Erstellt am: 16. 6. 2016 - 14:11 Uhr
Die Heiterkeit und der Tod
Heute bin ich der jüngste Mensch der Welt! Oder besser auf dem Dach der Welt. Aber da erspähe ich Stella Sommer an der Kasse des Selbstbedienungsrestaurants und schon bin ich nur noch der zweitjüngste Mensch am Dach der Welt.
Es ist Montagmorgen und wir treffen uns im Karstadt-Café in Neukölln. Stella hat den Ort des Interviews gewählt. Das Lokal am Dach der deutschen Kaufhauskette ist riesengroß und verfügt über eine riesengrößere Terrasse mit riesengrößtem Blick über Berlin.
Christian Lehner
Der Ort ist regelrecht von Rentner-Cliquen besetzt. Am Weg zur Terrasse passieren wir eine Omi-Gang, die Pralinen verkostet. Neben der Schüssel mit den Samples stehen zwei Dutzend Likör- und Schnapsfläschchen, wie man sie von der Supermarktkasse kennt. Beste Stimmung. Es ist 10 Uhr vormittags.
Stella trägt Schwarz und einen Kaffee zum Ecktisch der Terrasse. Klar, dass der Tisch wackelt. Ich trinke Orangensaft. Stella dreht Zigaretten. Ein Kellner marschiert mit besorgter Miene an uns vorbei - womöglich, weil er im Selbstbedienungsladen nicht allzu viel zu tun hat. Der Wind weht Gesprächsfetzen lachender Omis zu uns herüber. In dieser Atmosphäre wird das Interview schnell zum lockeren Gespräch.
Die Heiterkeit hat soeben in Neubesetzung das dritte Bandalbum veröffentlicht. Es ist, wie es heißt: "Pop und Tod I+II", ein Sammelband von zwei Scheiben mit satten 20 Songs. Und es ist eines der schönsten und außergewöhnlichsten Alben des bisherigen Jahres. Die Heiterkeit versteht es, in knappen aber einprägsamen Versen über Tod, Leben und schlechte Vibes zu sinnieren: feierlich, würdig und erhaben, wie man das vom tendenziell gefühlsduseligen Entäußerungs-Pop aus Deutschland eher nicht gewohnt ist.
Christian Lehner: Was machen angesagte junge Musiker am Dach von Karstadt? Max Gruber von Drangsal schwärmt auch von diesem Ort.
Stella Sommer: Das hat er von mir geklaut. Ich hab mich neulich mit ihm getroffen und er meinte: "Das ist ja ideal hier!" Als es zur Promotion vom neuen Album kam, wollten wir keine Interviews in einem dieser Hipster-Cafés in Neukölln geben zwischen all den aufgeklappten Laptops. Da geh ich sonst ja auch nicht hin.
Vor und kurz nach der Entstehung des neuen Albums wurde das gesamte Line-Up der Band ausgetauscht. Geblieben bist nur du.
Das wird mir immer so ein bisschen angelastet, dabei wurden die einzelnen Bandmitglieder nicht ausgestauscht, sondern sie sind ausgestiegen. Wir haben uns auch zusammen überlegt, wer nachfolgen könnte. Anna (Anna-Leena Lutz, Anm.) hat die Band nach der Tour zu "Monterey" verlassen. Wir brauchten schnell jemanden fürs Schlagzeug, weil das Studio bereits gebucht war. Wir dachten erst an Verschiebung, aber das war albern, weil wir eh so faul sind, dass wir wahrscheinlich auch dann erst kurz vor dem neuen Termin einen Schlagzeuger gefunden hätten. Und dann haben wir Philipp (Philip Wolf von der Band Messer, Anm.) gefragt und der hat kurzfristig sein ganzes Leben on hold gestellt, um einzusteigen. Nach den Aufnahmen des neuen Albums ist Rabea (Rabea Ernadi am Bass, Anm.) ausgestiegen und Hanitra (Hanitra Wagner, Anm.) dazugekommen.
Der Line-Up-Wechsel hatte dann vermutlich auch weniger mit den berühmten "künstlerischen Differenzen" zu tun, sondern mit Lebensentwürfen und der Tatsache, dass sich mit Musik nur schwer die Rechnungen bezahlen lassen.
