Erstellt am: 1. 6. 2016 - 14:49 Uhr
Französische Streikkultur
von Christophe Kohl
Bahnstreik, Metrostreik, Pilotenstreik, Raffinerienstreik - die Liste der Arbeitskämpf in Frankreich wird immer länger. Dazu kommen Blockaden etwa von Autobahnen oder einiger Häfen, sowie Großdemonstrationen im ganzen Land, bei denen es regelmäßig zu Ausschreitungen kommt. Das ist die Lage in Frankreich neun Tage vor Ankick zur Fußball-Europameisterschaft. Gepaart mit dem unverändert hohen Risiko von Terroranschlägen kommt kaum Vorfreude auf das Fußballturnier auf.
Wie kam es dazu?
Vor gut zwei Monaten präsentiert die Regierung eine Arbeitsmarktreform. Mit der sie die schwächelnde französische Wirtschaft in Schwung bringen und die seit Jahren hohe Arbeitslosigkeit senken will. Die rechte Opposition wie auch der Arbeitgeberverband begrüßen die Reform der sozialistischen Regierung, die Gewerkschaften und Studentenverbände laufen Sturm dagegen. Die ersten Proteste beginnen, die Bewegung "Nuit Debout" wird geboren.
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APA/AFP/Geoffroy van der Hasselt
Die Reform entschärft, doch die Aufweichung des Kündigungsschutzes und die Verlängerung der Arbeitszeit per Betriebsvereinbarung bleibt für die Gewerkschaft aber auch einige linke Abgeordnete inakzeptabel. Mangels Mehrheit in der Nationalversammlung boxt die französische Regierung das Gesetz per Verfassungsjoker ohne Abstimmung in erster Lesung durch. Was die Stimmung auf der Straße zusätzlich aufheizt.
Der Ist-Zustand
In Hinblick auf die Fußball-EM gibt es gleich mehrere Probleme. Erstens: die Sicherheit. Großdemonstrationen soll es auch währende der EM, etwa am 14. Juni, dem ersten Spieltag der österreichischen Nationalmannschaft, geben. Da es dort regelmäßig zu Ausschreitungen kommt, werden diese von einem enormen Polizeiaufgebot begleitet. Im Vergleich dazu wirkt das Aufgebot der Polizei etwa rund um Demos in Österreich mickrig. Aber während der EM werden diese Polizisten eigentlich rund um die Fanzonen und Stadien gebraucht. Nun gibt es die Überlegung, dass die Armee hier verstärkt aushelfen soll.
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Christophe Kohl
Zweitens: die Streiks bei den Verkehrsbetrieben. Zur EM werden bis zu fünf Millionen Fans in Frankreich erwartet. Diese müssen auch irgendwie ins Land und zu den Fußballspielen kommen können. Die unbefristeten Bahn-, Piloten- und Metrostreiks könnten hier zu massiven Behinderungen führen. Doch hier könnte es noch vor der EM zu Kompromissen kommen. Die Regierung gibt sich bei den spezifischen Wünschen, etwa der Eisenbahner, die nicht in direktem Zusammenhang mit der Arbeitsmarktreform stehen, gesprächsbereit, damit könnten die Züge rechtzeitig zur EM wieder rollen.
Drittens: Die Blockaden und Streiks in Raffinerien. Hier geht es den Streikenden in erster Linie um die Arbeitsmarktreform an sich. Da wollen weder Gewerkschaften noch Regierung einlenken. Blockaden will Premierminister Valls wo nötig von der Polizei räumen lassen. Um Treibstoffengpässe auch während der EM zu vermeiden, zapft die Regierung die strategischen Reserven des Landes an.
Was passiert während der EM?
Das ist noch schwer abzusehen. Die Streikenden scheinen jedenfalls dazu entschlossen, falls notwendig, auch während der EM die Arbeit ruhen zu lassen, solange die Regierung die Arbeitsmarktreform nicht zurückzieht. Doch ein derartiger Rückzug käme für die Regierung einem absoluten Gesichtsverlust gleich. Das Match Gewerkschaften versus Regierung wird also wohl nach Beginn der Fußball-Europameisterschaft in die Verlängerung gehen und die Fans aus ganz Europa werden die berühmte französische Streikkultur eventuell näher kennenlernen.