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Boris Jordan

Maßgebliche Musiken, merkwürdige Bücher und mühevolle Spiele - nutzloses Wissen für ermattete Bildungsbürger.

11. 6. 2016 - 13:46

Es wird entspannt

Der launige Nova Nachmittag in Pop: White Miles, LaBrassBanda, Editors, Garbage, The Offspring.

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Morgens drohten noch Wolken, doch schon sind sie vorübergezogen und es herrscht jetzt die ersehnte flirrende Hitze, wenn auch weniger heiß als in den letzten Jahren. Der fesche Bassist von, ich glaube, Tesseract steht hinter der Bühne mit einem Mittags-Gin Tonic herum, traurig, unerkannt und fern der Heimat, ein repräsentatives Trauerbild der einsamen Nachmitagsslot-Füller. Die Zeit bis Garbage will jetzt überdauert werden.

Wanda geistern herum und geben von ORF bis zum steirischen Tattoo Magazin allen volksnahe warme Worte. Freitag Abend sind sie die ersten österreichischen Headlinder seit es diese Art Riesenfestivals hierzulande gibt. Alle werden Bussi und Amore schreien, und das zurecht. Aber dazu später.

Nova Rock Areal

Franz Reiterer

Die Regencape-Challenge ist abgesagt oder verschoben, die "unwichtige verblichene Band"-T-Shirt-Challenge ist nie so recht in die Gänge gekommen, die Hauptmotive Motörhead und Ramones sind verblichen aber superwichtig, die weniger wichtigen gibt es einfach irgendwie immer noch, Bandauflösen ist sehr Nineties, jetzt sitzt man eher die Wartezeit auf die Reunion aus. Wie erwähnt, "Freakwater" wurde noch nicht getoppt.

Man hört von irgendwo her Bläsergebläse und Holleretullöh, LaBrassBanda gönnen sich wohl einen Backstage-Frühschoppen, denkt man sich, doch nur fast: Gehostet vom gutgelaunten Alex Wagner, und live auf Facebook gestreamt von Conny Lee (und dort zu sehen), spielen die netten Bayern neben dem Ö3-Mobil ein spontanes kleines Set, das Lust macht auf mehr von ihren kleinen Susaphon- Ska Lovesongs, die ein kleines Gegengewicht zu all den donnernden Gitarren darstellen werden.

Ich muss mich wegen gestrigem Geschwätz entschuldigen: Die Blue Stage wird mit massiver rockiger Frauenpräsenz beehrt. Bones aus UK sind durch ihre Zusammenarbeit mit Jeff Beck unlängst ins Gespräch gekommen, dem Gott der Gitarrenangeber von vor drei Generationen, mit dem sie sein neues Album "Loud Hailer" aufgenommen haben. Sie spielen ein kompetentes, fast funkiges Minimal Set, leidenschaftlich und druckvoll, das sich einen späteren Slot verdient hätte und ihn in Zukunft sicher bekommen wird. Die Bones-Gitarristin Carmen Vandenberg ist die erste virtuose, am dynamischen Stop-n-Go Spiel geschulte, blueskompetente Leadgitarristin. Die Bones-Zugabe ist "Helter Skelter", lang nicht gehört, dann kommt die Zweite, direkt aus Tirol.

Die White Miles sind auch in letzer Zeit vermehrt ins Gespräch gekommen. Zuerst als Wunder aus dem Tiroler Unterland (10 km von meinem Geburtsort entfernt), das vom Tiroler Metal-"Urgestein" (ich hab es ausgesprochen) Klaus Schubert von No Bros "entdeckt" worden sein soll - eine Geschichte, die man glauben kann oder nicht, ich zweifle das ein wenig an, schließlich ist immer ein gönnerhaft abnickender männlicher Mentor bei weiblichen MusikerInnen irgendwo versteckt. Kurz darauf staunten alle über die am härtesten Tourende Ösi-Band in Business, mit Courtney Love und den Eagles Of Death Metal. Und dann war da noch Bataclan.

