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Natalie Brunner

Appetite for distraction. Moderiert La Boum de Luxe und mehr.

5. 6. 2016 - 06:02

Flimmern - der assoziative Wochenrückblick

Oh, wie ich Sendzeiten und den Horror der Verbindlichkeit vermisse - und warum John Carpenter Schuld daran ist.

Flimmern

Der assoziative Wochenrückblick von Natalie Brunner

Kennt ihr den John Carpenter-Film "Die Mächte des Wahnsinns", in dem der Protagonist versucht, eine Ortschaft zu verlassen und ihn die Straße immer wieder genau dorthin führt, von wo er weg will? Ein bisschen so hab ich mich dieses Wochenende beim Primavera Festival gefühlt, wo ich zugegen war, um Brian Wilson und John Carpenter zu sehen. Bis ich mir meinen Weg aus der Tame Impala-Crowd, mit Stopp bei Bier und Frühlingsrollen gebahnt habe, einmal am Klo war und Hallo zu einem Bekannten gesagt habe, war inklusive meiner 15 Minuten Verpeiltheit das John Carpenter-Konzert vorbei.

Nats am Boden

Natalie Brunner

Nats am Boden.

Ich habe mich vor Zorn auf den Boden geworfen und konnte nur mit der Bemerkung beruhigt werden, dass diese Aktion eines Carpenter-Films, minus der Mächte des Unheimlichen, würdig ist. Ich hasse Festivals, ich verachte mich selbst. Zur Strafe habe ich mich in die Mitte des Foodcourts gestellt und mir die Wiederholung des John Carpenter Konzerts zwischen rülpsenden Menschen und den Gestankschwaden verbrennender Tierleichen angesehen.

Setlist Carpenter

Natalie Brunner

Setlist John Carpenter

Selbst ohne Ton war es grandios Carpenter steht umgeben von seiner Band in einem weißen Würfel, auf den Ausschnitte aus seinem Filmen projiziert werden. Sofort danach bin ich nach Hause und hab die restliche Nacht mit Carpenter-Filmen verbracht. Ihren subversiver Humor und ihren Willen, Popkultur in die Sphäre des Unheimlichen zu transferieren, liebe ich nach wie vor. Ich bin vor dem Fernseher aufgewachsen und kann mir nichts Gruseligeres vorstellen, als das kleine Mädchen, das nachts vor dem weißen Rauschen sitzt, das das Tor zu einer anderen Welt wird. Für Aphex Twin bzw. Chris Cunningham war das auch so, ohne Poltergeist kein Come to Daddy.

Mein treuer Kindheitsbegleiter Fernsehen ist für mich inzwischen gestorben, der Prince of Darkness halte seinen Geist in Ehren.

Was ich immer noch am Medium Fernsehen vermisse, ist, dass es meinem Leben einen gewissen Rhythmus gegeben hat, der nicht von wiederkehrenden Widernissen wie regelmäßigem Schulbesuch geprägt war, sondern von einem erfreulichen Einbruch von etwas anderem in der limitierten, ignoranten, bornierten Muffigkeit, die mich umgab. Alles war uninteressant, bis auf Dienstag 22 Uhr 15 Miami Vice. Warum war ich Unterstufengymnasiastin in Villach und nicht eine heiße Mittzwanzigerin in Miami oder zumindest ein Taco-Verkäufer oder Streethustler? Die Regelmäßigkeit, mit der ich in dieses Universum eintauchte, half mir meine Spätkindheitstraurigkeit und Ennui zu übertauchen, als ich das Konzept von Revolte getragen von Popkultur noch nicht entdeckt hatte. Danke FS1!

Gibt es da draußen eigentlich noch Menschen, die tatsächlich auf einen Ausstrahlungstermin im Fernsehen warten? Zum Beispiel Sonntag um 06 Uhr 29 auf "Coco der lustige Affe"? Und statt dessen läuft dann "Halloween - die Nacht des Grauens". Ich würde jubeln vor Vergnügen. Viele der Seherinnen oder deren Eltern nicht und deckten das ZDF, dem dieser Lapsus unterlaufen ist, mit Beschwerden ein. Danke, dass sie meinen Nachwuchs auf Lebenszeit traumatisiert haben.

Ich hingegen, als Kind der Generation zwei Fernsehkanäle, die das Leben bestimmen, freue mich noch Jahrzehnte über Pannen, wo das ungeplant Schreckliche in den konstruierten und choregrafierten Fluss der TV-Schrecklichkeiten einbricht, wo das den Menschen vor den Fernsehgeräten nicht Zumutbare nicht ausgeblendet werden kann. Hunderte Menschen die an einem Wochenende im Mittelmeer ertrinken, kein Problem, aber der Nippel von Janet Jackson oder ein Flitzer am Fußballfeld: unzumutbar.

Sehr schön finde ich die Geschichte des BBC-Sportmoderators David Icke, der Live on Air austickte und den Menschen, die auf Fußballergebnisse warteten, erklärte, dass die Welt hohl ist und von Gestaltwandler-Eidechsen beherrscht wird. George W. Bush JR sei eine, auch Queen Elizabeth, eigentlich fast alle Staatsoberhäupter und als Überraschungsnominierung Kris Kristofferson.

Seitdem ist Icke Experte für Verschwörungstheorien, die B-Movies zu sensationalistisch wären, aber als sprachliche Bilder durchaus funktionieren. Roots Manuva hat mir vor Jahren lang und breit über die Shapeshifting Lizards erzählt.

Auf der Suche nach einer Chronik politisch motivierter Übernahmen von Live-TV-Programmen erschien in der Suchmaschine als erster Treffer eine Seite, auf der Menschen die Fernsehkasteln eines schwedischen Möbelhauses gegen die mitgelieferte Beschreibung zusammenbasteln. Das ist mir immer unabsichtlich passiert bevor ich auf Second-Hand-Möbel umgestiegen bin, weil ich zu der Überzeugung gekommen bin: Fünf-Euro-Tische mit limitierter Halbwertszeit sind für den Planeten, hohl oder nicht, untragbar und für meinen Fernseher auch.