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16. 6. 2016 - 15:25

Games, Nazisymbole und die Kunst

Fast ein Jahr verspätet erschien im Juni die deutschsprachige Version des Strategiespiels "Hearts of Iron IV". Entfernte Nazisymbole und andere Anpassungen für den deutschen und österreichischen Markt werden emotional diskutiert.

In "Hearts of Iron IV" kontrollieren Spielerinnen und Spieler die Armeen des Zweiten Weltkriegs und beschäftigen sich auch mit Waffenforschung, Diplomatie und Friedenskonferenzen. Rund um die Diskussion über die in der deutschprachigen Version entfernten Nazisymbole bilden sich zwei Lager: Befürworter berufen sich auf die in Deutschland und Österreich existierenden gesetzlichen Verbote, Kritiker sprechen von überbordender Zensur.

Hearts of Iron

Paradox Interactive

Abzeichen und Bilder von Hitler entfernt

Der schwedische Publisher Paradox hat das Spiel zwingend mit der Onlineplattform Steam gekoppelt: Dort muss das Spiel aktiviert werden, auch wenn man ganz altmodisch die Schachtel im traditionellen Handel gekauft hat. Geoblocking verhindert, dass man von Deutschland oder Österreich aus die internationale Version spielt.

In der deutschen Version des Spiels wurden Bilder der Nazi-Generäle sowie die Totenkopf-Abzeichen von SS-Soldaten entfernt. Auch Audiodateien und Grafiken in bestimmten Events wurden verändert, außerdem alle Bilder von Adolf Hitler entfernt. Hakenkreuze mussten hingegen nicht extra entfernt werden, da auch in der internationalen Version des Spiels keine vorkommen.

In Deutschland ist gemäß §86a StGB das Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen verboten. Das gilt allerdings nicht, wenn die Nutzung "der Kunst oder ähnlichen Zwecken" dient. Auch in Österreich, wo das Verbotsgesetz 1947 die nationalsozialistische Wiederbetätigung unter Strafe stellt, ist die Darstellung von Nazisymbolen in der Kunst, beispielsweise die Hakenkreuzfahne im Film "Der Bockerer", erlaubt.

Kunstfreiheit ja, Games umstritten

Ob das auch Videospiele betrifft, ist aber in Deutschland, wo die meisten Games auch für den österreichischen Markt verlegt werden, umstritten. Das letzte Urteil dazu fällte das OLG Frankfurt im Jahr 1998. Damals entschied das Gericht, dass das Videospiel "Castle Wolfenstein 3D" nicht der Kunst oder ähnlichen Zwecken diene. Damit das Spiel in Deutschland veröffentlicht werden konnte, mussten darin enthaltene Hakenkreuze entfernt werden. Aus dem Urteil des Jahres 1998 erklärt sich also die Bereitschaft der Publisher heute, die deutschsprachigen Versionen von Videospielen zu verändern.

hearts of iron 4

Screenshot / Paradox Interactive

"Warum sind Hakenkreuze in Videospielen eigentlich keine Kunst?", fragt deshalb der Heise-Journalist Fabian Scherschel in einem Kommentar vom 6. Juni. Dass der Publisher Paradox in vorausseilendem Gehorsam die Portraits deutscher Nazigrößen aus "Hearts of Iron IV" entfernt habe, zerstöre die historische Atmosphäre des Spiels, das eigentlich Militärstrategie und Diplomatie im Zweiten Weltkrieg möglichst genau nachzubilden versucht.

In Kino und Fernsehen, so Scherschel, würden Nazis nicht nur in historisch orientierten Werken wie "Der Untergang" prominent in Szene gesetzt, sondern auch in albernen Titeln wie "Inglourious Basterds" und "Indiana Jones". Der Autor fordert daher, Videospielen das gleiche Maß an Kunstfreiheit einzuräumen wie den Produkten der Filmindustrie.

Computerspiele als Relativierung?

Nicht alle sind mit Fabian Scherschel einer Meinung. Leser Carbidschieter schreibt, eine geschichtslose und wohlstandverwahrloste Generation von Videospielern habe uns die Wiederauferstehung der Nazis beschert:

"Durch ihr infantiles Gedaddel am PC ist ihnen nämlich jeglicher Realitätssinn abhanden gekommen, sie haben sich in eine Traumwelt zurückgezogen statt sich politisch zu betätigen. Die AfD erhält auch deshalb so viel Zulauf aus der bürgerlich-dekadenten Klasse, weil auch durch Computerspiele eine Relativierung von Krieg und Terror stattfindet. Es siegt in jedem Fall der Stärkere, der Schnellere, der Trainierte, alles Eigenschaften, die nichts mit einem gesellschaftlich verantwortlichen Verhalten zu tun haben."

Hearts of Iron 4

Screenshot / Paradox Interactive

Haben Liebhaber von Videospielen wirklich weniger Realitätsinn, wie von Carbidschieter behauptet? Pädagogen erforschen seit langem das Bildungspotenzial von Videospielen und bewerten es positiv. Psychologen und Psychiater wie Kurosch Yazdi weisen allerdings ebenfalls seit Jahren auf das beträchtliche Suchtpotenzial von Videospielen hin. Aus meiner eigenen, subjektiven Erfahrung wage ich zu behaupten: Ich ziehe mich beim Spielen eines Videogames nicht stärker in eine Traumwelt zurück als beim intensiven Verfolgen eines wochenlangen Fußball-Turniers oder beim tagelangen Lesen eines guten Romans.

Nicht hinwegleugnen lässt sich allerdings die Tatsache, dass man in dem Weltkriegs-Videospiel auch in die Rolle der Nazis schlüpfen kann. Ein anderer Leser stellt daher auch konkret die Frage: "Warum eigentlich so etwas als Spiel?" Man dürfe sich dann eben nicht wundern, wenn die Geschichte verdreht werde. Und tatsächlich: In "Hearts of Iron IV" kann je nach Spielverlauf eben auch die deutsche Seite die Welt erobern. Damit unterscheidet sich das Spiel von einem Kinofilm wie "Der Untergang". Im Videospiel wird der Rezipient selbst aktiv, und man kann daraus eine Rechtfertigung dafür ableiten, dass Hakenkreuz und Hitler zwar im Kinofilm vorkommen dürfen, im Videospiel aber nicht.

Rasante Entwicklung der Kunstform Videospiel

Nationalsozialistische Wiederbetätigung ist weder die Darstellung von Nazis und Nazisymbolen im Kinofilm "Der Untergang", noch selbige im Videospiel "Hearts of Iron IV". Die Zensurfreudigkeit von Videospiele-Publishern im deutschen Sprachraum, die Fabian Scherschel als "vorausseilenden Gehorsam" kritisiert, lässt sich aber anhand des Frankfurter OLG-Urteils von 1998 erklären.

Ein aktuelles richterliches Urteil zu Videospielen im Rahmen des deutschen Verbots von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen und des österreichischen Verbotsgesetzes wäre angesichts der rasanten Weiterentwicklung der Kunstform Videospiel sinnvoll. Noch schlimmer als die manchmal überbordende Zensur von Videospielen am deutschen Markt fände ich allerdings einen unsensiblen Umgang mit der Geschichte Deutschlands und Österreichs.