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Christoph Sepin

Pixel, Post-Punk, Psychedelia und sonstige Ableger der Popkultur

2. 6. 2016 - 18:04

Minor Victories: Kleine Erfolge, große Hoffnungen

Es ist die Supergroup der Träume für Fans von großen Soundwänden: Rachel Goswell von Slowdive, Stuart Braithwaite von Mogwai und Justin Lockey von den Editors haben sich unter dem Namen Minor Victories zusammengetan, um mal ein bisschen Musik zu machen.

1995, das war kein gutes Jahr für Slowdive, für eine der ikonischsten Bands in dem Genre, das manche gerne Shoegaze schimpfen. Mit "Pygmalion" erschien das erst dritte, aber letzte Album der Gruppe, bevor die Band von Creation Records fallen gelassen wurde. Der Zeitgeist, der ging weg vom verträumten Sound der Dream-Pop-Bewegung, weg von den Soundwänden der Gitarrenpedalsammler. Britpop war König, die "laddish culture" dominierte. Bier und Fußball, Blur und Oasis waren die popkulturellen Gesprächsthemen der Zeit. Da blieb nicht viel Platz für Bands mit so Lyrics wie "The sunshine girl is sleeping".

Im Anbetracht dessen ist es bizarr, dass ich über zwanzig Jahre später trotzdem mit Rachel Goswell, Sängerin und Gitarristin von Slowdive, und eine der zentralsten Figuren der Bewegung, über Musik spreche. Über neue Musik von ihr, nicht zuletzt, keine Compilations oder Best-ofs.

Minor Victories

Sally Lockey

Nach Jahrzehnten des kompletten Rückzugs aus der Musikwelt und dem ruhigen Leben als Mutter in der britischen Countryside, kehrte die Musikerin 2014 zur lange nur in Wunschträumen und Gerüchten existierenden Rückkehr von Slowdive wieder: "Die Slowdive-Reunion war größer, als ich mir das je hätte vorstellen können. Das war verrückt. Keiner von uns wird je das Gefühl vergessen, als wir am Primavera Sound unser erstes Festival gespielt haben. Als wir auf die Bühne rausgingen und der Backdrop runter ging. Wir haben in die Menge rausgeschaut und gedacht: Scheiße, das sind viele Leute da draußen."

Denn den Erfolg, den die Band haben würde, nachdem eine ganze Generation von Songwritern vom Slowdive-Sound inspiriert worden war, den erwartete sich niemand in der Gruppe: "Keiner von uns hat komplett verstanden, was wir da machten. Wir haben niemals damit gerechnet, dass die Reaktion so gut sein würde. Und das hat meine Liebe für die Musik wieder neu gezündet."

Nach einem Jahr des Tourens sollte Rachel aber nicht nur mit Slowdive wieder aktiv Musik machen (die Gruppe arbeitet zurzeit an einem brandneuen Album), sondern begann auch andere Kollaborationen. Im Jahr 2015 nahm sie am fünften Album der Editors, "In Dream", Vocals für vier Songs auf. Editors-Lead Gitarrist Justin Lockey und Rachel fingen aber auch an, laut über ein eigenes musikalisches Projekt nachzudenken: "Justin hat mich gerade zur richtigen Zeit kontaktiert und in dem Jahr bin ich auch Stuart auf diversen Festivals begegnet und wir haben uns echt gut verstanden. Justin und ich haben darüber gesprochen einen Gitarristen dazu zu holen und dann hab' ich sofort an Stuart gedacht."

Stuart, das ist Stuart Braithwaite von Mogwai. Gemeinsam mit ihm und Justins Bruder James Lockey wurde eine neue Band gestartet: "Wir hatten überhaupt keine spezifischen Erwartungen, als wir angefangen haben. Wir haben gedacht, vielleicht machen wir eine kleine EP, aber dann ist das alles immer weiter gewachsen. Und wir haben gedacht: Scheiße, das ist echt gut, was wir hier tun, wir müssen nur weitermachen und mehr damit anfangen."

