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Jan Hestmann

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FM4 Internet-Redaktion
Filme, Politik, Mobile-Zeugs

22. 6. 2016 - 12:03

Der Snapchat-Horrorfilm

Der Teenie-Schocker "Sickhouse" ist komplett auf Snapchat entstanden. Mit dem Smartphone gedreht und "made for mobile", also vertikal. Besetzt mit jungen Instagram-Stars.

sickhouse

Indigenous Media

Allmählich sickert der Instant-Messaging-Dienst Snapchat in den virtuellen Mainstream ein. Medienunternehmen, die einen jungen und innovativen Ruf wahren wollen, scheinen sich zwangsläufig damit auseinandersetzen zu müssen. Die primäre Zielgruppe, junge Smartphone-affine Menschen, nutzt Snapchat schon längst und ganz selbstverständlich. Daher ist es gar nicht so verwunderlich, dass jetzt ein Horrorfilm online erschienen ist, der ausschließlich via Snapchat gedreht worden ist.

Sickhouse ist auf Vimeo on Demand erschienen und kann dort gekauft und gestreamt werden.

Dass man mit einem Smartphone Filme machen kann, die sogar auf der Kinoleinwand gut aussehen, hat uns zuletzt Sean Baker mit seinem Kunststück Tangerine eindrucksvoll bewiesen. Sickhouse allerdings verfolgt eine ganz andere Linie. Auf der Kinoleinwand gut auszusehen, war kein Kriterium bei der Gestaltung des 68-minütigen Teenie-Schockers, in dem vier Jugendliche einen Trip unternehmen, um das Mythen umrankte Sickhouse zu finden.

Goodbye Breitbild?

Die Filmemacherin Hannah Macpherson (schon für große Hollywood-Produktionen, dort aber primär im Casting-Bereich tätig) setzt konsequent auf die Zeichen der Zeit und hat einen Film gemacht, der nicht nur mit einem Smartphone aufgenommen worden wurde, sondern auch explizit "made for mobile" ist, sprich vertikal. Anders hätte es auch gar nicht funktioniert, denn gearbeitet hat Macpherson ausschließlich mit Snapchat und das bedeutet nun mal vertikales Filmen. Diese Vorstellung mag so manchen CineastInnen sauer aufstoßen, ganz aus der Luft gegriffen ist das aber auch nicht. Denn das Smartphone ist unbestritten der Bildschirm, auf den wir täglich am häufigsten starren (Tendenz steigend). Produziert wurde der Film von Indigenous Media, die sich dem Produzieren für "emerging platforms" verschrieben haben.


2012 noch ein guter Gag, wirkt dieses Video in Zeiten von Snapchat fast schon veraltet.

Okay, also vertikal in die Zukunft. Aber wozu nun Snapchat? Der Instant-Messaging-Dienst ermöglicht es Bilder oder Videos bis zu maximal 10 Sekunden zu "snappen". Das führt schon mal dazu, dass man ständig mit neuen Bildeinstellungen konfrontiert ist. Supereinfach können außerdem Schrift, Emoticons oder Zeichnungen über das Bild gelegt werden. Das passiert alles direkt am Handy, bringt also eine gewisse Spontanität mit sich. Schnelllebiger und intuitiver als seine etablierten Social Media-Verwandten, spricht Snapchat daher besonders jüngere Generationen an, die mit dem Smartphone selbstverständlicher agiert, als je eine Generation zuvor .

"Selfie Nation"

Im Film "Sickhouse" begleiten wir eine Gruppe von vier Jugendlichen auf einem Trip in ein abgelegenes Häuschen im Wald, das Sickhouse, wo in der Vergangenheit sehr eigenartige Dinge vor sich gegangen sind. Ironisch gehen die ProtagonistInnen im Gespräch mit ihrer Generation um, bezeichnen sie als "Selfie Nation" oder stempeln Social Media als Plage ab. Gleichzeitig wird das Smartphone aber so gut wie nie aus der Hand gegeben und jeder Moment gesnapt. Snapchat wird damit zum Vermittler einer pseudodokumentarischen Handlung.

Bemerkenswert ist, dass der Film innerhalb einer Zeitspanne von fünf Tagen entstanden ist und die ProtagonistInnen in Echtzeit aufgenommen haben. Der Faktor Improvisation ist hier wohl ein wesentlicher. Aus all diesen einzelnen, maximal 10-sekündigen Snaps hat Hannah Macpherson "Sickhouse" zusammengesetzt.

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Screenshot/Sickhouse

Ganz neu ist das natürlich nicht. Blairwitch Project, Cloverfield, REC, und und und. Sie alle haben das Genre des Found Footage längst geprägt. "Sickhouse" reiht sich hier ein, das Spiel der ProtagonistInnen mit der Kamera, also das Sich-Selber-Filmen, kommt aber noch selbstverständlicher und natürlicher rüber, als bei seinen Vorgängern und ist, nicht zuletzt durch die Snapchat-Ebene, ein interessantes Zeitdokument der Generation "Selfie". Auch die Darstellung dieses scheinbaren Widerspruchs, also dem kritischen Mendienumgang einerseits und der schon automatisierten Implementierung des Handys in jede Lebenslage andererseits, lässt "Sickhouse" authentisch wirken.

Instagram Stars

Found Footage neigt tendenziell dazu, die Grenzen zwischen Realität und Fiktion verschwimmen zu lassen. Ein wichtiger Faktor dafür ist die Besetzung. Denn die ProtagonistInnen, die in "Sickhouse" Social Media-Stars spielen, sind solche auch im wirklichen Leben. So hat Andrea Russett's Instagram-Account etwa 3,4 Millionen AbonentInnen. Sean O'Donnell kommt immerhin auf eine Million. Der Snapchat-Account @andwhizzle, der uns den Sickhouse-Trip eröffnet, ist auch tatsächlich Andreas echter Account.

"Snapchat's not a documentary, it's just stuff"

...erklärt uns ein Protagonist einmal vor der Kamera. Und das ist das, was den Film ungewöhnlich macht (abgesehen vom Seitenverhältnis). Wie auch auf Snapchat bekommt man tatsächlich über lange Strecken unzählige Snaps serviert, die die Story nicht sofort sichtbar voranbringen wollen. Die Snaps werden oft mit Schrift und Zeichnungen überlagert - insgesamt wirkt das Medium selbst, also die App Snapchat, zunächst viel zu dominant dem Inhalt gegenüber. Erst gegen Ende, wenn sich die Situation der vier Teenager zuspitzt, werden diese Elemente mehr und mehr vernachlässigt.

Ganz ohne Nachbearbeitung geht es dann aber doch nicht, jedenfalls was die Tonebene betrifft. Da ist sehr konventionell dem Horrorgenre entsprechend nachgeschraubt worden, um Schreckmomente auch wirklich zünden zu können.

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Screenshot/Sickhouse

Die große Überraschung ist, dass der Film trotz der dominanten Snapchat-Ästhetik (oder gerade deswegen?) als Gesamtwerk funktioniert. Auch die anfängliche Skepsis darüber, einen ganzen Film auf dem Smartphone konsumieren zu müssen, relativiert sich bald. Das hat klarerweise mit User-Gewohnheiten zu tun und wird nicht für jede/n funktionieren. Eine kurios gelungene Machtdemonstration des Smartphones und dessen Auswüchse ist es aber allemal.