Erstellt am: 15. 6. 2016 - 13:51 Uhr
Ein Stethoskop aus dem 3D-Drucker
Auf den ersten Blick sieht es aus wie ein Spielzeug. Vor uns auf dem Tisch liegt das Stethoskop in seine Einzelteile zerlegt. Die Ohrbügel bestehen aus rotem Kunststoff, das Bruststück ist blau und grob geriffelt. Beide Teile hat der palästinensisch-kanadische Notfallmediziner Tarek Loubani selbst ausgedruckt.
Anna Masoner
Der milchigweiße Schlauch aus Silikon stammt aus einem Getränkeautomaten. Die Membran ist aus einer Klarsichthülle ausgeschnitten. Ziemlich improvisiert wirkt das. Und doch benutzt Tarek nur mehr dieses Stethoskop. Ob bei seinen Einsätzen im Shifa Krankenhaus in Gaza Stadt oder im London Health Center in Kanada. Knapp vier Monate verbringt der Mittdreißiger jedes Jahr in Gaza. Bei seinem ersten Einsatz vor sechs Jahren musste er sein Ohr an den blutenden Oberkörper eines kleinen Jungen halten, weil es keine Stethoskope gab. Weil es überhaupt kaum funktionstüchtige medizinische Geräte gab: "Ich habe versucht meine Patienten mit sehr einfachen Techniken zu behandeln, aber es ging nicht. Mir fehlte die Ausrüstung. Ich spreche hier nicht von elektronischen Geräten, sondern von ganz einfachen mechanischen. Will man einen Beatmungsschlauch einführen, muss man einen Teil des Rachens verschieben, damit man die Luftröhre trifft. Dazu braucht man ein simples Teil aus Plastik, aber das gab es nicht."
In Gaza fehlt es an allem
Der Gaza-Streifen gehört zu den am dichtesten besiedelten Gegenden der Welt. Vor zehn Jahren hat Israel den Küstenstreifen abgeriegelt, aus Angst vor der dort herrschenden islamistischen Hamas. Nach drei Kriegen und jahrelanger Abschottung ist das Land bitterarm. Regelmäßig fällt für Stunden der Strom aus. Es fehlt an allem. Besonders problematisch ist der Mangel an Medikamenten und medizinischen Geräten. Sogar Stethoskope sind in den Krankenhäusern Mangelware.
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Tarek hat damals überlegt, ob und wie er die fehlende medizinische Ausstattung in Gaza herstellen kann. Zurück in Kanada erzählen ihm Freunde von den damals noch recht neuen 3D-Druckern. Er kaufte sich einen und beginnt zu experimentieren: "Am Anfang ging gar nichts, aber mit der Zeit habe ich herausgefunden, wie ich mit dem Drucker umgehen muss."
Bauplan ist Open Source
Nach ersten Versuchen kam Tarek Loubani über das Spielzeug-Stethoskop seines Neffen auf die Idee, etwas Komplexeres zu drucken und zu bauen. Es dauerte mehrere Jahre, in denen er sein erstes Stethoskop-Modell gemeinsam mit Kollegen und 3D-Druck-Experten stetig verbesserte.
Mittlerweile gibt es einen ausgereiften Konstruktionsplan, frei im Netz verfügbar. Innerhalb von zwei Stunden sind die Einzelteile gedruckt. Zwei bis drei Euro kostet das Kunststoff- Stethoskop in der Herstellung. Und es soll sogar gleich gut sein wie das rund hundert Mal teurere Profigerät aus Edelstahl. Jeder kann sich die Testkurven auf der Webseite ansehen oder es selber testen. "Das ist ja das Schöne bei einem Open-Source-Projekt. Denn das klingt ja zu schön um wahr zu sein: es ist so billig herzustellen ist aber genauso gut wie das teuerste Gerät am Markt. Warum auch nicht. Die Technik dahinter ist 200 Jahre alt. "
Next stop: Pulsoxymeter
Tarek arbeitet mit Ingenieuren in Gaza zusammen, um ein Netzwerk von selbstgebauten 3D-Druckern aufzubauen. "Der Gaza Streifen hat eine Kunststoff-Recyclingrate von 100 Prozent. Es geht nicht anders. Auf legale Weise kann man ja kaum etwas importieren, auch keinen Kunststoff, also müssen wir ihn recyceln. Wir zerreiben und schmelzen ihn ein und pressen ihn zu langen Würstchen - fertig ist das Druckmaterial."
Tarek Loubani hat eine Menge Ideen, was er mit den praktischen Maschinen noch alles herstellen könnte: Seit kurzem arbeitet er an einem Pulsoxymeter. Damit lässt sich der Puls und die Sauerstoffsättigung des Blutes messen. "Für solche Geräte verlangen Hersteller an die 1.000 Euro, in der Herstellung kosten sie aber nur einen Bruchteil, ca. 25 Euro. Wir haben mit einer Uni in Kanada ein Modell entwickelt und testen es gerade." Das Stethoskop war erst der Anfang.