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Christoph Sepin

Pixel, Post-Punk, Psychedelia und sonstige Ableger der Popkultur

15. 6. 2016 - 14:51

Echt, oder was?

Die großartige Drama-Serie "UnReal" beschäftigt sich mit der Fakeness von Reality-TV.

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Es war im Jahr 1988 als Bernd Fritz, damaliger Chefredakteur der Satire-Zeitung "Titanic" Thomas Gottschalk und sein Publikum in "Wetten, dass..?" live im Fernsehen vorführte: Fritz schaffte es damals, sich unter falschem Namen als Kandidat in die Show zu schleichen, mit der unglaublichen Behauptung, Buntstifte am Geschmack voneinander unterscheiden zu können. Was absurd klingt, war für die Sendeverantwortlichen vermutlich nicht zu unplausibel und so schaffte es Fritz ins Live-Fernsehen, wo er nicht nur sich selbst, sondern das gesamte Konzept hinter "Wetten, dass..?" demaskierte.

Fast zwanzig Jahre später sollte es Jan Böhmermann sein, der in seiner ersten Folge "Neo Magazin Royale" nach der Sendepause ein ähnliches Unterfangen vollbrachte: Er schleuste zwei Schauspieler als Kandidaten in die Show "Schwiegertochter gesucht" ein und demonstrierte damit der Öffentlichkeit wie falsch, manipulierend und skrupellos das sogenannte Reality-TV sein kann. #veragate wurde zum großen Slogan für eine Gesamtkritik an Casting-Shows, Reality-Fernsehen und Dokutainment.

Was aber bringt TV-Produzenten dazu, in so unmoralische Gefilde abzusteigen und skrupellos Menschen für den eigenen Profit und vor allem so etwas Triviales wie eine Reality-TV-Show auszunutzen? Damit beschäftigt sich die US-Dramaserie "UnReal". Die Show erzählt die Geschichte von Rachel, einer Junior Produzentin im Team der Dating-Reality-TV-Show "Everlasting", einer klassischen Reality-Show im Stil von "Junggeselle sucht Frau fürs Leben" in der junge Singlefrauen um die Hand eines charismatischen Bachelors kämpfen.

"UnReal" zeigt die Welt hinter den Kulissen der Dating-Show, gibt sich dabei aber nicht mit simplen Botschaften im Stile von "Reality-TV ist fake" ab, sondern erklärt vielmehr, warum das alles am Bildschirm so ist, wie es ist. Warum das Produkt Reality-TV so voller dunkler Facetten, Realitätsmanipulation und skrupellos ehrzeigen Akteuren ist. Und wie vorsichtig die Fäden im Hintergrund gezogen und damit eine möglichst plausible und unterhaltsame Show gemacht werden kann.

UnReal

Lifetime

"UnReal" wurde von Sarah Gertrude Shapiro kreiert, die bereits selbst am Set von Reality-Serien gearbeitet hat. Was der Show ungemein beim Erzählen der Story hilft: Die Entscheidungen der zentralen Charaktere sind plausibel, die Beweggründe düster, aber nicht unplausibel. Da geht es um ein Team, das sich mit der Serie identifiziert, das ein echtes Privatleben gegen das am Set austauscht und mit extremer Verbissenheit den Erfolg der Show über alle anderen Beweggründe stellt.

Der Cast wird unbewusst zu seinen Entscheidungen gebracht, die Crewmitglieder versuchen sich gegenseitig auszustechen und das Produktionsteam versucht die Geschehnisse am Bildschirm als möglichst real zu verkaufen. Jede Änderung im Plot, jede Entscheidung muss so natürlich wie möglich wirken, wird aber durch Manipulation und Intrigen inszeniert.

UnReal

Lifetime

Natürlich ist "UnReal" Fiktion voller überspitzter Momente und liefert mit einer gehörigen Portion Soap-Opera-Ästhetik das notwendige, zugängliche Entertainment ab. Dadurch wird es teilweise selbst zu der Show, die parodiert werden soll. Die Serie ist aber eben nicht pure Popkulturkritik, sondern versucht selbst eine Geschichte zu erzählen.

Was dadurch entsteht, ist eine fesselnde Serie mit ständigen Twists im Stil von Shows wie "Breaking Bad". Hauptfigur Rachel befindet sich in einer ständigen Abwärtsspirale, zieht das Leben in der Show ihrem Privatleben vor und stellt letzten Endes Ratings und Profit sogar über das menschliche Leben. Ein gelungenes Stück Drama mit viel Liebe zum Detail, zu seinen Charakteren und zur cleveren Dekonstruktion von Reality-Fernsehen.

UnReal

Lifetime

Wem das alles ein bisschen zu dramatisch ist und wer nicht ganz weg will vom Reality-TV, dem sei ein wundervolles Stück Fernsehen ans Herz gelegt: Die japanische Reality-TV-Serie "Terrace House", dessen neueste Staffel es auch aus Japan herausgeschafft hat. Wer das Drama und die Intrigen von anderen Casting-Shows wie "Big Brother"und "Topmodel" kennt, wird überrascht sein, wie ruhig und nonkonfrontativ "Terrace House" aus dem täglichen Leben seiner Charaktere erzählt. Das Ärgste, das da passiert, ist, dass jemand mit jemand anderem nicht Abendessen gehen will. Reality-TV für die Post-Reality-TV-Generation, präsentiert in wundervoll entspannender Fadesse.