Erstellt am: 9. 6. 2016 - 10:44 Uhr
Déjà-Vu an der U6
Am 1. Juni trat eine Novelle zum Suchtmittelgesetz in Kraft, weil der Legislative, der Polizei, den Bürger_innen oder vielleicht auch nur der Kronen Zeitung und Co aufgefallen war, dass junge Herren aus fremden Ländern entlang der U6 einem Geschäft nachgehen, das nicht besonders koscher ist.
In einer Zeit, in der wir uns mit vielen neuen Mitmenschen, vielen neuen politischen Umwälzungen und vielen neuen Spritzen in der Badner Bahn konfrontiert sehen, ist uns plötzlich aufgefallen, dass es in und um die viel beflegelte U6 eher arg zugeht. Das ist nicht nur ein subjektives Gefühl von Leuten, die ich pauschal als "Spießer" betiteln würde, sondern leider tatsächlich Tatsache.
APA/HELMUT FOHRINGER
Gedealt wurde auch früher schon, ich wage sogar "immer schon" zu sagen. Dass es im März 2016 doppelt so viele Anzeigen um die U6-Hotspots herum - die meisten davon Drogendelikte - als im Vorjahr gab, heißt eher, dass die Polizei genauer hinschaut und nicht nur, dass mehr los ist. Ich will die Situation aber nicht beschönigen. Ja, es wird da viel gedealt. Ja, mancher Dealer ist gewaltbereit. Ja, es macht keinen Spaß, einem "Junkie" in der U-Bahn gegenüberzusitzen. Ja, man überlegt es sich zweimal, ob man abends alleine die Stadtbahnbögen entlangspaziert.
Löst es aber unsere Probleme, wenn schwarze Männer, egal welchen Alters, ohne Grund - außer ihrer Hautfarbe - auf offener Straße aufgehalten, kontrolliert und durchsucht werden? Und das auch noch durch Polizist_innen in Journalistenbegleitung passiert? Die, die dealen, werden deswegen nicht damit aufhören, sondern sich eher ein neues Plätzchen suchen. Genauso, wie ich meinen Schnupfen nicht behandle, indem ich meine Nasenlöcher zustopfe, ist auch hier reine Symptombekämpfung nicht zielführend.
Vergangenheit wiederholt sich
Vielleicht ist es auch einfach ein österreichisches Phänomen, dass wir ungern aus unserer Vergangenheit lernen. Die Angst vorm schwarzen Mann, das mediale Stimmungsmachen gegen ihn und eine eher als Beschwichtigungsmaßnahme inszenierte polizeiliche Aktion gegen ihn, gab es schon öfter. 1999 und 2000 in Form der Operation Spring nämlich. Und das geschah in einer ähnlichen Dimension, wie die 200 präventiv frei gemachten Betten im Gefängnis Wien-Josefstadt andeuten.
Bei der groß angelegten und medial zelebrierten Razzia wurden 127 Afrikaner_innen auf der Straße oder auch in Unterkünften des Vereins Ute Bock verhaftet. Mithilfe anonymisierter Zeug_innen und dem "großen Lauschangriff", der Ton- und Bildaufnahmen produzierte, auf denen kaum etwas zu erkennen war, kam es zu Verurteilungen mit dem Wortlaut, der Angeklagte habe "unbekannte Mengen von Drogen an einem unbekannten Ort zu einer unbekannten Zeit unbekannten Personen" verkauft.
Richtigstellung: Marcus Omofuma wurde nicht im Zuge der Operation Spring verhaftet und verurteilt.
Das mit dem Dealen auf offener Straße ist wirtschaftlich (v.a. für Lokalbetreiber in Nähe der Umschlagplätze) und auch aus Gründen der Sicherheit gar nicht ideal, aber muss sich deswegen die Geschichte wiederholen? Und müssen deswegen Eltern ihren schwarzen Söhnen, wenn sie ihnen erklären, dass es kein Christkind gibt, auch gleich beibringen, dass sie sich auf willkürliche Polizeikontrollen und eventuelle Körperverletzung von Seiten der Exekutive gefasst machen sollen?