Es sieht immer schnell nach Zickenkrieg aus, aber es ist auch so, dass man sich, wenn man mit Anfang 20 anfängt, in einer ganz anderen Lebensphase befindet. Irgendwann muss man sich entscheiden, ob man seine ganze Existenz um die Musik herumbauen möchte, oder ob man doch lieber etwas anderes machen will. Neben der Musik bleibt nicht viel Platz. Es gibt kaum Jobs, wo man sich mal kurz für einen Monat Urlaub nehmen kann, weil man auf Tour geht.
Ganz aufhören war für Dich keine Option?
Wenn alle gleichzeitig ausgestiegen wären, hätte das unter dem Namen "Die Heiterkeit" tatsächlich keinen Sinn mehr gemacht, aber ich wüsste auch gar nicht, was ich sonst tun soll.
Vorhin ist das Wort "faul" gefallen, das auch in einem großen Review in der Zeit über euch zu lesen war.
Wir veröffentlichen mehr Musik als viele andere Bands. Der Output ist eigentlich enorm, aber wir haben auf viele Sachen einfach keine Lust. Wenn wir denken, dass etwas nicht zu uns passt, dann machen wir das auch nicht.
Müsstet ihr denn? Ihr macht eh keine Musik für den Samstagabend im ZDF.
Ja, aber es gibt selbst in dem kleinen Kreis, in dem wir uns bewegen, mehr Promo-Sachen, die man machen könnte.
Energy-Drink-Dosen küssen und Touren sponsern lassen?
Genau das.
Und jetzt "Pop und Tod I + II", ein Doppelalbum mit 20 Songs und einem schweren Titel. Das hört sich nach Depri-Machwerk an, wird teilweise auch so interpretiert, klingt aber gar nicht so in meinen Ohren.
Ich werde auch oft mit dem Begriff Melancholie konfrontiert und sehe das überhaupt nicht so. Das klingt, als ob man es sich im Weltschmerz gemütlich machen möchte. Ich finde aber, dass Die Heiterkeit sehr unbequem ist und die Hörer auch herausfordern möchte. Das Suhlen in der Depression ist nicht unser Ding, ich finde das Album eher optimisitsch (lacht).
Wie ist das dann mit dem Tod, der im Titel groß aufscheint?
Als wir die Songs fertig hatten, machten wir uns auf die Suche nach einem roten Faden, nach Stimmungen und kleinen Wörtern. Und da waren wir dann schnell beim Sterben. Es ist ja ein großes Thema. Mich hat es in der Kindheit sehr beschäftigt und irgendwann legt man das dann ab, weil man sich sonst verrückt macht. Der Tod kommt ohnehin von allein.
Auch zu den "Großen Namen", um einen Songtitel zu zitieren.
Pop will ja auch den Tod überlisten und es gibt viele Künstler, die einen großen Namen anstreben, um dadurch unsterblich zu werden. Aber ich wurde neulich gefragt, ob der Song von Karstadt handelt. Tolle Idee, ich hab natürlich Ja gesagt.
Für mich feiert ihr das Leben einfach von der anderen Seite aus betrachtet. In euren Videos kommen ja auch dauernd Sektflaschen vor.
Das ist uns auch schon aufgefallen. Es fing an mit dem ersten Foto von uns, dem Cover der 7″ EP. Das haben wir dann ins erste Video übertragen und dann fanden wir es witzig, weil es so dumm ist.
Die Sektflasche kommt auch im Clip zum Titelsong "Pop und Tod" vor. Da sieht man überhaupt so die unbeschwerte Jugend in einer Wiese feiern. Das wirkt dann auch ein bisschen glamourös.
Wir wollten etwas anderes machen, weil wir unsere eigenen Videos nicht mehr aushalten - die sind immer so statisch und schwer. Und dann kam noch der Low-Budget-Faktor hinzu. Da kann man dann eigentlich nur mit Stimmung arbeiten und mit viel Bewegung. Das mit Glam kann ich nicht so nachvollziehen, wir hantieren ja mit Sekt- und nicht mit Champagnerflaschen.
Buback
Und trotzdem "Schlechte Vibes im Universum", um einen weiteren Songtitel zu zitieren.
