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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

15. 6. 2016 - 12:04

The daily Blumenau. EM-Journal '16-32, 15-06-16.

Die drei Gründe für die bittere Ungarn-Niederlage: Ungenauigkeit überall im Spiel, das Verkennen der eigenen Wertigkeit und der überzogene Glaube an das Spirit-Narrativ.

The daily blumenau hat im Oktober 2013 die Journal-Reihe (die es davor auch 2003, '05, '07, 2009 und 2011 gab) abgelöst. Und bietet Einträge zu diesen Themenfeldern.

Das ist ein Eintrag ins EM-Journal '16.

Das war Österreich gegen Ungarn, das ist die Analyse dazu, das dann noch Portugal - Island.

Die weiteren Erstrunden-Spiele: Frankreich vs Rumänien sowie Albanien - Schweiz und aus der der Gruppe B Wales vs Slowakei und England - Russland. So gingen Polen gegen Nordirland und Deutschland - Ukraine. Und das war Türkei - Kroatien und Spanien - Tschechien
Und dann noch Irland vs Schweden und -Belgien - Italien.

Die Klick-Übersicht übers Turnier.

Viel Nutzvolles und Offizielles gibt's auf uefo.com. Hier schreibt der ÖFB, da Previews und Analysen bei abseits.at und das ist die Info-Site von sport.orf.at.

#emjournal16 #fußballjournal16

Natürlich waren es Details, die die gestrige Auftakt-Partie Österreichs entschieden haben: Alabas Stangenschuss, die Situation um Dragovic' Ausschluss, fehlende Zentimeter.

Wie immer gibt es aber eine Wahrheit hinter der Wahrheit, Leitmotive und Erzählungen, die eine Mannschaft antreiben.
Und wenn sich da Fehler einschleichen, wird's fatal. Denn die sind nicht so leicht zu beheben wie Pass-Ungenauigkeit.

Das war der im Spiel offensichtliche Hauptgrund für die Niederlage - fast jede Aktion erfolgte deutlich unpräziser als es möglich gewesen wäre. Dazu kommt die (unerwartete) Erkenntnis, dass eine der beiden Haupt-Erzählungen, die das österreichische Team seit Kollers Hausse trägt, hintangestellt und die andere über Gebühr überbetont wurde. Dass nämlich das "Der Teamspirit wird uns wie auf einer Wolke tragen"-Narrativ seine Partner-Erzählung "Wir müssen uns jedes Spiel hart erarbeiten" überlagert hat. Was angesichts eines Turniers besonders fatal ist. Dazu kommt (als dritter, auch erst während der Euro wirklich erkennbarer Punkt) die Überschätzung der Wertigkeit der Erfolge der letzten beiden Jahre.

1) das Verkennen der Wertigkeit der Spiele 2014 - jetzt

Klar wäre es besser gewesen all das im Vorfeld zu erkennen, zu kritisieren und zu hoffen, dass dran gearbeitet wird. Das meiste hat sich aber nicht angekündigt, wäre nur mit einem inside-view erkennbar geworden.

Einzig der Wertigkeits-Faktor... Und da hat es mich vorgestern Abend keulenschlagmäßig getroffen - und ich hab' es dann auch gestern Nachmittag, weit vor dem Match - auch on air angesprochen - siehe hier unter: Eine einschränkende Vorabbetrachtung.

Denn: die beiden traditionellen Mittelmächte, die Österreich in der Quali hinter sich gelassen hatte (zuerst Russland und vorgestern am Nachmittag dann Schweden), gaben bei ihren Euro-Auftritten eine rundum erbärmliche Figur ab. Russland hatte sich freiwillig paralysiert, Schweden strategisch völlig überfordert - beide bekamen ihr Remis geschenkt. Dazu kommt, dass die Vorbereitungs-Gegner, gegen die Österreich zwar teilweise verloren, aber gut ausgesehen hatte, nämlich die Türkei, die Schweiz und Albanien allesamt mit sehr bescheidenen Leistungen aufgewartet haben. Vor allem die Türken wirkten gegen Kroatien wie Lehrbuben.

Soll heißen: die Gegnerschaft, die Kollers Team den Weg zu Star-Ruhm ebnete war weniger qualitätsvoll als alle (viele?) dachten. Das ist per se jetzt nicht schlimm. Wenn sich eine Mannschaft der Kategorie B2 durch Siege gegen Teams der Kategorie B1 aufrichtet, nach oben zieht und die Machtverhältnisse umdreht, also selber zu B1 wird, dann erfüllt alles seinen Zweck. Gerade Selbstbewusstsein ist im Fußball, wenn nicht alles, dann jedenfalls vieles (siehe Italien).
Nun hat sich das ÖFB-Team in der Selbst- und auch Fremdwahrnehmung aber auch schon (heimlich) als ein Team der Kategorie A2 wahrgenommen. Und gegen solche oder bessere Gegner wurde seit den WM-Quali gegen Deutschland nie mehr gespielt. Bis vor kurzem gegen die Niederlande. Und da ging schon vieles schief, was auch gestern nicht lief; auch da war viel Ungenauigkeit, fehlende Präzision und vor allem fehlende Präsenz, mental wie körperlich. Auch da gab es Jammerei über die Härte des Gegners - ganz wie gestern.

Bei einem echten A2-Team, auch schon in der B1-Kategorie darf so etwas aber nicht sein, sonst ist der Status futsch: kein Gejammer, Härte annehmen und mitgehen, und vor allem: Präzision, das ist die Basis von allem. Wer schon den vorletzten Pass ungenau spielt, kann gar kein Tor erzielen (oder braucht wie Schweden ein Eigentor, oder wie Russland einen lucky Punch in Minute 92)

Wir sind also schon mitten in...

