Erstellt am: 30. 5. 2016 - 18:59 Uhr
Orcs & Humans
Die Feinfühligkeit des Feindes zu erkennen ist in jeder erzählten oder erlebten Geschichte ein Erweckungserlebnis. Richtig gut kämpfen und verachten lässt es sich im Krieg nämlich nur dann, wenn der Gegner entmenschlicht wird. Von selbst tut er das ziemlich selten, viel öfter ist Manipulation und Entfremdung im Spiel.
Als vor 22 Jahren das erste "Warcraft" erschienen ist, ein aus heutiger Perspektive heillos veraltetes Computerstrategiespiel, waren die Fronten noch klar: Hier sind die ehrenwerten Menschen in ihrem mittelalterlichen Fantasy-Ländchen, dort sind die animalischen Orks, die sie überfallen und ihnen ihr Land wegnehmen wollen. Aber selbst 1994 war die Geschichte des Krieges zwischen Orks und Menschen eine Angelegenheit mit zwei Seiten. Das Spielprinzip hat dafür gesorgt, dass dies auch wirklich jeder realisiert, denn das Game bzw. seine Kampagne war zweigeteilt zwischen der Geschichte der Menschen und jener der Orks. Obwohl die grünhäutigen Aggressoren selbst dann ziemlich unsympathisch und eindimensional dargestellt wurden, als wir sie selbst steuerten, bestand zumindest kein Zweifel darüber, dass hier niemand aus reiner Willkür handelt.
Blizzard Entertainment
Über zwei Jahrzehnte später ist "Warcraft" eine der größten Games- und Entertainment-Marken im Westen und darüber hinaus. Die zwei Folgespiele (1995 und 2002), vor allem aber das berühmt-berüchtigte "World of Warcraft" (2005), haben dafür gesorgt, dass "Warcraft" weniger eine stringente Geschichte bietet, sondern eben tatsächlich eine eigene Welt. Ein Setting, in dem beliebig viele Geschichten Platz haben. Es ist ein bisschen so wie bei einer Fernsehserie, die im Laufe der Jahre mehrere Spin-offs bekommt und wo man nicht länger vom Ablauf einzelner Ereignisse sprechen kann, sondern von einem Universum, das an vielen verschiedenen Orten mehrere Erzählungen liefert, die später mehr, weniger oder gar nicht ineinandergreifen.
Wer also nicht eingeschworener "Warcraft"-Buff ist und die unzähligen Figuren der Allianz (Menschen und Verbündete) und Horde (Orks und Verbündete) sowie ihre Biografien kennt, denkt bei der Serie nicht an eine Geschichte, sondern an viele Versatzstücke innerhalb eines Spieleuniversums. Keine einfache Aufgabe, unter dieser Voraussetzung eine fesselnde Hollywood-Story zu erzählen. Die Lösung zu dieser Problemstellung seitens Serien-Erfinderfirma Blizzard Entertainment und Regisseur Duncan Jones ("Moon", "Source Code") war, ganz zum Anfang zurückzugehen: zu jener Zeit, als der Konflikt zwischen Menschen und Orks begonnen hat; zur Erzählung des Originalspiels "Warcraft" aus 1994.
Ein junger aufstrebender Magier im Königreich Azeroth spürt, dass etwas Grundlegendes nicht in Ordnung ist, und bald schon werden seine Befürchtungen bestätigt. Durch ein magisches Dimensionstor, dem "dunklen Portal", strömen Heerscharen von Kämpfern einer bisher unbekannten Spezies ins Land, weil deren eigene Heimat unbewohnbar wurde. Danach spitzt sich alles rasch zu: Die Streitkräfte beider Parteien treffen bald aufeinander und sind sich einig, dass ein großer Krieg unvermeidbar scheint.
An dieser Stelle könnte "Warcraft: The Beginning" ins mittlerweile gut gefüllte Loch der Unterdurchschnittlichkeit fallen, in das bereits viele Computerspiel-Verfilmungen zuvor getorkelt sind. Es nährt sich von klischeehaft gezeichneten Figuren, einem seichten Plot und der vermeintlichen Notwendigkeit, Computerspiel-Abläufe abzubilden. Hier grätscht Duncan Jones aber rein und tut sein Bestes, die üblichen Fallen zu vermeiden. So werden etwa die Orks an manchen Stellen auch als behutsam und sensibel agierende Familienmenschen dargestellt oder es wird die Loyalität in den eigenen Reihen der Menschen hinterfragt.
Legendary Pictures / Universal / Blizzard Entertainment
Während an vielen Fronten bereits blutig gekämpft wird, werden an anderen Orten geheime Bündnisse zwischen Vertreter_innen beider Parteien geschmiedet - in der Hoffnung, den Krieg vielleicht doch noch verhindern zu können. Die Botschaft ist klar: Die Arschlöcher auf beiden Seiten sind einzelne. Alle anderen sind wahlweise Besonnene, verängstigte Mitläufer, Verzweifelte oder solche, die noch nichts von einer bevorstehenden Intrige wissen.
Wegen dieses Facettenreichtums und auch dank einer mehr als soliden technischen CGI-Umsetzung und guter schauspielerischer Darbietung (allen voran Travis Fimmel als des Königs draufgängerischer Oberkämpfer Anduin Lothar und Paula Patton als kulturvermittelnde Halb-Orkin Garona) funktioniert "Warcraft: The Beginning" von Anfang an gut. Dass hier gekonnt geklaut und an Fantasy-Allgemeinplätzen nicht gespart wurde, liegt in der Natur der Serie, tut dem Film wie auch zuvor schon den Spielen aber keinen Abbruch.
Legendary Pictures / Universal / Blizzard Entertainment
Durchwachsen ist hingegen das vorgelegte Tempo, in dem erzählt wird. Einige Abläufe und Wendungen wirken gehetzt, ganz so, als ob man kurz am Klo gewesen wäre und damit Teile der Handlung versäumt hätte. Dieser geraffte Charakter des Films ist wohl einerseits dem umfangreichen "Warcraft"-Universum mit seinen unzähligen Geschichten und Nebenerzählungen geschuldet wie auch der Notwendigkeit, nach zwei Stunden zumindest an einen ersten Endpunkt anlangen zu müssen. Es muss schwer gewesen sein, einzelne Elemente herauszupicken, auf bestimmte Figuren zu fokussieren und dabei immer auch dramaturgisch am Punkt zu bleiben.
Die fragmentierte Struktur der "Warcraft"-Welt wäre in einer Serie wohl besser aufgehoben als in einem einzelnen Spielfilm. "Warcraft: The Beginning" scheitert somit auf sehr hohem Niveau, wobei sich die Frage stellt, ob ein besseres Ergebnis in dieser Form überhaupt möglich gewesen wäre. Dennoch bietet der Film gute Fantasy-Unterhaltung ohne Längen - ganz unabhängig davon, ob man weiß, wer Medivh und Gul'dan sind und wie der Zauber heißt, der jemanden in ein Schaf verwandelt.