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Christian Lehner Berlin

Pop, Politik und das olle Leben

4. 6. 2016 - 17:18

The Greatest Too

Muhammad Alis bester Sparringpartner war kein Boxer, sondern ein schmalschultriger Mann mit Toupet.

Songs über Ali

Für meine Oma war er der Größte. Mitten in der Nacht stand sie auf, um Alis Bouts gegen Joe Frazier oder George Foreman im Fernsehen anzuschauen. Meine Mutter erzählte mir später, dass sie Oma nie so außer Rand und Band gesehen hätte, wie bei diesen Boxkämpfen und meine Großmutter war eigentlich eine eher ruhige und ausgeglichene Frau, der Anker der Familie.

US-Schwergewichtsboxer Muhammad Ali (hinten) schlägt in seinem 19. WM-Kampf am 25.5.1976 in der Münchner Olympiahalle seinen britischen Herausforderer Richard Dunn K.o.

dpa - Bildfunk

Sie brachte auch mich zum Boxen. Indirekt. Mein stets liederlicher Onkel betrieb in den Achzigern in Vöcklabruck, OÖ das Tschocherl "Bierbrunnen". Natürlich hatte Oma das Sagen dort. Und als ihr einmal ein lokaler Boxtrainer sein Leid klagte, weil die Turnhalle im Ort renoviert wurde und nun keine Trainingsräumlichkeiten zur Verfügung standen, offerierte sie dem Club das Lager des Gasthauses als vorübergehendes Gym. Und weil ich und mein Zwillingsbruder gern bei Oma abhingen, bandagierten wir selbst bald die Hände und stiegen in den Ring. Immerhin schaute in dieser kurzen Amateurkarriere ein oberösterreichischer Landesmeister im Schüler- Leichtgewicht heraus. Erst vor wenigen Wochen begann ich in Berlin nach jahrzehntelanger Pause wieder mit dem Training.

Boxen ist also für mich eine familiy affair. Und obwohl ich zur Generation Tyson zähle, war und ist Muhammad Ali, so wie für Oma, auch für mich The Greatest. Und wie für so viele war er das nicht allein wegen seiner boxerischen Skills. Dass er nicht mehr lange unter uns sein würde, zeichnete sich seit Jahren ab. Der Parkinson verschlimmerte sich, dazu kamen andere Leiden. Die Nachrichten, dass Ali wieder einmal in ein Krankenhaus eingeliefert wurde, häuften sich. Zuletzt verbreiteten sich immer mehr Death-Hoaxes.

Und nun ist Muhammad Ali also tatsächlich gestorben. Die längst vorbereiteten Nachrufe schwirren seit den Morgenstunden durch die Netzwerke wie Schmetterlinge und stechen wie Bienen in die Fanherzen. Wenn ihr diese verspäteten Zeilen lest, wisst ihr vermutlich bereits alles über den Ausnahmeboxer, Entertainer, Wehrdienstverweigerer, Bürgerrechtler, Poeten, Popstar und die schier unendliche Zitatenquelle Ali.

Der Box-Weltmeister Muhammad Ali ist am 10. November 1975 zu Gast im Aktuellen Sportstudio des ZDF

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Doch was ihr vielleicht noch nicht wisst: Alis bester Sparringpartner war weder Sonny Liston, noch Joe Frazier oder George Foreman. Größere Probleme als alle seine Gegner habe ihm der Sportkommentator Howard Cosell bereitet. Das sagte der dreifache Schwergewichtsweltmeister immer wieder und er sagte es Cosell direkt ins Gesicht und zwar mit einem Lächeln, das voller Respekt und Bewunderung für sein Gegenüber war, aber auch voller fun and wit.

Cosell, der ehemalige Anwalt aus Brooklyn, revolutionierte das Sportfernsehen ebenso wie Ali das Boxen. Anstatt das Geschehen am Spielfeld oder im Ring bloß zu beschreiben, analysierte und kritisierte Cosell die Leistung der Sportler und Trainer live auf WABC. Das, was heute selbstverständlich ist, war Mitte der fünfziger Jahre eine Novität. Cosell verstand als einer der ersten den Sport als Spiegel der Gesellschaft. Seine Reportagen waren investigativ und gesellschaftskritisch. Cosells zweitberühmtester Sager lautete: "I’m just telling it like it is" (Sein berühmtester: "The Bronx is burning", während eines World Series Games der Yankees, als im Hintergrund des Spiels im Problemviertel wieder einmal ein Haus in Flammen aufging).

Cosell war einer der wenigen Sportjournalisten des Establishments, der 1968 bei der Siegeszeremonie der Olympischen Spiele Verständnis für die Black-Power-Salute der US-Sprinter John Carlos und Tommy Smith zeigte und erhielt dafür körbeweise Morddrohungen. Und er kritisierte die Sperre Muhammad Alis, nachdem dieser sich geweigert hatte in die US-Army einzutreten und in den Vietnamkrieg zu ziehen ("No Vietcong ever called me a nigger").

Ali schätzte an Cosell dessen Furchtlosigkeit und Angriffslust. In Interviews konnte der Mann mit dem auffälligen Haarteil mit der ersten Frage den "Tyson" geben und er griff Ali auch immer wieder hart an. Während der vielen TV-Interviews der beiden, besprachen sie oft ihr Verhältnis und nahmen sich gegenseitig auf die Schaufel, wer nun wen berühmter gemacht habe. "Du bezeichnest Dich als weiß?", witzelte Ali einmal: "Du bist doch Jude".

16 Jahre dauerte die berufliche Dauerkonfrontation, die einer Freundschaft gleichkam und am Ende keinen Sieger kannte. Bald nachdem Ali 1981, bereits von seiner Krankheit gezeichnet, den letzten Kampf über sich ergehen lassen musste, warf auch Cosell das Handtuch. Der Boxsport sei ihm zu zynisch und brutal geworden, sagte er während der Übertragung des einseitigen Kampfes Larry Holmes gegen Randall "Tex" Cobb. Er blieb bis ins hohe Alter eine hoch respektierte Persönlichkeit im US-Sport, moderierte aber nie wieder einen Boxkampf.

Hier sind einige der größten Momente von Ali vs. Cosell. Schade, dass meine Oma kein Englisch konnte, aber dort wo sie jetzt sind, verstehen sich die drei wohl auch so blendend und schwirren herum wie Schmetterlinge oder tanzen den Ali-Shuffle.