Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Homophobie tötet"

Christian Pausch

Irrsinn, Island, Ingwer.

17. 6. 2016 - 11:42

Homophobie tötet

In einem LGBTIQ-Lokal in Orlando, Florida, wurden 49 Menschen ermordet, doch die Medien berichten über EM und Brexit. Ein Kommentar.

Nach dem Terroranschlag im Pariser Club Bataclan waren wir alle mehr als geschockt. Mit „wir“ meine ich uns alle hier bei FM4, Mitarbeiter_innen, wie Hörer_innen, die dazugehörigen Freundeskreise, all unsere Eltern und Verwandten. Denn wir alle genießen in irgendeiner Form Kultur. Wir gehen zu Konzerten, zu Ausstellungen, gehen gerne essen, wenn es das monatliche Budget zulässt. Wir alle hätten dort stehen können in diesem Konzertsaal, denn wir tun es in den Städten, in denen wir leben, Tag für Tag.

Das war ein Schlag mitten ins Herz unserer gemeinschaftlichen Lebensweise. Dass das Ganze nicht in den waffennarrischen USA, sondern hier in Europa stattgefunden hat, dass es eine FM4-Band war, die im Bataclan gespielt hat und dass es eine österreichische Vorband gab, hat das ganze nicht einfacher gemacht, sondern die schrecklichen Morde noch näher an uns, an mich, herangetragen.

Noch nie ist mir ein Terroranschlag so nahe gegangen.
Bis jetzt.

Ein Anschlag auf LGBTIQs

Das Pulse in Orlando ist ein Ort für LGBTIQs und ihre Freund_innen. Ein sogenannter "Schwulen-Club", der in der Wahrnehmung der Mehrheitsbevölkerung nicht mehr sein kann als ein Ort zum Aufreißen, ein Ort der Darkrooms und Diskokugeln. Tatsächlich ist das Pulse all das und gleichzeitig so viel mehr, was für die meisten heterosexuellen Menschen nur schwer vorstellbar ist, weil sie einen solchen Ort nie gebraucht haben, nie brauchen werden.

Marea Alta, Türkis Rosa Lila Villa, Rhinoplasty, Pulse - es sind lebenswichtige Orte des Ausprobierens. Mit Ausprobieren meine ich nicht nur: mal öffentlich küssen, mal öffentlich Händchen halten, sondern auch, einfach beieinander zu sitzen und keine Angst haben zu müssen. Angst aufzufallen, Angst etwas Falsches (sic!) zu sagen oder zu tun. Das können Bewegungen sein, ein zu schrilles Lachen, ein zu kurzer Haarschnitt. Diese Angst (zumindest temporär) loszuwerden muss man üben, muss man sich antrainieren, wenn man überleben will. In diesen und ähnlichen Lokalen zwanzig Mal ausprobiert, und schon traut man sich auch ins Kaffeehaus mit dem neuen Schwarm, in die U-Bahn trotz Drag-Outfit, ins Schwimmbad trotz Operations-Narben.

regenbogenflagge

gemeinfrei

Die Notwendigkeit von Safe Havens

Wichtig auch: Nicht weil man sich abgrenzen will, sondern weil man abgegrenzt wird, braucht es solche Orte und aus dieser Not und Notwendigkeit heraus, gibt es sie auch. Es ist eine Wohltat, wenn man sich nach einem langen Tag im Büro, wo man aus verschiedensten gesellschaftlichen Gründen ungeoutet ist, in ein Sofa in der Türkis Rosa Lila Villa fallen lassen kann. Es ist eine Wohltat, wenn man nach einer langen, anstrengenden Woche, in der man wiedermal die Familie belügen musste, weil man Angst davor hat, sie könnten „es“ herausfinden, mit Freund_innen im Pulse tanzen kann.

Die Kraft, die man an diesen Orten als LGBTIQ-Person schöpfen kann, ist der wirksamste Schutz gegen Homophobie. Jene Homophobie, die Jugendliche rund um die Welt und rund um die Uhr in den Suizid treibt.

#Orlando

Wie die Medien und auch die sozialen Medien mit dem Fall #Orlando umgehen, spiegelt die Schieflage in unserer Gesellschaft wieder. So schön einfach wäre es gewesen, wieder einmal den IS anzuklagen, diese geographisch weit genug entfernte und doch so bedrohliche und eindeutig böse Terror-Organisation. Die eigentliche Ursache ist allen aber viel zu kompliziert, dabei aber in diesem ach so westlich-fortschrittlichen Teil der Welt, wo Orlando und Wien liegen, viel präsenter: Homophobie.

Es geht im Fall von Orlando nicht nur um die Homophobie, die den Täter gegen seine Opfer aufgebracht hat, sondern vor allem auch um jene Homophobie, mit der der Täter anscheinend in sich selbst zu kämpfen hatte. Ihm hat das Pulse als Ort der Akzeptanz nicht helfen können, obwohl er selbst dort Stammgast war. Den 49 Ermordeten war es aber Heimat, Ruheort und Partyclub zugleich.

Dass Homophobie nicht durch drei Gay-Bar-Besuche ausgetrieben werden kann, ist klar. Woran es fehlt, ist staatliche Präventionsarbeit, mutige mediale Berichterstattung und mehr Förderungen für Einrichtungen solcher Art. Bis dahin gibt sich die Politik samt Medien "weltoffen-westlich", zeigt sich empört wenn die Homo-Ehe immer noch nicht da ist und... verstummt, wenn Homo- und Transphobie töten.

Orlando, das war kein abstrakter Akt des Terrors, das war ganz nah an uns dran, viel zu nah. Die Frage ist, warum nur an uns und nicht auch an euch?

orlando

Pulse Orlando

Dass es in Xalapa (Mexiko) im Juni dieses Jahres bereits einen Terroranschlag auf eine Gay-Bar mit Dutzenden Toten gegeben hat und es in europäischen Medien kaum ein Wort dazu zu lesen gab, geschweige denn eine Art der Empörung im europäischen Facebook, zeigt nicht nur, wie homophob, sondern auch wie rassistisch die Medien und wir alle agieren. Dass es sich bei den Opfern im Pulse in Orlando zu einem Großteil um Amerikaner_innen mit spanischen Nachnamen handelte, hat sicher auch seinen rassistischen Teil zum Abflauen der allgemeinen Trauer beigetragen. Und dass wir uns bei keinem einzigen Terroranschlag mehr wundern, warum die Täter fast immer Männer sind, zeigt noch dazu den festgefahrenen Sexismus in Medien und Gesellschaft.

Ja, wir können leider viel lernen aus dem Umgang mit #Orlando.

Auf die Straße!

Am Samstag findet in Wien die alljährliche Regenbogenparade statt, unter dem schönen Titel „Grenzen überwinden“, und auch in anderen österreichischen Städten gibt es im Juni, dem weltweiten Pride-Monat, ähnliche Veranstaltungen.

Die Regenbogenparade ist und bleibt zuallererst eine Demonstration. Nur dem mühevoll in Orten wie dem Pulse erarbeiteten Selbstbewusstsein der LGBTIQ-Community ist es zu verdanken, dass es eine Demonstration ist, bei der man auch feiern kann. Zu betrauern gäbe es allerdings genug.