Erstellt am: 11. 6. 2016 - 16:19 Uhr
Wie TV-Shows unsere Realität verändern
Politik und Moral, das sind die Themen, mit denen sich Agnieszka Holland seit den 70er Jahren, zuerst als Filmemacherin in Polen, dann in ganz Europa und den USA, beschäftigt. Mehrmals wurde sie für den Oscar nominiert, ist heute die Vorstandsvorsitzende der Europäischen Filmakademie und führt Regie in den richtig großen Qualitätsserien, wie "House of Cards", "The Killing" und "The Wire".
Daneben beschäftigt sich Holland mit der Frage, inwiefern die Serienwelt die echte Realität beeinflusst. Und ob Frank Underwood in "House of Cards" die politische Karriere von Donald Trump erst möglich gemacht hat.
Netflix
Sehen Sie sich als politische Filmemacherin?
Ich mache keine militanten Filme, ich sage nicht, was richtig und was falsch ist. Aber ich interessiere mich für die Komplexitäten der Objekte, die ich beschreibe. Und dafür, Themen aus verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten. Manchmal kommen wir aber an Momente, wenn alles politisch wird. Während dem Kommunismus war das Einkaufen von Wurst ein politischer Akt. Und jetzt wieder, wenn die Gesellschaft so radikal getrennt wird, da ist es fast unmöglich keine Stellung zu beziehen. Aber in Österreich kennt ihr das ja besser als ich, wie das ist, ein Land zu haben, das zweigeteilt ist. Also tatsächlich in der Mitte, das war ja was diese letzte (Anm: Bundespräsidenten-) Wahl so symbolisch gemacht hat.
Sollte Film und TV als Entertainmentform dafür benutzt werden, die Menschen zu bilden?
Ich bin mir nicht sicher, ob das in jedem Land gleich ist. Aber wenn wir über die USA reden, hat Fernsehen sicher einen großen Einfluss auf die Mentalität und das Wissen der Menschen gehabt. Das Wissen der Welt kommt zu einem großen Teil primär von den Medien und dem Fernsehen. Das sieht man, wenn man amerikanische Serien ansieht, sogar Serien, die eher "Pop" sind. Die können die Perspektive der Leute ändern und sie liberaler oder auch hasserfüllter und gewalttätiger machen.
HBO
Sie haben an "House of Cards" und "The Wire" gearbeitet, die beide für ihre Darstellung der Realität gelobt worden sind. Glauben Sie, dass auch die so einen Einfluss auf die Gesellschaft gehabt haben?
"The Wire" ist so ein komplexes Kunstwerk, das war für mich eine großartige Weiterbildung. Erst als ich das gemacht habe, habe ich die Komplexität der Tragödie der amerikanischen Städte verstanden. Das ist Weiterbildung im Stil von den großen Romanen des 19. Jahrhunderts, wie Charles Dickens. Aber paradoxerweise ist es das poppigere Fernsehen, das unmittelbar mehr zur Bildung beiträgt. Eine extreme Veränderung in der amerikanischen Gesellschaft war, wie sich die Wahrnehmung von Homosexualität verändert hat. Das Fernsehen und die populären Serien und Sitcoms, die homosexuelle Menschen als "normale" Menschen dargestellt haben. Söhne, Töchter, Freunde, und so weiter.
In manchen populären TV-Shows haben die Showrunner einen schwarzen Schauspieler als Präsidenten präsentiert (Anm.: Zum Beispiel "24 - Twenty Four"). Das war noch bevor Obama gewählt wurde und hat es für manche Menschen möglich gemacht, dass der Präsident Afro-Amerikaner sein kann. Amerikaner vermischen auf gewisse Weise Realität und Fiktion mehr. Dadurch kann die Fiktion die Realität viel stärker beeinflussen als in Europa. Aber auch in Europa kann das bis zu einem gewissen Grad stattfinden, es können Leuten die Augen für andere Sichtweisen geöffnet werden, die vorher schwieriger zu verstehen gewesen sind.
Sie haben gesagt, dass Frank Underwood von "House of Cards" die Karriere von jemandem wie Donald Trump zu einem gewissen Grad erst ermöglicht hat.