2) Die fehlende Genauigkeit, die das eigene Spiel killt

Dann geht nämlich nix mehr. So wie gestern, so wie gegen die Holländer.

Dort war die Unkonzentriertheit noch ab/nachsehbar: das ÖFB-Team stand mitten in der Vorbereitung, niemand wollte sich verletzen, der Fokus war schon in die Zukunft gerichtet - alles in jeder Hinsicht nachvollziehbar.

Allerdings hat sich die Konzentrationslosigkeit wohl verselbstständigt, und sie hat zu etwas geführt, was gegen Schweden oder Russland oder Montenegro nicht zu sehen war: Ungenauigkeit. Die nicht prinzipieller Schlamperei entspringt, sondern einer fehlgeleiteten Konzentration.

Und das führt wieder zum vielleicht entscheidenden Faktor: dem falsch gewichteten Narrativ.

3) der überzogene Glaube an den Teamspirit überlagert den Ethos, sich ein Turnier zuerst erarbeiten zu müssen

Ein Narrativ ist eine kollektive Erzählung; im Fall des ÖFB begann es als von Koller ausgegebener Glaube einer kleinen Gruppe an sein Potential und wuchs sich zu einer gigantischen nationalen Erzählung aus, die bis tief in den Boulevard und ebenso tief ins Intellektuelle schwappte.

Im Lauf der Jahre verfeinerten Koller/das Team ihre Erzählungen, ihre Glaubenssätze, nach denen sie tatsächlich lebten und arbeiteten, in ganz konkrete Stränge. Eine Erzählung ist die vom Mannschaftsgeist, von der Wohlfühl-Oase, in der auch die Schwierigen sozialisiert und die gerade Schwachen aufgepäppelt werden. Ein anderes Narrativ ist die Geschichte von Außenseiter, dem niemand etwas schenkt, niemand etwas zutraut, der sich nur auf Basis von Selbstvertrauen in lichte Höhen erheben kann, die wiederum nur durch gute Arbeit, durch genaue handwerkliche Fertigung, durch das einhalten präziser Abläufe errungen werden kann.

Diese Erzählungen führten das ÖFB-Team aus den dumpfen Niederungen des visions-/geschichtenlosen Constantini-/Krankl-Fußballs in eine neue Kategorie. Nach der erfolgten/erfolgreichen Qualifikation für Frankreich letzten Herbst tauchte dann ein neues auf: der Geist, der Teamspirit soll/wird/muss die Mannschaft wie auf einer Wolke durchs Turnier tragen; weil er so gut und einzigartig ist. Dieses Narrativ kam womöglich auch auf Druck von außen zustande, verselbstständigte sich aber und tauchte nach der Niederlande-Niederlage verstärkt auf.

Auch diese Geschichte ist per se nicht falsch. Sie gehört aber den Mannschaften, die die Basis schon gelegt haben. Zum Beispiel Deutschland, oder anderen so genannten Turniermannschaften, Teams, die seit Generationen gewohnt sind, große Turniere zu spielen, die das Selbstvertrauen schon als Fußball-Kinder mit dem Löffelchen essen und die die Basics beherrschen. Spanien, Deutschland, Frankreich - auch wenn die Durchhänger haben, kommt der Pass-Ball auf den Fuß.

Österreich, wo seit vielleicht drei Jahren der Funke übergesprungen ist, das seitdem den langen Weg aus dem vorigen Jahrtausend hin in die Gegenwart gemacht hat, gehört nicht zu dieser Gruppe der selbstverständlichen Selbstverständigen.

Nun hat - und das war nicht abzusehen, weil bis zuletzt alle Narrative, sowohl das work ethic-Ding als auch die TeamSpirit-Sache gleichermaßen thematisiert und verbalisiert wurden - offensichtlich das eine das andere überlagert. Die Wolke, auf die man aufspringen wollte, um sich durch den Schlagwind des TeamSpirit zum Erfolg zu fliegen, war stärker als alles andere. Man begann sich darauf zu verlassen und die zentralen Basis-Eigenschaften zu vernachlässigen - Stichwort: Konzentrationslosigkeit, Ungenauigkeit.

Also: eines führt zum anderen; und alles zusammen mündet direkt in eine kleine Katastrophe. Das hat nicht passieren müssen, Alabas Stangenball nach 30 Sekunden, klar: aber erst die Kombination dieser drei Faktoren hat es dem Gegner (und da war es egal, ob das Ungarn ist) erlaubt, da hineinzustechen. Und der (ja, unglückliche, eh) Spielverlauf brachte dann den worst case.

Es wäre womöglich schon im Ansatz zu verhindern gewesen. Wenn jemand früh genug den Aspekt der fehleingeschätzten Wertigkeit angesprochen hätte (und da schwingt ein Selbst-Vorwurf mit; das hätte man sehen können); wenn die Teamleitung den Führungswechsel im Leitnarrativ erkannt und hintangehalten hätte. Oder wenn die zentralen Player sich des Konzentrations-Verlusts bewusster gewesen wären. Dann...

So war's das aber nicht.

Jetzt hilft nur Wiedergutmachung. Runter von der Wolke. Zurück zum Arbeitsethos, weg vom mimimi wegen Härte und Ausfälle und Qua und hin zur noch besseren Einschätzung der Gegner, zum auch individuell ultrapräzisen Wissen um die Möglichkeiten, die im - hoffentlich sehr gefinkelten - Matchplan gegen Portugal und Island stecken.

Keine Ausreden mehr, nur Genauigkeit und Konzentration.