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Christiane Rösinger Berlin

Ist Musikerin (Lassie Singers, Britta) und Autorin. Sie schreibt aus dem Leben der Lo-Fi Boheme.

4. 6. 2016 - 12:33

I Love Kotti

Über den Platz an der Kreuzberger U-Bahn-Station Kottbusser Tor, von uns Kreuzbergern liebevoll Kotti genannt, wurde in den letzten Monaten viel geschrieben.

Stellvertretend für alle Stimmungsbilder, Schmäh- und Angst- Artikel kann man aus der Süddeutschen Zeitung zitieren:

Kreuzberg war mal ein Synonym für Multikulti, Gelassenheit und Toleranz. Vorbei. Die Kriminalität eskaliert, und die Menschen haben Angst.

Oder:

Trostloser geht's eigentlich nicht. Das Kottbusser Tor ist von bizarrer Hässlichkeit und Berlins härtester Drogenumschlagplatz.

Panorama Kottbusser Tor

CC BY-SA 3.0 Boris Niehaus via Wikicommons

CC BY-SA 3.0 Boris Niehaus via Wikicommons

Als Reaktion darauf haben andere, Berliner AutorInnen, Stimmungsbilder vom und Liebeserklärungen an ihren Kotti geschrieben. In der taz hieß es unter "Kotti Mon amour", der Kotti gelte nun als gefährlichster Ort Deutschlands, er wäre aber auch der schönste.

Schönheit liegt im Auge des Betrachters. Aber wenn man zum Beispiel nachts im Monarch, einer Bar im ersten Stock des Betongebrösels namens Kreuzberger Zentrum sitzt, auf Augenhöhe mit der U-Bahn, die hier eine Hochbahn ist und auf den Stahlstelzen herankriecht, und im Hintergrund der Kreisverkehr glitzert, dann ist das schon schwer großstadtromantisch.

Bizarr und monströs ist das ganze Betonensemble "Kreuzberger Zentrum", die vielen seitlichen Gänge und Querverbindungen, in den Achtzigern noch unpassierbar, sind voller Cafés, Imbissen, Spätis, Fisch- /Eis-/ Handy- und Ramschläden. Einen Durchgang weiter tut sich die beliebte queere Trinkhalle "Möbel Olfe" auf, daneben ein schönes, altes Kino und die Cocktailbar "Würgeengel".

Neues Kreuzberger Zentrum am Kottbusser Tor

CC BY-SA 3.0 Lienhard Schulz via Wikicommons

Neues Kreuzberger Zentrum am Kottbusser Tor. CC BY-SA 3.0 Lienhard Schulz via Wikicommons

Es gibt auch einen Vorplatz, dort findet tagsüber ein Markt statt, dort treffen sich die Junkies - und dort gibt es seit Monaten einige neue "Akteure". Es sind organisierte Diebesbanden, die es auf die Touristen, ihre Portemonnaies und ihre Handys abgesehen haben. Dort wurden schwule Pärchen überfallen, Frauen sexuell belästigt, dort ist die Kriminalitätsrate in den letzten Monaten nach Polizeiangaben um 250 Prozent gestiegen.

Dort wechselt auch die erfahrene Kreuzbergerin zu bestimmten Tageszeiten lieber die Straßenseite, sofern sie keine Lust hat durch ein Spalier von dutzenden Männergruppen zu gehen, die augenscheinlich auf der Lauer liegen. Diese neuen Akteure kommen angeblich aus Nordafrika, Libyen und Bulgarien, verbünden und bekriegen sich aber auch mit den älteren arabischen Drogenclans. Die vorwiegend türkisch-arabischen Gewerbetreibenden schlagen Alarm, die Umsätze brechen ein, weil die Kundschaft wegbleibt. Die Hausverwaltungen setzen Security ein, die Polizei zeigt verstärkt Präsenz.

So weit so schlecht.

Gleichzeitig ist dieser laute, dreckige, chaotische Kotti einer der tollsten und lebendigsten Orte Berlins. Der Kotti, ist eben nicht nur der Vorplatz, auf dem sich die Taschenräuber, Antänzer, Dealer, Junkies und Touristen treffen. Schräg gegenüber liegt zum Beispiel der Südblock, über ihn hieß es in der taz:

Im queeren gastronomischen Gesamtkunstwerk Südblock zum Beispiel sitzt die migrantische Großfamilie Tisch an Tisch mit LGBTI-Menschen, ohne dass gleich eine Podiumsdiskussion daraus wird.

Denn der verfemte Kotti ist auch ein Ort, den viele KreuzbergerInnen lieben, an dem viele Menschen gerne wohnen und gerne bleiben wollen - weshalb hier auch ein Mieter- Protestcamp entstand.

Party im Gecekondu

Christiane Rösinger

Gecekondu am Kottbusser Tor

Diesen Samstag feiert man nun am Kotti "4 Jahre Gecekondu" mit einem Fest für Nachbarn, Freunde und Freundinnen und alle, die Lust haben vorbeizuschauen. Das Protest-Gecekondu am Kotti hat sich in diesen vier Jahren von einer einer kleinen Bretterwand zu einem schönen Haus gewandelt. Es dient als Nachbarschaftstreffpunkt, als Ort der Sozial- und Mietrechtsberatung, als Anlaufstelle.

Protest, Transpi "We love Kotti/we hate Miete"

Christiane Rösinger

Seit vier Jahren kämpft man dort auf der Straße und vielen anderen Orten für niedrigere Mieten am Kotti und im gesamten sozialen Wohnungsbau. Das Grundproblem ist nach wie vor nicht gelöst - aber dafür hat der Mieterprotest einiges erreicht. Zum Beispiel einen Mieterhöhungsstopp für 35.000 Wohnungen und einen Mieten-Volksentscheid. Auch einen Film zur I Love Kotti-Bewegung gibt es inzwischen. In "Angst essen Miete auf" wird ein ganz anderer Kotti präsentiert: Ein Ort, an dem viele verschiedene Menschen eine Heimat gefunden haben.