Was aus dem kleinen Projekt rausgekommen ist, ist "Minor Victories". Eine Band und ein selbstbetiteltes Album von zehn Tracks. Rachel ist darauf zu hören, aber auch Sun Kil Moons Mark Kozelek und James Graham von The Twilight Sad. Eine richtige Supergroup also, für alle Fans von Melancholie und Weltschmerz, gleichzeitig aber auch grundlegend positiv und optimistisch.

Minor Victories

Brian Sweeney

For Higher Hopes

"Minor Victories", das ist eine Band, die von den individuellen Fertigkeiten ihrer Mitglieder getragen wird. Die sanfte Träumerei von Slowdive, die düstere Elektronik der Editors und die orchestralen Soundebenen von Mogwai. Wie das klingt, das demonstriert schon der Opener des Albums eindrucksvoll: "Give up the ghost before it wakes", singt Rachel darauf, während atmosphärische Layer den Song von der Ruhe in den noisigen Sound tragen. "My blood is a raging river surging through my veins".

Trotz der teils überwältigenden Dichtheit der Platte bleiben die Lieder an sich immer zugänglich und einladend. Eingängige Melodien loopen vor sich hin und geben Zeit und Raum, darin zu versinken, in den Reverbs und Echos. Den vielfältigen Sounds, elektronisch und organisch, sich harmonisch ergänzend. Denn unter all der Noise verbirgt sich auf "Minor Victories" ein klassisch schönes Popalbum.

Minor Victories Albumcover

Minor Victories

"Minor Victories" von Minor Victories erscheint am 3. Juni auf Fat Possum Records.

"Das war alles ein natürlicher Prozess. Was mir die Jungs geschickt haben, hat mich in dem Weg inspiriert, wie ich Musik geschrieben habe. Dass das ein gewaltiges Album werden würde, das war ein laufendes Thema." Was Rachel sonst noch so beim Songwriting inspiriert hat? "Das Leben im Allgemeinen und Lebenserfahrungen. Menschen interessieren mich und Beziehungen. Davon gibt es verschiedenste Sachen am Album zu hören."

Eine persönliche Lebenserfahrung beeinflusste Rachel beim Schreiben des letzten Tracks des Albums, "Higher Hopes": "Higher Hopes war der letzte Song für den Lyrics geschrieben worden sind. Es war das letzte Lied, das ich gesungen habe und wir haben es am Neujahrsabend fertig gemacht. Gerade rechtzeitig, um ins Pub zu gehen und zu feiern. Es ist ein zerbrechlicher, aber auch schlussendlich ein erbaulicher Track. Als ich ihn geschrieben habe, habe ich über bestimmte Dinge, die mit meinem Sohn zu tun haben nachgedacht, er hat eine Herzkrankheit. Er ist sehr klein und hat viel durchgemacht. Die letzten zwölf Monate letztes Jahr habe ich darauf gewartet herauszufinden, ob er eine weitere Herzoperation braucht. Im Dezember haben wir herausgefunden, dass es ihm besser geht als gedacht und er für viele Jahre keine Intervention braucht. Das war also eine wirklich wunderschöne Überraschung, als uns seine Herzchirurgen erzählt haben, dass es ihm wirklich gut geht. Und daraus ist der Song entstanden. Das war eine passende Art das Album zu beenden, weil das Jahr so zu Ende gegangen ist."

"Minor Victories" ist ein wunderschön durchdachtes Projekt geworden: Musikalisch wirken die einzelnen Elemente der Songs vorsichtig positioniert, um das Endresultat so harmonisch wie möglich zu machen. Jedes Musikvideo, das zu den Tracks released wird, ist ein in sich geschlossener Kurzfilm, von einer Horde Samurai die in Slowmotion auf die Kamera zulaufen, bis zu einer gigantischen laserschießenden Katze, die eine Großstadt attackiert. Visuell, wie auch musikalisch ist "Minor Victories" ein absolutes Highlight des diesjährigen Musikschaffens, bombastisch, berührend und begeisternd.