Erstellt am: 12. 6. 2016 - 13:50 Uhr
Kazim Akboga rettet den deutschen EM-Song
Berlin steht diese Woche ganz im Zeichen der EM. Die Fußballkneipen und Spätis sind beflaggt und geschmückt, die Fanmeile am Brandenburger Tor aufgebaut und seit Donnerstag sind die Verkehrsnachrichten im Radio etwa 4 Minuten länger wegen der ganzen Staus und Behinderungen. Die "Fanmeile" erstreckt sich nämlich die nächsten 4 Wochen über 1,5 Kilometer auf einer der Hauptverkehrstraßen Berlins – der "Straße des 17. Juni". Glücklich, wer da nicht hin oder dran vorbei muss.
Früher war alles besser, auch bei den Fußballliedern. Da haben aber auch die Herren Fußballer noch selbst gesungen, zum Beispiel 1990 mit Udo Jürgens: "Wir sind schon übern Brenner, wir brennen schon darauf".
Unvergessen bleibt uns der der ewige Hit der Nationalmannschaft von 1974: "Fußball ist unser Leben:
Gruselig hingegen, was dieses Jahr aus Deutschland an Fußballsongs geliefert wird.
"Jeder für jeden" heißt der offizielle WM-Song der ARD von Felix Jaehn und Herbert Grönemeyer. "Zusammenhalt steht über dem Ego, das Miteinander führt zum Erfolg! Jeder für Jeden", verkündet die Plattenfirma Universal. "Felix Jaehns unwiderstehliche Songstrukturen und Sounds treffen auf Grönemeyers einzigartiges Verständnis für Melodien und einen Text, der jedem von uns persönlich aus dem Herzen spricht."
Das ist natürlich Promosprache und meint übersetzt: schnell zusammengesetzter DJ-Schrott, angefertigt zur hymnischen Untermalung der besten Spielszenen der deutschen Mannschaft für die ARD. Modernität wird durch Großraum-Disse-House-Beats mit nerviger Snare vorgetäuscht, Richtung Refrain kommt dann reichlich Schmalz und Pathos dazu.
Schlimmer noch als die Musik ist der Text voller abgestandener Floskeln, misslungener Metaphern und falscher Sprachbilder:
"Im Ball der Gefühle, als Teil der Sinfonie – alle Gedanken geben auf …"
"Eine neue Aufgabe wird gespielt, nicht verloren …"
"Es gibt Reste von Zweifeln, die deine Herzen durchwühlen …"
Der auch schon schlimme letzte Grönemeyer-Fußballsong "Zeit, dass sich was dreht" von 2016 ist dagegen ein Meisterwerk.
Fast noch furchtbarer ist der Beitrag "Wir sind groß" des Schmusesängers Mark Foster . Das melancholische Gesäusel in angetäuschter Nachdenklichkeit mündet im Refrain in triefendes Pathos und dient zur Untermalung des textlichen Ausdrucks einer grundlegend verschobenen Selbstwahrnehmung: "Die Welt ist klein und wir sind groß". Was das alles mit Fußball zu tun hat, ist nicht klar – immerhin ist das Video aber in den Farben der französischen Tricolore gehalten und stellt damit einen Bezug zur Europameisterschaft her.
Stellvertretend für die Ballermann-Fraktion sei hier kurz das Fußballied von Melanie Müller feat. Micaela Schäfer "Ab nach Frankreich!" erwähnt. Fans der Dschungelshow "Ich bin ein Star, holt mich hier raus" kennen Melanie Müller als "Busengeneral". Micalea Schäfer hat bei vielen Zuschauern wegen ihrer Kleidungsallergie – sie musste sich immer zwanghaft nackig machen – bleibende Erinnerungen hinterlassen. In dem Song spielen Melanies Namensvetter Thomas Müller und der Name Müller eine große Rolle.
Kazim Akboga
Fachlich gesehen kommt das beste deutsche EM-Lied von Kazim Akboga aus Berlin-Neukölln, dem Berliner Publikum ist er schon durch sein BVG-Werbelied "Is' mir egal" bekannt.
Sein EM-Song "Deutschland ist gute Land" ist ein Volltreffer: Selbstironisch, postmigrantisch, mulitkulturell, eingängig.
Die arabisch anmutende, arabeske Songstruktur mit den kurzen, prägnanten, dem Fußballjargon entnommenen Zeilen, ist sprachlich voll auf der Höhe und versprüht Optimismus und Lebensfreude:
"Deutschland is gute Land,
Deutschland kommt in Final,
Deutschland holt das Pokal."
Dank der fortgesetzten Wiederholung des Refrains wird der Song sofort zum Ohrwurm. Die repetitive Struktur wird in der Strophe nur leicht variiert: "Jetzt kommt eine kranke Flanke, Stürmer sagt Danke Danke." Und der teilweise dadaistische Sprachfluss – " Das ist diese Mittelfeld, der wo jede gut gefällt" – passt sich perfekt dem typischen Sprachduktus unserer Fußballer an.
Man muss dem vor drei Jahren nach Berlin zugezogenen Bayern Kazim Akboga neidlos zugestehen: Er hat den deutschen EM-Song gerettet.