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Christian Fuchs

Twilight Zone: Film- und Musiknotizen aus den eher schummrigen Gebieten des
Pop.

7. 6. 2016 - 13:31

Teenage Angst

"Der Nachtmahr" und "Green Room": Zwei neue Horrorfilme kreisen auf extrem unterschiedliche Weise um das Thema Jugend.

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Wenn man bedenkt, wie besessen Hollywood von jugendlichen Zielgruppen ist, dann gibt es erstaunlich wenige Großproduktionen, die tatsächlich deren Lebensgefühle adäquat einfangen. Zwar handelt die ganze Welle von düsteren Young-Adult-Verfilmungen im Grunde nur von den Wirren der Pubertät. Aber stets eingebettet in einen Blockbuster-Überbau, bei dem überforderte einzelerziehende Elternteile, das Scheitern der ersten Liebe und die unsichere berufliche Zukunft immer gleich pathetisch mit der (Post-) Apokalypse gleichgesetzt werden.

Wie man weitaus authentischere Auseinandersetzungen mit dem Thema Erwachsenwerden in einen spannenden Genre-Kontext einbetten kann, demonstrieren zwei aktuelle Indie-Produktionen. Wobei "Der Nachtmahr" sogar in diesem Bereich zu den Ausnahmewerken gehört, realisierte der deutsche Künstler Akiz seinen Teenage-Gruselfilm doch gänzlich ohne Förderungen, mit einem Budget an der Nullgrenze.

Der Nachtmahr

Luna Film

"Der Nachtmahr"

Paranoia nach der Partynacht

Dafür erlaubt sich der kleine Underground-Horrorstreifen eine formale Radikalität, die sich kommerzielles Kino wohl nicht trauen würde. Tiefe Bassfrequenzen und hämmernde Beats erschüttern gleich am Anfang den Kinosaal, vor dem Stroboskopgewitter auf der Leinwand warnt ein textlicher Hinweis. "Der Nachtmahr" beginnt mit Blitzlichtern aus dem Berliner Nachtleben, mittendrin ist die 17-jährige Tina (die spannende Newcomerin Carolyn Genzkow), die mit ihren Freunden von Party zu Party pilgert.

Fast semidokumentarisch fängt der Film die Stimmung bei einem Open-Air-Rave ein, schlägt aber bald einen anderen Tonfall an. Tina wird nach der besonders intensiven Clubnacht nicht bloß von einem Hangover geplagt, seltsame Visionen quälen das Mädchen. Ein unheimliches, zwergenhaftes Wesen taucht darin auf, das stumm in der Zimmerecke lauert. Die bizarren Träume werden Wirklichkeit, als die sprachlose Kreatur tatsächlich eines Nachts Tina gegenüber sitzt. Gleichzeitig sieht niemand anderer den ungebetenen Gast außer der panischen jungen Protagonistin.

Der Nachtmahr

Luna Film

"Der Nachtmahr"

Ist "Der Nachtmahr" nur ein Hirngespinst oder tatsächlich die physische Verkörperung von Tinas jugendlicher Zerissenheit? Regisseur Akiz, bürgerlicher Name Achim Bornhak, lässt uns Zuseher darüber lange im Dunkeln tappen. Sein Film möchte vieles gleichzeitig sein: Ein dröhnender Einblick ins Nightlife, eine Coming-of-Age-Geschichte rund um jugendliche Entfremdung und eben auch ein Horrorfilm.

Beim letzten Punkt versagt das ambitionierte No-Budget-Werk jedoch leider. Denn ab dem Moment, wo der Nachtmahr selbst ins Bild kommt, war es zumindest für den Schreiber dieser Zeilen vorbei mit der Gänsehaut. Die vom Filmemacher selbst gebastelte Kreatur lässt schmunzeln und an drollige Kinderfilme denken. Wenn einem bei dem glubschäugigen Miniatur-Monster dann doch kurz der blutige Trashmovie-Klassiker "Basket Case" in den Sinn kommt, ebenfalls mit einem Taschengeld im New York der 1980er realisiert, dann fällt einem auch dessen rabenschwarzer Humor ein, der die Billigkeit abfedert. "Der Nachtmahr" will uns sein unfreiwillig komisches Titelwesen dagegen mit deutschem Ernst verkaufen.

