organisationen von Zivilistinnen. Jody Williams und ihre Kolleginnen von der "Nobel Women's Initiative" unterstützen Basisbewegungen von Frauen, die sich nachhaltig für Frieden und Gleichberechtigung einsetzen.

Die Friedensnobelpreisträgerinnen Jody Williams und Rigoberta Menchú Tum tauschen Blicke aus

Maria Motter

"Um welche Thematik auch immer es geht: Wer sich an die Zivilbevölkerung wendet, muss bereit sein, uns zuzuhören. Und uns zu antworten. Denn wir werden nicht verschwinden", gab Jody Williams auch als Replik an Ursula Plassnik, die in Graz zu den Frauen meinte, sie könnten gern noch schriftliche Bemerkungen einschicken, diese werde sie dann in einem Papier berücksichtigen.

Eine Nobel Men’s Initiative hat es übrigens niemals gegeben. Williams holt aus: Frauen halten zusammen und unterstützen einander, Männer gewinnen erstmal für sich. Jody Williams sagt, der Friedensnobelpreis hätte sie eher aufgebracht, als gefreut. Erst mit der Nobel Women’s Initiative kann sie einen Sinn in der Anerkennung durch das Osloer Komitee erkennen. Kürzlich war sie mit fünfzehn Maya-Frauen zusammen, deren Vergewaltiger nach über dreißig Jahren gerichtlich verurteilt wurden. Diese Frauen und die syrischen Frauen, die auch in Graz darüber berichteten, was ihnen angetan worden ist, seien Williams' Heldinnen. Nicht berühmte Personen.