Erstellt am: 1. 6. 2016 - 15:54 Uhr
"Non Omnis moriar"
Non Omnis moriar ("Ich werde nie gänzlich sterben") steht auf Haydns Grabmal im Haydnpark im 12. Bezirk. Ich sah mir diese Inschrift an und dachte mir, wie wahr sie ist. Nicht nur für Haydn, sondern für jeden gewöhnlichen Menschen. Ich habe letztes Wochenende den 12. Bezirk verlassen, wo ich vier Jahre gewohnt habe.
Ich brachte mein Zeug runter aus der Wohnung und ließ es am Gehsteig stehen. Einzeln trug ich die schweren Kisten mit Büchern und stapelte sie aufeinander. Als ich die erste Kiste runtertrug, füllte sich der Haydnpark gerade langsam mit Menschen, die Tische und Stühle ordneten. Bei der zweiten Kiste waren die Tische schon mit Baklava und Tulumba bedeckt. Bei der dritten Kiste wussste ich, dass die Vereinigung für interkultureller Dialog "Muhabbet" eine Parkparty organisiert.
CC BY-SA-3.0 / Invisigoth67
Vor meinen Kisten standen zwei junge Burschen, einer davon trug ein T-Shirt von "Galatasaray" Istanbul und der andere eines von "Rapid" Wien. "Und all das hast du gelesen?", fragte der eine. "Ja", sagte ich, " einige sogar mehr als ein Mal." - "Wir passen darauf auf!", sagte der andere. Mit dem Gefühl, dass ich meine Sachen in sicheren Händen gelassen habe, ging ich rauf um die nächste Kiste runterzutragen. Als ich wieder da war, waren die Kinder weg.
Auf den Kisten stand ein vergessenes Plastiktellerchen mit einem Stück Baklava. Ich mag eigentlich nichts Süßes, aber ich setzte mich hin um es aufzuessen. Die Luft roch nach Grill. Über Haydns Grabmal stieg Rauch auf. Meine zwei Freunde spielten Fußball. Musik erklang in der Luft. Es war kein Haydn, sondern fröhliche Schlagermusik. Bald wurde die Musik orientalischer. Das kam mir sehr Haydnmäßig vor.
Nichts ist gänzlich gestorben, dachte ich mir und stand auf um die Waschmaschine runterzutragen.
Der LKW brachte uns endgültig vom 12. Bezirk weg. Wir fuhren am kurdischen Shop an der Ecke vorbei, der fließende Öffnungszeiten hat, wo man aber auch am Sonntag die besten Tomaten und Gurken kaufen kann. Und die Petersilienbunde sind dreimal größer als im Supermarkt. Die serbische Fleischerei kam als nächstes. Dort wird Fleisch immer in Papier verpackt, danach ist es immer schwierig, das Papier vom Fleisch wegzukleben, doch man weiß, dass das Fleisch tatsächlich frisch ist.
Wir fuhren vorbei am Turbofolkkaffeehaus in der Nähe, wo immer ein neuer BMW davor geparkt war. Dann kommt das Altersheim, wo ich immer den gleichen alten Mann sehe, der sich mit seiner Gehhilfe in Richtung Gürtel aufmacht, um sich die Autos anzuschauen. Ich sehe auch meinen nie lächelnden Nachbarn in seiner Jogginghose mit seinen drei dicken Kindern. Noch eine Kurve und das Viertel mit dem im Grillrauch versunkenen Haydnpark ist für immer weg. Für immer?
Non Omnis moriar...