Erstellt am: 14. 6. 2016 - 17:13 Uhr
Europa und die Liebe
Acht Menschen, vier Städte, vier Geschichten: Darum dreht sich die diese Woche erscheinende Dokumentation "Europe, She Loves" des Regisseurs Jan Gassmann. Darin folgt er vier Paaren aus Thessaloniki, Dublin, Sevilla und Tallinn bei ihren täglichen Herausforderungen zwischen Arbeitslosigkeit, Drogen, Liebe und Hoffnung.
Gassmanns Europa ist eines, das über Grenzen hinausgeht, das sich über Umstände definiert. Über weltpolitische Geschehnisse, die sich auf uns alle auswirken. Vor allem ist der Film aber eine vorsichtig konstruierte Zeitkapsel, die zukünftigen Generationen eines Tages einen persönlichen Einblick in die Lebensumstände von einer Auswahl von Menschen im Europa des 21. Jahrhunderts geben wird.
Christoph Sepin / Radio FM4
Wie ist es zu dem Film gekommen?
Ein Dokumentarfilmregisseur hat mir mal gesagt, die Liebe kann man in einem Dokumentarfilm nicht zeigen. Das ist bei mir hängen geblieben und ich habe mir gedacht: Die Liebe ist doch in jedem Song, in jedem Film drin, warum nicht im Dokumentarfilm. Das hat mich interessiert. Und andererseits war auch die ganze politische Lage in Europa ein Ansporn loszugehen und zu schauen: Wie geht es den Leuten so an den Rändern von Europa?
Wie ist die Wahl auf die Locations im Film gefallen?
Das ist auf der Landkarte geschehen. Ich habe bewusst Städte gewählt, in denen ich noch nie war, von denen ich auch keine Filme kenne. Für mich war klar, wenn ich in Berlin drehe, dann sieht das aus wie Berlin, wenn ich in Rom drehe, dann sieht das aus wie Rom. Und ich wollte selber eine Stadt finden und die filmisch mit meinen Bildern porträtieren. Das sind alles Städte, die eine lange Geschichte haben, die mich interessiert haben.
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Wie hast du die Paare für den Film dann dort gefunden?
Das meiste lief über Bekanntschaften. Ich bin in der Stadt zum Casting angekommen und hatte vielleicht zwei Nummern, habe dann jemanden angerufen und getroffen und das Projekt erklärt. Und habe dann immer mehr Leute getroffen. Wir haben alles versucht, Facebook, Inserate, alles mögliche. Am Ende habe ich fast hundert Paare gecastet um mich dann für die vier zu entscheiden.
Hast du thematische Grunderwartungen gehabt, die dann erfüllt oder nicht erfüllt worden sind?
In der Konzeption des Films war ich noch viel näher an gewissen Themen dran. Da hab ich mir gesagt: Okay, der muss jetzt arbeitslos sein und ein Auto geleast haben, um dieses Thema reinzubringen. Irgendwann hab ich dann bemerkt, mein Fokus ist auf der emotionalen Brüchigkeit dieser Beziehung, dann hab ich mich mehr für die Menschen entschieden als für das Thema. Und dann war mir klar, das sind Menschen, mit denen könnte ich auch befreundet sein. Das impliziert sofort, meine Welt existiert in deren Welt. Und ich denke, dort gibt es natürlich Übereinstimmungen in den verschiedenen Ländern. Sei es was die Drogen oder den Eskapismus angeht, aber auch eine gewisse Perspektivenlosigkeit, die einfließt. Das sind Themen, die mehr zufällig eingeflossen sind, und dann stärker geworden sind während dem Dreh.
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Bist du am Anfang objektiv und bemerkst, du wirst während dem Dreh subjektiv?
Ich denke, jeder Film ist subjektiv, kein Film ist neutral. Aber mir ist ganz klar, dass ich eine Welt konstruiere. Ich bin da ganz in meiner Perspektive drin und hatte nie den Anspruch, die Wahrheit zu finden oder ein richtiges, ein korrektes Abbild zu machen. Das wäre auch unmöglich gewesen, weil dann hätte man ein Paar finden müssen, das Spanien repräsentiert und eines, das Irland repräsentiert. Im Endeffekt machen sie das auch vielleicht, aber auf eine ganz andere Art, als ich mir das ursprünglich gedacht hatte.