Mittlerweile sind Medina Rekic und Lofi am Gipfel ihrer Spielfreude angekommen, Medina trägt eine "Kutte" (ohne Aufnäher), spielt wie eine Teufelin und stakst sich durch ihr Set wie der Joe Strummer selig. Denen macht niemand was vor, die sind getrieben und voller Liebe zu Blues und Rock und Lärm und Groove.

Dumm, dass man das noch sagen muss, aber in den Händen dieser Frauen ist das Erbe von Sister Loretta, Ike Turner oder Link Wray so gut aufgehoben wie überall sonst, die edgy elektrische Rockgitarre auf Bluesbasis hat überhaupt nichts eigentlich Männliches an sich.

In Tirol tut sich überhaupt was, die Clique um das Label des charmanten Informal Thief macht in zwei Wochen erstmals ein Werkschaufestival, den "Arsenal & Vintage Fair" im schönen Innsbrucker Zeughaus, mit Bands aus Tirol und den Steaming Sattelites dazu, check this out. Die White Miles sind leider nicht dabei, die erobern derweil einen weiteren Planeten.

"All die Bands, die hier spielen sind so fesch und schminken sich wild und wir sehen so fett und scheiße aus, aber das ist uns scheißwurst" ... oans, zwoa, drei ... Wie diese Musik jetzt heißen soll weiß niemand, Techno eher nicht, Gypsy Brass wie vor ein paar Jahren wohl eher auch nicht, Hiphop, hm .... Ich würde ja am ehesten Ska sagen, wie irgendwie jede sich in halsbrecherisch- rasenden DoppelDoppelDoppelbeat raufsteigernde Vierviertel- Musik gerne zu Ska wird.

Auf jeden Fall geht's zünftig und lustig zu und die Menge mag die wie obgenannt superschnellen Versionen von Daft Punks "Around the World" oder des so genannten "Österreicher Medley", bestehend aus "Amadeus", "Das Modell" (!) und "99 Luftballons"(!!), die auch von Oberbayern aus gesehen nur schwer nach Österreich geschwindelt werden können. Jetzt wird richtig viel gehüpft und gealbert, Der LaBrassBanda-Sänger erfüllt eine der Challenges, indem er das Wort "bärig" sagt.

Die von einer Rum- Firma als Gag verteilten, überall präsenten rotweißroten Oberarmschleifen nerven mich sehr: SA- oder Saalordner- Merchandize für Betrunkene ist keine sehr gute Idee, das sieht auf Fotos nicht gut aus, gelinde gesagt.

Die Blaue Bühne wird jetzt zur reinen Pop-Bühne, jegliche "Hartwurst" wird auf der Red Stage gebraten und in einer eigenen Geschichte voll der Schönheit gezeigt - denn die Fotos von dort kommen vom Fotomagier Patrick Wally.

Obwohl die Editors gar nicht wenig Hits zu verbuchen haben, ist der Platz vor der Bühne leerer als bei LaBrassBandas Spasshow. Irgendwie hat man den Eindruck, dass das hier nicht her passt. Zu gestylt, zu glatt, zu profimässig runtergespult wirkt ihr Set, mit zu wenig "Seid ihr gut drauf"-Verbrüderungsgesten. Dazu sieht die Band im Coldplay-Look ganz in Schwarz aus, als wären sie (wie die Queen von Daniel Craig mit dem Hubschrauber bei der Olympia-Eröffnung) auf ihrer Dachterrasse in Shoreditch beim Mint-Julep- Schlürfen überrascht, abgeholt und direkt auf den burgenländischen Acker verpflanzt worden. Das ist ein solider britischer Gig, aber er bleibt ohne Funke, ohne Liebe, so überraschend wie ein Koriander Kochkurs in der Mittelklasse-Hölle. Man muss sich hier um Garbage und die gerne hochnäsig sich gebärdende Shirley Manson ein wenig Sorgen machen.