Ich glaube, es gibt schon genug Bands, die Durchhalteparolen schwingen oder Alles-ist-geil-Musik machen, aber wir verstehen uns auch nicht als Gegenkonzept zu alldem. Ich wurde unlängst gefragt, wie ich mich davon abgrenzen würde. Das ist aber gar nicht nötig, weil das nichts mit mir zu tun hat. Man macht ja schon die Musik, die aus einem rauskommt und dafür muss ich gar nicht den Begriff "Authentizität" bemühen.
"Authentizität" ist ja ein verbrämter, vielleicht missverstandener Begriff. Gibt’s denn einen "authentischeren" Künstler als Andy Warhol und seine Aufhebung des Originals? Oder liegt’s an der Verwechslung von Alltag und Kunst?
Ja, das ist ein komischer Begriff - gerade in der Popmusik. Annenmaykantereit werden diesbezüglich immer genannt und das zu recht. Langweilig!
Viele Texte auf "Pop & Tod I + II" handeln vom Schreiben selbst. Wie schreibst du?
Es gibt Bands, die schreiben gemeinsam im Proberaum, ich schreibe zu Hause in meinem Zimmer. Da ist man in der Regel allein und die Stimmung reflektiert das auch. Ich habe so einen Filter, der Brauchbares behält. Dann schreibe ich eine Strophe und einen Refrain und den Rest erst dann, wenn ich weiß, dass es auf Platte kommt. Alles andere wäre zu viel Arbeit (lacht).
Deine Texte sind knapp und kommen mit wenigen Bildern aus.
Ich überliste mich, indem ich sehr schnell arbeite und meine Texte nicht kaputtschreibe. Es muss auf eine bestimmte Art hingerotzt sein und einen Flow haben. Wenn man zu viel nachdenkt, zerstört man alles.
Du singst sehr tief und feierlich. Wann hast du deine Singstimme gefunden?
Man findet seine Stimme nicht, weil sie sich ständig weiterentwickelt. Angeblich singe ich die alten Songs tiefer als früher, aber es ist immer die gleiche Höhe. Was sich ändert ist die Stimmfarbe. Am Anfang habe ich etwas sanfter gesungen, weil mir gar nicht bewusst war, wie man Stimme einsetzt.
Die Heiterkeit
Ich stelle mir vor, dass das schön ist, so live zu singen.
Ja, ich fühle mich sehr wohl und es ist tatsächlich eine bestimmte Art zu singen. Viele machen das gar nicht mehr im Pop. Klar treffen einige die Töne viel besser, aber so forciert zu singen, das gibt es eigentlich nicht mehr. Das kommt aus dem Chanson und man kennt es aus dem Pop der sechziger Jahre.
Ist es euch eigentlich peinlich, dass vor allem männliche Ü-40-Musikkritiker wie meinereiner eure Musik in den Himmel loben und da schon mal eine Doppelseite im Feuilleton herausschaut?
Nein, das ist uns nicht peinlich (lacht), denn sonst hätten wir gar nichts. Es ist schon komisch, was das für ein Missverhältnis ist, wieviel Presse wir bekommen und wie wenig Leute zu den Konzerten kommen. Also in den größeren Städten funktioniert es eh ganz gut, aber da sind auch selten mehr als hundert bis zweihundert Menschen da. Aber es ist schon absurd: eine Freundin von mir verkauft mit ihrer Band große Hallen aus und über die steht nie ein Artikel in der Zeitung. Im Internet ist die Aufmerksamkeit allerdings auch groß, das werden wir aber mit Hass und Ablehnung regelrecht überschüttet.
Man tut zwar immer so, als würde das an einem abprallen, aber das geht einem schon nahe, oder?
Ich versteh nicht, wo das herkommt. Für mich ist Musik das Schönste, was man machen kann, aber anscheinend fühlen sich einige Typen von uns persönlich angegriffen. Das hat schon was von Erschießungskommando, wenn wir was veröffentlichen.
Was kommt denn da von der Pop-Pegida?
Immer das gleiche: wir wären aufgesetzt, zu cool, pseudointellektuell. Unlängst hat jemand auf Facebook geschrieben, dass wir froh sein müssten, überhaupt Platten veröffentlichen zu dürfen, weil im Zeitalter der A&R’s hätten wir nie einen Vertrag bekommen. Und es gäbe doch in Deutschland so viel bessere Bands, die nie zum Zuge kämen. Dann denke ich mir: gut, aber ich kenn halt keine.