Wie definieren die verschiedenen Geschichten der Menschen den Begriff "Heimat"?
Für gabe es bei der Suche nach dem Film auch die Idee, ob ein Europa als Heimat existiert. Kann ich mich als Europäer bezeichnen und bin ich nicht nur Spanier oder Ire oder Schweizer. Über diesen Begriff von Heimat hab ich versucht, herauszufinden, ob eine gemeinsame Generation existiert. Die vielleicht auch eine gemeinsame Heimat hat und diese Heimat heißt Europa. Und ich denke, da habe ich schon was gefunden, wo ich glaube, dass wir zusammengehören. Dass wir ähnliche kulturelle Einflüsse haben, obwohl wir aus unterschiedlichen Regionen kommen, aber doch was Gemeinsames haben, das uns von amerikanischen oder indischen Jugendlichen unterscheidet.
Bei den Städten ist jeweils Heimat auch mit einem politischen System verbunden, eine Identifikation mit dem eigenen Land. Viele haben den Staat aufgegeben, sie erwarten nichts mehr von ihm, aber der Staat soll auch nichts von ihnen erwarten. Sie sind auf sich alleine gestellt und schauen wie sie durchkommen.
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Findet das eher kulturell als politisch statt?
Jeder sucht sich seine eigene Heimat und ich glaube, dass das bei meinem Film oft über die Stadt passiert. Dass sich die Leute sehr stark mit dem Ort, wo sie leben, identifizieren. Eine kulturelle Heimat kann natürlich auch eine Subkultur sein. Zum Beispiel in Thessaloniki, das ist eine Stadt, die lebt von Psychedelic Musik. Da läuft in keinem Club Techno oder Elektro. Und das ist auch eine kulturelle Heimat, die sie sich geschaffen haben. Wo sie sich wohlfühlen und deswegen bleiben sie dort.
Inwiefern haben Filme die Möglichkeit den Begriff Heimat zu hinterfragen?
Ich denke, man kann keinen Film schreiben, der so universal ist, dass man ihn sowohl in Taiwan drehen könnte als auch in den USA. Jeder Film braucht eine Heimat und da muss ganz klar sein, wo kommt der her und aus welcher Geschichte heraus entsteht der Film, filmisch oder politisch. Heimat ist ein unglaublich wichtiger Begriff fürs Filmemachen, weil man sich entscheiden muss, wo kommt der Film her und was hat der für Roots. Und das sind so Dinge, wo man sich dann auch spielen kann mit einer filmischen Heimat.
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Wie siehst du die Zukunft von jungen europäischen Filmemachern?
Ich denke, als Filmemacher in Europa haben wir viele Chancen. Es wird wichtig sein, Kanäle zu schaffen, um unsere Filme unter die Leute zu bringen. Das eine sind die Festivals, das andere die Kinoauswertung, die immer schwieriger wird. Ich denke, dort muss es noch Veränderungen geben, damit wir die Möglichkeit haben, die Filme anderer Regisseure in Europa überhaupt zu Gesicht zu kriegen. Momentan sieht man die höchstens auf einem Festival, dann kommt vielleicht mal einer ins Kino. Aber das ist einer von zehn und das ist vielleicht nur der Film, der am meisten Mainstream ist. Aber um uns gegenseitig beeinflussen zu können, müssten wir einen stärkeren Austausch haben und mehr Filme von anderen sehen.
"Europe, She Loves" startet am 17. Juni in den Kinos.
Kannst du dir auch eine Zukunft vorstellen, in der Menschen ihre Filme einfach online stellen und dadurch Menschen erreichen?
Das ist sicher ein Szenario und das kann eine Zukunft haben. Was aber wichtig ist: Im Unterschied zum Internet gibt es eine Kritik und eine Rezension, wenn ein Film ins Kino kommt. Das Internet ist nicht selektiv. Man stellt etwas rauf und das ist dann so dort. Entweder interessiert es jemanden oder nicht, aber es gibt niemanden, der das kulturell einordnet. Und das ist für uns als Regisseure natürlich wichtig, dass man etwas bespricht und daraus lernt. Das Internet müsste noch lernen mit seinen eigenen Inhalten kritischer zu werden und dann könnte es auch für uns interessanter werden, die Inhalte dorthin zu bringen.