Der Nachtmahr

Luna Film

"Der Nachtmahr"

Der wahre Alptraum in Menschengestalt

Bei allen Zweifeln an diesem Film, der zu viel will und dadurch zu wenig erreicht, muss man dem Regisseur und seiner unnachgiebigen Energie dennoch großen Respekt zollen. "Der Nachtmahr" mag zwar nicht ein wirklicher Blick in die Zukunft des deutschsprachigen Genrekinos sein, aber ein bewundernswerter Schritt in die richtige Richtung. Außerdem scheiterten schon unzählige legendäre Regisseure an der selben Problematik wie "Nachtmahr"-Schöpfer Akiz: Das Monster offensichtlich ins Bild zu rücken heißt oft auch, einem Film das Geheimnis und den Schrecken zu nehmen.

Umso furchterregender, wenn sich ein Horrorthriller auf das wahre Grauen konzentriert: die Bestie im Menschen. Womit ich bei einem anderen Film angelangt bin, der sich ebenfalls um Jugendkultur in finsterer Genre-Verpackung dreht. "Green Room" beginnt mit ganz und gar realistischen Schnappschüssen aus dem Alltag einer mäßig erfolgreichen Punkband, die durch Kalifornien tourt. Jede anfängliche Szene, vom Couchsurfing in der Wohnung eines befreundeten Veranstalters bis zu den internen Diskussionen um musikalische Vorlieben, wirkt wie aus dem echten Leben geschnitten. Dass inmitten der frischen Gesichter ein Hollywood-Shootingstar wie Anton Yelchin Gitarre spielt, fällt kaum auf.

Green Room

Constantin

"Green Room"

Die Stimmung, zwischen Momenten punkiger Energie und Teenage-Tristesse, kippt ins vollständig Finstere, als die "Ain’t Rights" einen Gig in einem dubiosen Schuppen mit rechtsradikaler Klientel annehmen, irgendwie müssen die Fahrtkosten bezahlt werden. Sorgt eine Live-Coverversion des Dead-Kennedy-Klassikers "Nazi Punks Fuck Off!" bereits für gefährliche Stimmung im Raum, kippt "Green Room" bald in ein nervenzerfetzendes Survivaldrama.

Denn die jungen Hardcore-Musiker beobachten versehentlich einen Mord in dem Skinhead-Club und der herbeigerufene Besitzer des Lokals, ein unglaublich beklemmend wirkender Patrick Stewart, beschließt rasch ihr Todesurteil. Allerspätestens an dieser Stelle darf man keinen Satz zum Inhalt von "Green Room" mehr verlieren, denn der würde nur die Beklemmung mildern, die der Film aufbaut.

Green Room

Constantin

"Green Room"

"Green Room" ist nicht nur ein mitreißender Beweis, dass kleine Filme, die scheinbar aus dem Nichts kommen, die ganz große Hoffung des Thrillerkinos sind. Mit seinem dritten Werk etabliert sich Regisseur Jeremy Saulnier nun endgültig als wichtige Stimme in einer filmischen Grauzone zwischen heftigen Splatter-Momenten und wahrhaftiger Wirklichkeitsbeobachtung.

Bereits in seinem Vorgängerstreifen, dem rabenschwarzen Rachedrama "Blue Ruin", begeisterte und schockte der junge New Yorker mit diesem Ansatz. Während gleichaltrige Kollegen in den Ruinen des Genre-Kinos herumwildern und mit grellen Zitaten um sich werfen, versucht sich Saulnier der Gewalt und der Hoffnungslosigkeit mit bitterem Ernst zu nähern.

Green Room

Constantin

"Green Room"

Wie übersteigerte Kinohelden agieren, wenn die Welt um sie herum zusammen bricht, das wissen wir aus unzähligen Actionthrillern und den dazugehörigen Drehbuchmanövern. "Blue Ruin" und jetzt "Green Room" zeigen aber, wie sich Menschen aus Fleisch und Blut in aussichtslosen Extremsituationen verhalten. Ein Pflichtfilm, keine Frage.