Erstellt am: 10. 6. 2016 - 11:37 Uhr
Prankster, Wölfe, Klassenkampf
Aus dem ohnehin an filmverliebten Orten nicht armen Wien wird im Sommer quasi ein Kinosaal-Fleckerlteppich unter freiem Himmel. Die ansonsten von außen nicht einsehbaren Kinosäale stülpen sich nach außen, statt Popcorn riechts nach Gelsenspray und schon seit Jahren gibt es statt aufgewärmten Blockbustern, die ohnehin noch im regulären Kinobetrieb dahindümpeln, eine beachtliche Menge Spezialprogramme, liebevoll Kuratiertes - und das auch außerhalb der Hauptstadt.
Der Festivalliebling dieses Jahr ist Ethan und Joel Coens Hollywoodliebeserklärung im satirischen Mantel namens "Hail Caesar", wer den bis jetzt verpasst hat, hat jede Menge Gelegenheit nachzuholen zu sehen, wie Channing Tatum im Matrosenanzug tanzt.
UPI
Und wer immer noch nicht Clara Trischlers wunderschönen Kurzfilm "Zu Hause ist kein Ort" gesehen hat, kann das beim dotdotdot Festival nachholen. Hier wird die Liebe zum Kurzfilm gefeiert, aber nicht nur das - dotdotdot verbindet auch Film und Tanz und das heißt hier, dass auf, aber auch abseits der Leinwand getanzt wird. Unter dem Motto "dance like nobody's watching" gibt es Gespräche, Workshops, Performances - und natürlich jede Menge Kurzfilme. Und am 8. Juli eröffnet das frameout im Wiener Museumsquartiert mit einem Programm, das einen überlegen lässt, ob man nicht einfach gleich den ganzen Sommer dort verbringt: Experimentelles findet hier Platz wie eine Würdigung der tschechischen New Wave Bewegung und Regisseur Lindsay Anderson oder aber eine Doku über Frauen und Graffiti.
Weil man bei all den Kinos am Dach unter Sternen wie noch nie schließlich doch schneller als man denkt, den Überblick verliert hier einige Empfehlungen - und die Übersicht über Sommerkinos in ganz Österreich.
Velvet Goldmine
Jeder Film von Todd Haynes kann uneingeschränkt empfohlen werden, an "Velvet Goldmine" hängt mein Herz aber besonders. Jonathan Rhys-Myers agiert darin herrlich exaltiert als Glamrock-Ikone Maxwell Demon. Was ursprünglich als konventionelleres David Bowie Biopic geplant war, änderte seine Richtung, als Bowie Haynes untersagte seine Musik zu verwenden. Und so übte Haynes mit "Velvet Goldmine" was er mit "I'm not there" perfektionierte: Das Biopic, das keines ist und deswegen so viel mehr erzählen kann. Ein fantastisches Stück queeres Kino, mit Ewan McGregor als Mischung zwischen Iggy Pop und Lou Reed.
volxkino
Thelma & Louise
Zunächst möchte man ja weinen, weil einer der großen feministischen Hollywood-Filme auch nur ein tragisches Ende für seine zwei weiblichen Hauptfiguren parat hat. Dann aber, muss man sich daran erinnern, dass "Thelma und Louise" nachholt, was auf der Leinwand Männern vorbehalten war: Ein Road Movie, ein Buddy Movie, zwei Frauen als Außenseiter, gejagt vom Gesetz. Im Ford Thunderbord sitzen Susan Sarandon und Geena Davis und Brad Pitt hat damals das weiße T-Shirt wieder populär gemacht.
mgm
High Rise
Wer schon zwei Tage vor dem Österreich-Filmstart über den Film reden will, über den alle reden werden, der schaut sich am 6.7. "High Rise" an. Ben Wheatly verfilmt JG Ballard und mittendrin Mimik-Nureyev Tom Hiddelston. Ein Hochhaus als Schauplatz (und Metapher) für Klassenkampf. Wer als erster "Kubrick" sagt, hat verloren"
kino wie noch nie
Detour
Die Coen Brothers müssen diesen Film lieben. Eine Verkettung unglücklicher Umstände später ist aus dem ansich nur leicht unzufriedenen Barpianisten ein Mann in mehr als nur einer Zwickmühle geworden. Al wollte eigentlich nur seine Freundin nach Hollywood nachreisen, doch ehe man "Autostoppen ist gefährlich" sagen kann, steckt er schon in den Anzügen eines anderen Mannes und wird von einer Femme Fatale erpresst. So will es die Welt des Film Noir. Edgar G. Ulmers Film aus dem Jahr 1945 ist ein Genrejuwel. Wird gemeinsam gezeigt mit Michael Palms Dokumentation "Edgar G. Ulmer - The Man Off-Screen"
mgm
Wild
Nicolette Krebitz ist die unangestrengst-souveränste Person der deutschen Filmprominenz, eine Ausgeburt der Coolness. Ihr Film "Wild" hat beim Sundance Festival alle ordentlich durchgebeutelt. Eine Frau verliebt sich in einen Wolf. Wildniss und Zivilisation, das Menschliche und das Animalische, das alles prallt in Krebitz außergewöhnlichem Film aufeinander.
NFP
Toni Erdmann
So außer sich war Cannes schon lang nicht mehr. Zuerst ungeteilte Euphorie für Maren Ades Film "Toni Erdmann" und dann geballte Entrüstung darüber, dass er bei der Preisverleihung leer ausgegangen ist. Sandra Hüller und Peter Simonischek spielen Vater und Tochter, die außer Genmaterial nicht viel gemeinsam haben. Vater Winfried ist ein Scherzbold, der sich gern in sein Alter Ego Toni Erdmann verwandelt und seine Tochter in Verlegenheiten bringt. Aber oft braucht es für eine Annäherung eben ein Alter Ego mit Scherzgebiss.
Festival de Cannes
The last picture show
Man vergisst ja manchmal, dass der stets betropatzt dreinschauende Bogdanovich nicht nur ein Lexikon der Filmgeschichte ist, der in keinen DVD-Extras fehlen darf, sondern auch selbst Filmemacher ist. Gleich drei Bogdanovich-Werke finden sich im Programm desVolxkino. Neben der Screwball-Hommage "She's funny that way" und dem nostalgisch-verschrobenen "Paper Moon" ist auch sein Meisterwerk dabei: "The Last Picture Show": Jugendliches Erwachen in der texanischen Kleinstadt-Tristesse, das einzige Kino wird schließen, noch einmal flackert Hawks "Red River" über die Leinwand, während in den Kinositzen geschmust wird. Ein großer, großer Film.
Sony Pictures Home Entertainment