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Christian Lehner Berlin

Pop, Politik und das olle Leben

9. 6. 2016 - 14:38

Lieber eins auf die Fresse

Die 90s-Alternative-Stars Garbage stellen am Nova Rock ihr neues Album "Strange Little Birds" vor. Wir haben Sängerin Shirley Manson zum Karrierecheck getroffen.

Garbage stellen am Freitag beim Nova Rock ihr neues Album "Strange Little Birds" vor. Heute gibt es in der FM4-Homebase ab 19 Uhr ein Garbage-Spezial.

Christian Lehner: Die Geschichte des neuen Garbage-Albums beginnt in einem Probekeller in Madison. Sowas hört man sonst eher von Bands, die noch am Anfang ihrer Karriere stehen.

Shirley Manson: Es war ein wenig frustrierend: Wir kamen von der letzten Tour zurück, waren voller Ideen, mussten aber warten, bis Butch (Butch Vig, Drummer von Garbage und Produzent, Anm.) das neue Foo-Fighters-Album fertig hatte. Wir konnten es kaum erwarten und so hat er uns einfach in seinen Dachboden eingeladen, anstatt ein Studio zu buchen. Wir haben sofort mit dem Songwriting begonnen. Das hat sich als Glücksfall erwiesen.

Warum?

Weil wir es im Studio nicht länger als eine Woche miteinander aushalten! Die Improv-Sessions hingegen, das hat so gut funktioniert, dass wir diesen Rhythmus beibehalten haben. Wir trafen uns jeden Monat für eine Woche und hatten nach einem Jahr ein fertiges Album.

Muss man sich Garbage also wie eine Familie beim Thanksgiving Dinner vorstellen, wo sich alle nach einer bestimmten Zeit an die Gurgel gehen?

Ja, es ist tatsächlich so wie unter Geschwistern. Wir sind seit 21 Jahren eine Band. Da muss man sich schon sehr gut überlegen, wie man die Zeit miteinander verbringt. Die Patchwork-Methode war zwar etwas seltsam, aber wir hatten wieder richtig Spaß. Ich bin auf der Couch herumgelegen und habe Songs geschrieben - so wie früher. Bis zum Sequencing hatte keiner eine Ahnung, wie das Album klingen wird. Und plötzlich war es da.

Garbage, Shirley Manson

Christian Lehner

"Are you done taking photos?" - Shirley Manson beim FM4-Interview in Berlin

Hast Du deshalb in einem Interview gesagt, dass sich diese Platte für Dich wie Euer Debüt "Garbage" von 1995 anfühlt?

Ja, dieses Chaos und das Nichtvorhandensein von Routine hat mich an die frühen Tage erinnert. Es ist ja so: Beim ersten Album denkst du nicht daran, dass es jemand hören wird, oder was Kritiker zu sagen haben. Du machst einfach eine Platte und hast Spaß. Beim zweiten Album verspürten wir dann viel Druck, weil das erste so erfolgreich war. Glücklicherweise war auch das ein echter Burner. Beim Dritten wollten wir neue Dinge ausprobieren und seitdem sind wir auf einer Odyssee.

Man sagt, dass es heute wesentlich schwieriger ist, als Band durchzustarten. In meinen Ohren klingt das ein bisschen nach Mythos.

Das Überleben war immer hart für Musiker. Warum? Weil das Leben an sich ein Kampf ist. Jeder struggelt, jeder muss sich durchbeißen. Warum sollte das in der Musik anders sein? Es ist also nicht härter oder besser geworden, sondern anders. Was ich als schwieriger empfinde, ist das Aufrechterhalten von Fanloyalität, weil es täglich so viel mehr neue Musik gibt und das Internet alles multipliziert hat. Pop war in den 90s definitiv überschaubarer.

Lehner: Du hast "Strange Little Birds" als romantisches Album bezeichnet. Was meinst Du genau damit?

Wenn man sich verliebt, ist man am verletzlichsten und so sehe ich das Album. Es steckt voller Sorgen, Ängste und Zweifel. Und voller Fragen. Jeder Song handelt von einer Lebenskrise und wie ich damit umgegangen bin.

Jeder Song ist also ein seltsamer kleiner Vogel?

Sind wir das nicht alle? Ich glaube, dass wir uns im Grunde genommen fremd sind. Selbst diejenigen, die einem am nächsten stehen, haben ihre Geheimnisse und überraschen uns immer wieder – leider nicht nur im positiven Sinn. Am Ende sind wir alle Fremde. Ich glaube, so ist der Mensch beschaffen.

Versuchst Du trotzdem auszubrechen?

Ich versuche, so viele Erfahrungen wie möglich zu sammeln. Das hilft. Als ich zu Garbage gekommen bin, war ich schon fast 30. Der Song "Milk", vom ersten Album, ist der erste Song, den ich je geschrieben habe. Gegenüber anderen Songschreiberinnen oder Sängerinnen in meinem Alter habe ich also noch ordentlich aufzuholen. Ich fühle mich bis heute unvollständig. Vor jedem Album denke ich, dass ich überhaupt keine Ahnung habe. Aber ich empfinde das als Vorteil. Das motiviert mich.

Wenn ich mir Fotos aus den 90ern ansehe, muss ich immer lachen, wie ich damals ausgesehen habe. Ist das mit Musik ähnlich, wenn man sich die alten Sachen anhört?

