Erstellt am: 31. 5. 2016 - 13:57 Uhr
Dunkelheit und Licht
Seit dem tragischen Unfalltod seines Sohns Arthur im vergangenen Sommer hat sich Nick Cave völlig aus der Öffentlichkeit zurückgezogen. Wir Fans trauerten mit dem Großmeister des melancholischen Intensitäts-Rock und seiner Familie. Gleichzeitig tauchte in Gesprächen mit gleichgesinnten Anhängern des Musikers, Schriftstellers und Drehbuchautors eine Befürchtung auf: Vielleicht würde es, nach diesem furchtbaren, devastierenden Ereignis, für sehr lange Zeit überhaupt kein künstlerisches Lebenszeichen von Cave mehr geben.
Patrick Münnich
Lasst mich diese kleinen Vorfreude-Festspiele nun also mit der wohl schönsten Nachricht der letzten Zeit beginnen: Am 9. September wird ein neues, noch unbetiteltes Album von Nick Cave and the Bad Seeds erscheinen. Mehr noch, am Tag davor präsentiert die Band ihre neuen Songs in einem Konzertfilm, der in Farbe, Schwarzweiß und 3D daherkommt. "The film is the first medium through which anyone anywhere will be able to hear & experience the songs" heißt es in Presseaussendungen.
Wie die neuen Lieder klingen, darüber lässt sich zum jetzigen Moment noch nicht einmal spekulieren. Und ich möchte mir auch dezidiert Bemerkungen über die Kunst als möglichen Fluchtpunkt vor Verzweiflung und Aussichtslosigkeit verbieten, dazu ist das Drama rund um die Familie Cave zu erschütternd.
Warten wir ab, fiebern wir neuen Stücken des vielleicht größten Songwriters der Gegenwart entgegen, schauen wir uns inzwischen nochmal die Liveversion von "Push The Sky Away" an, dem Titeltrack seines Album-Meisterwerks von 2013. "And some people say it's just rock'n roll. Oh, but it gets you right down to your soul."
Aus der Sicht des Killers
Ungewiss war auch für einige Zeit die künstlerische Zukunft des ewigen Regie-Provokateurs Lars von Trier. Nach seinem Arthouse-Porno-Marathonepos "Nymphomaniac" hegte der einzigartige dänische Filmemacher öffentlich Zweifel an seiner Profession und spickte diese Androhung mit expliziten Alkohol- und Drogen-Geständnissen. Er sei jetzt relativ clean, verkündete der sarkastische Lars, aber ob er nüchtern auch gutes Kino erschaffen könnte, das sei fraglich.
Stattdessen kursierten Gerüchte von einer neuen Fernsehserie des Dänen, der mit "The Kingdom" (Hospital der Geister) einst das Medium revolutioniert hatte. Bei einem Besuch der Universität von Kopenhagen erklärte der Regisseur aber schließlich, dass sein TV-Projekt "The House That Jack Built" nun doch zu einem Spielfilm mutieren wird.
Zentropa
Kreisten Lars von Triers bisherige Schlüsselwerke etwa um die reine Liebe wie um puren, selbstzweckhaften Sex, handelten von der Macht von Depressionen wie von den Mechanismen des Rassismus, steht nun Mord im Mittelpunkt des Geschehens. "The House That Jack Built" soll angeblich aus der Perspektive eines Serienkillers erzählt werden.
Wer jetzt einwirft, dass sich schon viel zu viele Filme und Serien mit Massenmördern und ihrer Befindlichkeit auseinandersetzen, hat nicht unrecht. Dennoch könnte gerade Lars von Trier dem abgedroschenen Thema noch schockierende und verstörenden Facetten abringen, ich für meinen Teil bin sehr gespannt. Und lasse einstweilen den Antichrist in Fuchsgestalt das zentrale Lars-von-Trier-Motto aussprechen: "Chaos reigns!"
Zurück in der schwarzen Hütte
Und dann ist da das Comeback eines der zentralsten Regisseure aller Zeiten, der auch als Maler, Architekt, Fotograf, Zeichner und zuletzt als Sänger umtriebig ist und als wichtiger Impulsgeber für die sinistren Seiten der Popkultur omnipräsent. The one and only David Lynch bringt seine Kultserie (hier darf man den abgedroschenen Begriff zum Einsatz bringen) "Twin Peaks" tatsächlich nächstes Jahr ins Fernsehen zurück. Schwärzeste Dunkelheit und gleißendes Licht, Horror und Liebe, Schrecken und Schönheit revisited.
PIAS
Als wäre die Ankündigung, dass Lynch bei den 18 Folgen selber Regie führt und sein einstiger Co-Autor Mark Frost an den Drehbüchern mitschreibt, nicht schon genug, um in völlige Euphorie zu verfallen, wurde seit Kurzem auch die Besetzungsliste veröffentlicht. Darin tummeln sich nicht nur beinahe sämtliche Damen und Herren der einzigartigen Originalcast - allen voran Kyle MacLachlan als Agent Cooper - auch Schlüssel-Schauspieler aus zentralen Filmen von David Lynch wie Laura Dern, Balthazar Getty, Rebekah Del Rio oder Naomi Watts tauchen auf.
Liest man da noch die Namen der Neuzugänge, setzt ein wenig die Hirnschmelze ein: Monica Bellucci, Michael Cera, Richard Chamberlain, Jeremy Davies, Sky Ferreira, Robert Forster, Ashley Judd, Jennifer Jason Leigh, Trent Reznor, Tim Roth oder Amanda Seyfried geben sich für Godfather Lynch die Ehre.
Meine Prophezeiung: Die neue "Twin Peaks"-Season wird mehr als das Serienereignis des nächsten Jahres, David Lynch liefert damit sein weirdes, wahnwitziges Vermächtnis. Wer jetzt schon die Tage bis zum Start zählt, kann in der Zwischenzeit sämtliche alten Folgen plus den sträflich unterschätzten Film "Fire Walk With Me" nochmal in der fantastischen BluRay-Edition nachholen. Oder hören, wie die wilden Noise-Popper Xiu Xiu den kompletten "Twin Peaks"-Soundtrack nachspielen. Oder den kurzen Teaser des Senders Showtime immer wieder ansehen. 2017 wird ein (alb-)traumhaftes, irrlichterndes Jahr für alle Bewohner von Lynchland, die Vorfreude ist grenzenlos.