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Maria Motter Graz

Bücher, Bilder, Kritzeleien. Und die Menschen dazu.

15. 6. 2016 - 16:02

Krishna Mustafas Welt

Nicht auszudenken, wie es einem derzeit ginge, schliefe man beim Ertönen von Nationalhymnen sofort ein. Der Autor Selim Özdogan erzählt davon in "Wieso Heimat, ich wohne hier zur Miete". Unter anderem.

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Der Autor Selim Özdogan steht vor einer Hausmauer. Er trägt ein T-Shirt.

Tim Bruening

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Kauft man sich Selim Özdogans neues Buch, kann es vorkommen, das selbst sehr zurückhaltende Buchhändlerinnen ungefragt von dessen Debütroman "Es ist so einsam im Sattel, seit das Pferd tot ist" schwärmen. Auch der zweite Roman wäre gut gewesen. "Wieso Heimat, ich wohne zur Miete" dreht die Buchhändlerin deshalb auf den Rücken, bevor sie das Buch über den Ladentisch schiebt. Es ist der zehnte Roman des deutschen Autors, der dieses Jahr - und zwar in zwei Wochen - bei den Tagen der deutschsprachigen Literatur in Klagenfurt antreten wird.

"Wieso Heimat, ich wohne zur Miete" ist während eines halbjährigen Stipendiums in Istanbul entstanden. Nach Istanbul führt auch Selim Özdogan die LeserInnen mit seiner Hauptfigur Krishna Mustafa. Welch ein Name!

Und wie ist dieser Krishna Mustafa bloß drauf? Als hätte er durch seine Vornamen nicht genug zu erklären, geht er unvoreingenommen durch die Welt. Naivität könnte man dieser Figur unterstellen, aber Krishna Mustafa versucht schlichtweg einfach allerhand. Nach Istanbul reist er nicht zum Vergnügen, in Istanbul versucht er Distanz zu seiner Ex-Freundin zu gewinnen und doch deren Auftrag nachzukommen, seine Identität zu suchen.

Das Buchcover zu "Wieso Heimat, ich wohne zur Miete" zeigt eine Zeichnung mit einem Halbmond auf dem ein Mann sitzt und eine Stadtansicht Istanbuls

Haymon Verlag

"Wieso Heimat, ich wohne zur Miete" von Selim Özdogan:ist vor kurzem bei Haymon erschienen

Dabei hat der Anfang zwanzigjährige Dreadlocksträger als Kind einer Deutschen und eines Türken überhaupt keine Identitätskrise. In Istanbul lebt sein Vater und dessen Familie, also organisiert sich Krishna Mustafa einen Zimmertausch mit einem Cousin. Während dieser deutsches Bier genießt, lernt Krishna Mustafa dessen MitbewohnerInnen und Istanbul kennen.

"Manchmal ist es so, als wäre das Leben Lego. Alle Teile passen zusammen. Manchmal ist das Leben aber auch wie eine Scherbe, die ganz hinten unter den Küchentisch gerutscht ist. Alle Teile, die passen könnten, sind schon längst im Müll. Und man hat trotzdem etwas, das Glück bringt."

Abergläubisch ist der Ich-Erzähler jedoch nicht. Selbst in Sachen Religion ist er ein Laie. Großartig etwa ist die Passage, in der er in der Blauen Moschee die Bewegungen Gläubiger auszuführen versucht und mit der Yoga-Figur Brücke beendet. Er erinnert an die literarische Figur des Harlekin. Allein, derart exzentrisch gestaltet Özdogan ihn dann doch nicht.

Narkolepsie hingegen gibt es sehr wohl. Der deutsche Fotograf Uwe H. Martin hat Narkoleptiker porträtiert

Sehr wohl bizarr ist indes die Krishna Mustafa zugeschriebene "Hymnosomie", die ihn beim Erklingen von Nationalhymnen auf der Stelle einschlafen lässt. Hymnosomnie ist eine Erfindung des Autors, der die Handlung zwischendurch mit Geschichten eines „Chors von Einäugigen“ unterbricht.

Vieles, was andere für selbstverständlich halten, hinterfragt Krishna Mustafa ohne großen Aufhebens. Ein solches wiederum machen andere als Reaktion auf diesen jungen Mann. Schließlich erklärt ein Journalist Krishna Mustafa zum Dschihadisten und der deutsche Verfassungsschutz nimmt ihn ihns Visier.

Stets mit leisem Humor erzählend, will Selim Özdogan verdeutlichen, dass Schwarz-Weiß-Denken und Vorurteile einem viel verschließen. Zum anderen wird deutlich, wie viele bereits jene Selbstzensur anwenden, vor der schon Foucault warnte. Zudem macht das Buch Lust auf einen Aufenthalt in Istanbul.