Wir haben im vergangenen Jahr das 20-jährige Jubiläum unseres Debütalbums gefeiert. Wir haben es remastered und uns deshalb noch einmal intensiv damit auseinandergesetzt. Man entdeckt Kleinigkeiten, die man heute anders machen würde, aber wir sind immer noch sehr stolz auf "Garbage".

Bandsite: Garbage

Songs wie "Stupid Girl" oder "Only Happy When it Rains" waren richtige Superhits. An was kannst du dich erinnern, als ihr die geschrieben habt?

"Only Happy When It Rains" war einer der wenigen Songs, die schon fertig waren, als ich zur Band gestoßen bin. Ich habe ihn etwas umgearbeitet und dann eingesungen und es ist einfach eine Garbage-Hymne geworden. Ich singe diese Hits noch immer sehr gern, denn es sind tatsächlich sehr besondere Stücke.

Vor einigen Wochen ist im Guardian ein Artikel erschienen, der das Ende der klassischen Pop-Genres verkündete. Wenn man sich euer Debüt anhört, war das seiner Zeit ziemlich voraus. Es war ein Stilwildwuchs von Elektronik, Vintage- und Alternative-Rock.

Deshalb waren wir damals auch vielen Kritikern suspekt. Das kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen, aber damals gab es noch richtige Style-Wars.

Heute scheint der Crossover nicht nur eine künstlerische Entscheidung, sondern auch vom Markt forciert. Vermisst Du etwas an den 90s?

Nicht so sehr in der Musik, sondern im Radio, denn das Radio war damals viel ekletischer und abwechslungsreicher. Heute konzentriert sich alles auf ein paar Pop-Acts, die in einer sehr engen Rotation laufen. In den 90s hörte man sogar im kommerziellen Radio Missy Elliott neben Fiona Apple, Snoop Dogg oder Radiohead. Heute klingt alles sehr ähnlich und homogen.

Du hast nach dem Terror in Paris eine bewegende Rede gehalten. Man merkt, dass Dich diese Themen sehr beschäftigen.

Im Westen haben wir gelernt, die Fesseln der Religion abzulegen. Jetzt haben wir es mit einer Kraft zu tun, die sich ganz tief in die Religion eingegraben hat. Was daran so ernüchternd ist: Die Gewaltbereiten sind überall auf der Welt in der Minderheit. Der große Teil der Menscheit will in Frieden leben, Kinder aufziehen, das Leben genießen. Wir leben in einer Kultur, die den Konflikt zwischen Schwarz und Weiß, Gläubigen und Ungläubigen etc. extrem fördert. All der Hass! Das macht mir Angst. Und es ist frustrierend, dass Medien und Politik als Verstärker auftreten, anstatt nach Lösungen zu suchen. Wo bleibt eine Politik, die Hoffnung macht? Derzeit sind wir alle im Chaos verloren.

Das neue Album beginnt mit den Zeilen: "Sometimes I’d rather take a beating/Sometimes I’d rather take a punch". Du meinst das im übertragenen Sinn?

Nein, ich meine das wortwörtlich. Mir wäre ein Schlag in die Fresse lieber als die psychologische Folter, der wir als Menschen ausgesetzt sind. Derzeit scheint es unmöglich, in einen Dialog einzutreten, der mit Argumenten geführt wird oder überhaupt in einen Dialog einzutreten. Aber uns wird nichts anderes übrigbleiben, wenn wir da wieder rauskommen wollen. Wir müssen lernen, mit jenen zu reden, mit denen wir nicht reden wollen. Es ist eigentlich absurd: Wir leben in einer globalisierten Welt, wir können über das Internet mit allen kommunizieren, wir teilen alle den selben Space. Ich fühle mich nicht mehr als Schottin. Deutschland, Syrien, Australien – das sind doch Konzepte der Vergangenheit. Ohne Diaolog werden wir weiter mit dem Terror leben müssen und mir bereitet das schlaflose Nächte.

Ich bin ein Kid der späten Achziger, habe den Fall des Eisernen Vorhangs als Teenager erlebt und war damals ziemlich hoffnungsvoll, was die Zukunft betrifft. Wenn mich jemand in das Jahr 2016 gebeamt hätte, hätte ich das nicht für möglich gehalten, was da gerade abgeht.

Ich werde im August 50 und ich habe in meinem Leben noch keine schrecklichere Zeit erlebt als die Gegenwart. Man hat das Gefühl, dass wir uns in einem neuen Weltkrieg befinden, der Feind aber unsichtbar ist.

Paris und der Anschlag auf das Bataclan haben gezeigt, dass man auch in der Seifenblase der Popkultur nicht mehr sicher ist. Machst du dir jetzt mehr Sorgen um dich und dein Publikum?

Ich war diesbezüglich immer schon eine hyperwachsame und nervöse Person. Jedesmal, wenn ich auf die Bühne steige, weiß ich, dass ich verwundbar bin und dass ich nichts dagegen tun kann. Man lernt natürlich mit dieser Angst umzugehen und darauf zu vertrauen, dass die meisten Menschen friedlich gesinnt sind. Das was im Bataclan passiert ist, war so furchtbar, dass ich mir so etwas vorher nicht vorstellen konnte. Aber so ist Terror: Er betrifft alle Menschen und somit natürlich auch uns Künstler.