Die merkt das auch sofort und sie sieht etwa die Hälfte der Menschen, wie zugleich bei Trivium auf der anderen Bühne, und stakst erbost im Kreis. Wut ist die Quelle ihrer Kraft: War das nicht die eigentliche Garbage-Charakteristik, die nervös-wütende Energie von Shirley Manson, in Sehnsuchtsmelodien gegossen und in ein warmes, lautes Gitarrenbett gelegt? Und so reißt sie das Ruder herum, agitiert, kämpft, flirtet mit einem verdutzten Bartträger im rosa Plüschkostüm, widmet ein Liebeslied "der ukrainsichen Masseuse, mit der ich zuvor Sex hatte", sie lacht auch viel, erobert den Raum - und die Menschen kommen. Das Publikum wird jetzt mehr, es ist etwas älter und etwas weiblicher. Und die werden jetzt erinnert, wieviele Hits Garbage in 20 Jaren zusammengebracht hatten.

Und noch eine Anekdote erzählt sie: Als ich Garbage zum letzten mal in Wiesen sehen durfte (und das war wohl das letzte Mal in Österreich) war Shirley Manson von einem Fan angespuckt worden und darauf ordentlich ausgerastet ("I went beserk"): Einerseits sei es ihr peinlich gewesen, als ein Video von ihrem Furor auf Youtube geladen war, andererseits hat sich ein Fox TV Producer so von dieser Szene begeistert gezeigt, dass er ihr ihre erste Fernsehrolle angeboten hatte - die eines flüssigen Terminators in den "Sarah Connor Chronicles". So dankt sie heute dem unbekannten österreichischen Spucker "for earning me half a million dollars".

Jetzt öffnen sich wiedermal die Schleusen - aber nicht die des Himmels. Das gesamte Festival stürmt jetzt vor die Blaue Bühne. Noodles und Dexter haben sich angesagt, die (neben Green Day) letzten Überlebenden der Pubertätspunk-Kapitalisten-Generation der Neunziger, der Generation, die im Gegensatz zur Erfindergeneration mit einer vereinfachten und entpolitisierten Variante von Hardcore ein paar Häuser verdient haben. Es sieht nach Massenhochzeit aus, hier sind sogar mehr Menschen als letztes Jahr bei den Toten Hosen.

Es scheint Vorschrift zu sein, dass die jeweils aktuelle Offspring-Show der jeweils vorangegangenen Offspring-Show aufs Haar gleicht. Ich kann jedenfalls keinerlei Untschied zum vorletztem Nova Rock ausmachen, außer dass Dexter Holland etwas fülliger geworden ist und der gute Noodles etwas bankbeamtiger aussieht, aber das wollen wir ihnen nicht vorwerfen. Conny Lee nennt diese Musik "Stresspunk" und auf mein Wundern, welcher Punk jetzt im eigentlichen Sinn "unstressig" wäre, ernte ich Ausflüchte. Das sei eben stressig. Ich könnte mir vorstellen, dass das unvariierende Genöle von Dexter auf Dauer anstrengend weden könnte, aber ein bisschen Hektig sollte Fun Punk schon haben.

Bilder, Bilder, Bilder

Wer am Freitag noch am Nova Rock gespielt hat: Bildergalerien von Vintage Trouble, Tesseract, Skindred, Atreyu, Trivium, Bullet for My Valentine und Disturbed.

Hinter der Bühne steht ein Roadie mit einem "OFF!"-T-Shirt, und ich darf an eine kleine Nachhilfe-Veranstaltung für historisch Interessierte Punks erinnern: In der Arena Wien kann man im August eine Art Black Flag Reunion (allerdings ohne die nicht unwichtigen Henry Rollins, Greg Ginn und Kira Roessler) unter dem Namen "Flag" bewundern... mit dabei Bill Stevenson und Stephen Egerton, vor deren Descendents Dexter und Noodles sich schon die Nasen an den Scheiben platt gedrückt haben dürften, die Gründerväter des Genres ... kann man sich auch mal anschauen..

Aber das erst später, jetzt regiert gleich die Liebe, der schnapsselige österreichische Konsens und das scharfe Schwert der EAV.