Ich mag "House of Cards" und denke, dass die Show ziemlich brillant ist. Aber ich habe mich auch gefragt, ob die Serie nicht auch einen antidemokratischen Einfluss hat, indem die Eliten und das Establishment als total zynisch präsentiert werden. Das trägt zur Enttäuschung mit der politischen Klasse bei und wenn man diese Sichtweise hat, kann jeder populistische Anführer die Leute überzeugen, dass das, was früher Weiß war, jetzt Schwarz ist. Und das passiert sicher mit Trump gerade. Das wäre wahrscheinlich auch ohne "House of Cards" passiert, aber die Trends und Tendenzen in diese Richtung können dadurch beschleunigt werden.
APA/AFP/JOHN MACDOUGALL
Sie arbeiten in Europa, aber auch in den USA. Was bevorzugen Sie?
Auf gewisse Weise ist die Logik des europäischen Kinos attraktiver. Künstlerische Freiheit ist für mich essenziell, ich versuche immer, dass der Film, den ich mache, meine persönliche Vision darstellt. Aber wenn man die richtigen Entscheidungen mit der Thematik, die man sich aussucht, macht, mit den richtigen Produzenten und Distributoren arbeitet, dann ist das auch in den USA möglich. Da muss man aufpassen, dass man mit Leuten arbeitet, die die persönliche Vision teilen. Meine persönlicheren Filme sind aber die Filme, die ich in Europa machen kann. Diese Möglichkeit, die Grundlagen für die persönliche Vision zu bekommen, ist aber auch eine Falle für das europäische Kino. Das hat sich dadurch zu sehr von seinem Publikum distanziert.
Als ich in den 70er Jahren angefangen habe Filme zu machen, war die Verbindung zwischen dem Publikum und dem kunstvollen Kino noch viel größer als heute. Dann plötzlich hat sich das europäische Kino in zwei Richtungen geteilt: Die eine ist für einen Großteil des Publikums ziemlich obskur, Festivalfilme etwa, und auf der anderen Seite hat man komplett kommerzielle Produktionen. Und in der Mitte ist ein Vakuum. In dieser Mitte war das Kino in den 70ern, 80ern und 90ern am stärksten. Viele Leute wollten nicht nur pures Entertainment, sondern auch eine gewisse Message und eine Verbindung mit einem ernsthafteren Thema. Die aber auf attraktive Art dargestellt wurde. Dieses Kino der Mitte ist verschwunden und existiert praktisch nicht mehr. Etwas Ähnliches ist in den USA passiert, bis auf Filme, die für die Oscar-Zeit gemacht werden.
Was hat sich verändert?
In Europa ist das komplex: Die Macht der Filmkritiker und der Festivals war so stark, dass die bestimmt haben, was für Filme künstlerisch wertvoll sind und welche nicht. Und das hat die Filme, die zwischen Entertainment und persönlicher Vision stehen, ausgeschlossen. Und die haben dann ihr Publikum verloren. Ich bin die Vorsitzende der europäischen Filmakademie und eines der größten Probleme, das ich sehe, wenn ich europäische Filme ansehe ist, dass so wenige davon ein großes Publikum sammeln. Aber bis in die frühen 90er war das möglich, da war das europäische Kino in diesem Feld ganz erfolgreich. Die Elitisierung des europäischen künstlerischen Kinos hat einen schlechten Einfluss auf die Gesundheit desselben gehabt.
Die hochqualitativen TV-Serien in den USA haben den Platz von diesem Kino der Mitte eingenommen. In Amerika reagiert der Filmmarkt viel schneller auf die Realität als in Europa. Amerikaner haben gesehen, dass es ein Vakuum gibt und die Natur mag kein Vakuum, also haben sie TV-Serien produziert, die Ambition und Originalität haben. Serien über neue Themen und neue Ausdrucksweisen, aber gleichzeitig zugänglich und attraktiv für ein weites Publikum. In Europa haben wir lang nicht darauf reagiert. Erst jetzt gibt es den vorsichtigen Versuch etwas aufzubauen. Aber außer Großbritannen und Skandinavien ist da niemand sehr erfolgreich. Deswegen bin ich dann auch in den USA ins Fernsehmachen gegangen, weil das in dieser Hinsicht einfach viel interessanter gewesen ist.