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Rainer Springenschmid

Punk & Politik, Fußball & Feuilleton: Don't believe the hype!

30. 5. 2016 - 16:58

Der böse Nachbar

Ein AfD-Politiker beleidigt einen Fußballer, die Partei rudert halbherzig zurück. Interessant sind die Zwischentöne.

Eigentlich sollte es sich ja herumgesprochen haben, dass auch Fußballer nicht alle gleich ausschauen, und manche sogar - huch - muslimische oder afrikanische Vorfahren haben.

Aber bei manchen scheint es an der Kenntnisnahme der Realität noch zu hapern. Ihr erinnert euch an das Gekreische um die Kinder-Schokolade-Verpackungen, weil dort auf einmal nicht nur die genormten blonden und blauäugigen Kinder drauf zu sehen waren, sondern, oh Schreck, Kinderfotos auch von türkisch- oder afrikanischstämmigen deutschen Fußball-Nationalspielern.

Am Wochenende hat sich auch die deutsche Partei AfD einen rassistischen Ausfall rund um die deutsche Nationalmannschaft geleistet. Alexander Gauland heißt der Mann, er hat es als CDU-Staatssekretär in den 90er-Jahren zu einer nach ihm benannten Affäre gebracht, komplett mit Meineid und allem Pipapo. Der Mann, dessen Oberbekleidung stets in unterschiedlichsten Brauntönen schillert, lässt sich als "Vordenker" der AfD bezeichnen, wahrscheinlich aus Bequemlichkeit, weil er schon in der CDU als "Vordenker" des konservativ-reaktionären Flügels aufgetreten ist.

jerome nachbar transparent

APA/AFP/dpa/ANDREAS GEBERT

Deutsche Fans mit einem Transparent beim Freundschaftsspiel Deutschland gegen Slowakei am 29. Mai in Augsburg

Mit "denken", möchte man meinen, hat sein rassistischer Sager eigentlich nicht so viel zu tun, den er in einem Interview mit der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" am Wochenende losgelassen hat. Den Boateng, so hat er keck behauptet, hätten "die Leute" zwar als Fußballer gern, aber bitteschön nicht als Nachbar. Was das heißt, ist sonnenklar: als Bediensteter oder Pausenclown ist "so einer" gut genug, aber gleichberechtigtes Nebeneinander gibt es natürlich nicht.

"Die Leute" im Augsburger Fußballstadion haben ihm schnell das Gegenteil bewiesen. Jérôme Boateng war beim gestrigen Spiel Deutschland gegen die Slowakei nicht nur Kapitän, sondern auch der erklärte Lieblingsnachbar, auf diversen Transparenten und Taferln, und natürlich auch in den sozialen Medien.

Die AfD spielt das übliche Spiel, ein bisschen Entschuldigung, ein bisschen Distanzierung, ein bisschen war doch gar nicht so schlimm, und Gauland behauptet, er hätte das gar nicht so gesagt und er kenne diesen Boateng überhaupt nicht.

Gerald Asamoah

Screenshot

Reaktion von Ex-Nationalkicker Gerald Asamoah auf Facebook

Gauland wird jetzt natürlich auf allen Ebenen völlig zurecht durch den Kakao gezogen, aber die AfD hat es wieder in die Medien und in die Kommentarspalten geschafft und sie durfte ihre Ideologie verbreiten. Die Leute aka die Normalen sind in dieser Ideologie ausschließlich blond, weißhäutig und blauäugig und hätten ganz selbstverständlich Angst vor allen, die das nicht sind und demzufolge das Recht, alle nicht-Leute in nützliche, unnütze und gefährliche nicht-Leute einzuteilen.

Das Schlimmste daran ist aber: das Menschenbild aus den 50er-Jahren, das die AfD verbreiten will, geistert in vielen Köpfen noch herum, selbst im - im Vergleich zu Österreich - diesbezüglich weit fortschrittlicheren Deutschland. Denn nicht wenige, die sich auf die Seite von Jérôme Boateng schlagen (und das sind eigentlich alle, die sich zu Wort melden und nicht in der AfD sind), bemühen das Bild vom Fußball als Integrationsfaktor. Auch Jérôme Boateng selbst beteuert, er sei gut integriert.

Bleibt die Frage: Warum und wohinein muss sich eigentlich ein in Berlin geborener Sohn einer allein erziehenden deutschen Mutter integrieren? In die 50er-Jahre?