Erstellt am: 16. 6. 2016 - 13:41 Uhr
Das Bild ist die Handlung
Es beginnt recht dröge: zwei Frauen und zwei Esel stehen unter einem Baum, das Bild ist schwarz-weiß und was haben die beiden Esel zu bedeuten?
Die weiß gekleidete Frau sagt der jüngeren, schwarz gekleideten, ein Mann habe seinen Bruder auf dem Gewissen, sie solle ihn töten, rasch, wie einen Vogel. Gesagt, getan. Der Mann stürzt vom Pferd, die Blätter wehen in den Baumkronen.
In Farbe geht es weiter. Ein Martial-Arts-Film. Doch wer den taiwanesischen Regisseur Hou Hsiao-Hsien kennt, ein paar seiner Filme durchgesessen hat - etwa den fast komatösen Bordellfilm „Flowers of Shanghai“ in den späten 1990er Jahren - und dafür mit atemberaubender Schönheit belohnt wurde, weiß: Das hier wird die Erwartungen an das Genre brechen.
Stadtkino Filmverleih
„The Assassin“ beruht auf einer chinesischen Legende, die davon handelt, dass man auf das Herz hören sollte. Auch wenn man eine Kämpferin ist.
Die Meisterin schickt ihre junge Frau mit dem Auftrag nach Hause, den eigenen Cousin zu töten. Ihren Cousin, einen Gouverneur, verheiratet, mit drei Kindern und Konkubine. Eigentlich war sie, die junge Kriegerin, die leise Schleichende, die präzise Schwertsäbelnde, dem Cousin versprochen worden, aber das mussten die Eltern letztlich revidieren, die Tochter der Schmach preisgeben. Weshalb, das versteht man nicht genau, es ist von Vasallen, von Botschaftern, von Familienbanden die Rede, von einem Heer des Kaisers und man tut als Zuseherin und Zuseher sehr gut daran, diese Handlungsebene zu verlassen, nicht zu versuchen, alles zu verstehen, sondern zu versinken in den Bildern, die fast unbeschreiblich sind.
Da ist zum Beispiel die Konkubine, an der man sich als handlungsverwöhntes Wesen deswegen festhält, weil sie schwanger wird und das auch im alten China zu den erwartbaren Problemen führt (wenn auch ein, von einem bärtigen Heiler aus Papier gerissenes und mit viel Brimborium und Dampf versenktes, Menschlein nicht zu den erwartbaren Konsequenzen zählt).
Als der Gouverneur die Konkubine das erste Mal in ihrem Haus besucht, ist es nur von Kerzen beleuchtet. Wir sehen die beiden durch Schleier und sanft wehende Vorhänge, mal klar, mal verschwommen, in wechselndes Licht getaucht. Unhörbar erscheint hinter einem anderen Vorhang die junge Kriegerin und steht da.
Die Wirkung dieser Bilder ist hypnotisch, man verliert das Gefühl für Zeit. Ähnlich wie in ein Feuer, in das man gefühlte Ewigkeiten lang schauen kann, weil die stetig gleich und anders züngelnden Flammen das Denken beruhigen, schaut man auch diesem Film zu.
Es sind derartige Szenen, die Hou Hsiao-Hsien als eigenständigen Filmkünstler berühmt gemacht haben. Als einen, der die Erwartungen des Publikums nicht erfüllt, es aber mit umso mehr sanften Überraschungen belohnt.
Die erste Oskar-Nominierung für Guatemala...
... und bei der Berlinale 2015 hat „Ixcanul“ den Silbernen Bären gewonnen. Der Film mit dem unaussprechlichen Titel (auf Deutsch: Vulkan) könnte an jedem abgelegenen Ort der Welt spielen, von dem aus die dort lebenden Menschen den Rest der Welt nicht sehen. „Ixcanul“ spielt hinter einem Vulkan (den man im Film nie zur Gänze sieht), wo Kaffee wächst. Er beginnt mit einem Tschechow´schen Moment: in der zweiten Szene des Films schreit ein Schwein wie verrückt. Und man weiß: früher oder später wird man Blut sehen. Warum es zu jedem indigenen Film gehört, dass ein Tier geschlachtet wird, ist mir unklar, aber die Einhaltung dieses ungeschriebenen Gesetzes zählt zu den wenigen Dingen, die man dem Film vorhalten kann.
Als das Schwein tot und gegrillt ist, wird unter freiem Himmel kräftig angestoßen. Auf die Braut, ihre Fruchtbarkeit und dass sie gut kochen kann. Die Braut aber, die 17-jährige Maria will nicht. Wie ein begossener Pudel sitzt sie ihrem, am anderen Tischende das Glas hebenden Zukünftigen gegenüber und schaut missmutig unter ihrem Blumenkranz hervor. Denn Maria möchte wissen, was hinter dem Vulkan los ist.
Polyfilm Verleih
Regisseur Jayro Bustamante erzählt in seinem ersten langen Spielfilm von seiner Heimat und daher gibt es in „Ixcanul“ keine ethnographisch beobachtende Distanz. „Ixcanul“ handelt, grob betrachtet, von der Zerrissenheit zwischen Tradition und Moderne. Im Speziellen aber erzählt „Ixcanul“ davon, dass Eltern das Beste für ihre Kinder wollen, die Kinder allerdings eine eigene Vorstellung von dem Besten haben. Und wenn das Kind desweiteren den Bruch mit den Eltern nicht will, ist man bei einem Konflikt, den fast jede und jeder kennt, der/die Eltern hat. Dass das Gras hinter dem Vulkan auch nicht grüner ist, ganz im Gegenteil, dass dort eine fremde Sprache, Ausbeutung und Verkehrslärm warten, wird die Familie gemeinsam erfahren.