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Boris Jordan

Maßgebliche Musiken, merkwürdige Bücher und mühevolle Spiele - nutzloses Wissen für ermattete Bildungsbürger.

11. 6. 2016 - 15:45

Wenn du mich liebst

Wanda und EAV beim Nova Rock 2016.

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Einstellen. Auf Euphorie. Auf lautes Singen, auf Liebe und Verehrung. Auf Schnaps. Auf Chöre. Auf allerlei pubertäre Dummheiten. Darauf, dass gestandene Journalistinnen zu Siebenjährigen regredieren, die sich erstmals getrauen, für sie unverständliche Aufriss-Zweizeiler aufzusagen, "mit Worten öd und schal bringt dieselbe er zu Fall". Auf die umstrittenste Band der Stunde, die korrekterweise auch die ist, die am meisten geliebt wird.

Ich will ja gar nicht der Restintellektuelle links von Stefanie Sargnagel sein, der diese Band als einziger Vollsinniger schätzt. Aber es schaut so aus. Gründe gegen Wanda zu sein, gibt es ja genug, nicht wenige von ihnen selbst erschaffen: Die Yussuf Islam Gitarre. Der immergleiche Beat. Die blöde Rönne-Nummer. Dieses ewige "Gymnasiasten spielen Hauptschulabbrecher!"-Schaugesaufe. Die Wiener Schollenkleberei, würdelos und provinziell wie BAP. Die grausliche Lederjacke. Die Welteroberungsgeste. Das Heller-Deutsch. das geklaute Cornershop-Riff. Und und.

Und auf der derzeitigen Nazi-Demo im 15. Bezirk wird Amore aufgelegt, zusammen mit dem Radetzkymarsch, das auch noch.

Man muss sie aber für so vieles lieben. Für diese bedingungslose Künstlergeste, die immer so tut, als wäre alles beabsichtigt und reiner Zufall zugleich. Dafür, dass sie erkannt haben, dass Songwriter auf der Suche nicht nach der Message oder dem Refrain suchen, oder gar nach dem Bild –, sondern nach dem einen Wort, das alles sagt. Und im Pop ist dieses Wort oft Unsinn, BeBopALula, HideHo, Jein ... oder eben "Bussi", "Baby", "AnsZwaDreiVier" und "Amore".

Und dass das nicht bedeutet, dass der Rest des Wanda-Textes kunstlos sei, "Es ist wahrscheinlich etwas Wahres dran" als Liedanfang ist eines Morrissey würdig. Und ich will jetzt gar nichts hören über gelangweilte Mitvierziger Alimentezahler, die Schlagerdichtung zur Poeterei verbrämen. Einfach gar nichts.



Dafür, dass viele ihrer Songs die wichtigste Sekunde des sozialen Lebens im Blick haben, nämlich den Augenblick am Ende des Abends, an dem die sanktionierte "Geselligkeit" zu Ende ist und die nächtliche Existenz sich zwischen Intimität, Einsamkeit oder Exzess entscheiden muss - und meist zu gierig und zu betrunken ist, um das Richtige zu tun, aber nicht, um das Richtige zu wünschen, "Es ist so schön bei dir" ist reine Wunschproduktion.

Dafür, dass man diesen Jungs mit all ihrer gespielt leutseligen Hochnäsigkeit dennoch anmerkt, wie fassungslos sie diesem Irrsinn begegnen, wie ungläubig sie auf 50.000 erwachsene Menschen starren, die auf ihr Geheiß tatsächlich "Wenn du mich liebst, gib mir Schnaps" singen. Sie wissen: Das Riesenschiff Wanda ist ein aufblasbares Babymonster, es wabert und schwankt und kann morgen untergehen. Also lass uns den Moment genießen.

Und nicht zuletzt dafür, dass sie am Sterbebett daran denken, ihren Hund umzubringen, und dass es sowieso kein Haus am Land für sie gibt, ok. Das Sprachrohr einer Generation.

Dann kommt ein 65-Jähriger, der seinen Auftritt als "Jurrassic Park" bezeichnet, im Zivilberuf Tanzshowmoderator ist, begleitet vom Hiatamadl-Gitarristen (der echte Chef hatte wohl keine Zeit) - und der zeigt den Sprachrohr-Verseschmieden nochmal, was eine Harke ist. Transpiri, transpira.

Wir haben guten Spaß. Meine jüngeren Kolleginnen kennen zwar nicht den Alpenrap ("Sepp, Sepp, sei kein Depp") und "Afrika" ("an der Bar im Hotel wie ein Trottel an der Bottle") ... sonst ist ihnen aber, wie vielen in 80ern und 90ern Geborenen keine einzige Zeile fremd.

Ich erinnere mich, dass ich mit meiner damals neunjährigen kleinen Schwester zu einem EAV-Konzert ging, das praktisch nur für VolksschülerInnen ausgerichtet war. Meine Schwester konnte damals auch jedes Wort auswendig, nicht Refrain oder nette Jokes, sondern jedes Wort, darunter auch nicht wenige, deren Sinn sich ihr erst sehr viel später erschließen sollte, wie Mumienkeiler, Obulus, Furchenadel. So bestand das Nova Rock Festival kurzfristig aus 50.000 Kehlen , die "In diesem Disko-Bunker bin ich der Märchenprinz" brüllten.

Bilder, Bilder, Bilder

Wer am Freitag noch am Nova Rock gespielt hat: Bildergalerien von Vintage Trouble, Tesseract, Skindred, Atreyu, Trivium, Bullet for My Valentine und Disturbed.

War Hasselhoff an diesem Slot eine kleine Lachnummer (er ist zu meinem Schreck übrigens für nächstes Jahr schon gebucht), war Ambros ein kleiner melancholischer Happen, so war die EAV ein Riesenabräumer, ein richtiger Headliner, der drei Generationen Auswendigkönner mit einem "Morgen fang' ich ein neues Leben an" in die Nacht entlässt.

Der Austrofred wird's dagegen schwer haben.