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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

30. 5. 2016 - 13:50

The daily Blumenau. EM-Journal '16-6, 30-05-16.

Der angeschlagene Nachbar: die Schweiz erwischt die Euro '16 in absoluter (aber nicht grundloser) Unform.

#emjournal16 #fußballjournal16

The daily blumenau hat im Oktober 2013 die Journal-Reihe (die es davor auch 2003, '05, '07, 2009 und 2011 gab) abgelöst. Und bietet Einträge zu diesen Themenfeldern.

Das ist ein Eintrag ins EM-Journal '16

EM-Journal '16-2, 12-05-16: Der finale ÖFB-Kader für die #Euro16

EM-Journal '16-1, 11-05-16: Ein erster Check von Island und Ungarn

EM-Journal '16-4, 25-05-16: Portugal bleibt Favorit für den Gruppensieg, aber auch nicht für viel mehr

EM-Journal '16-3, 20-05-16: Alles über den ewigen Geheimfavoriten England

EM-Journal '16-5, 27-05-16: Wie sich der Krieg auf die Chancen von Russland und Ukraine auswirkt

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Vladimir Petković' Kader:

Tor: Yann Sommer (Borussia Mönchen-gladbach/D), Roman Bürki (Borussia Dortmund/D), Marwin Hitz (Augsburg/D).

Abwehr: Kapitän Stephan Lichtsteiner (Juventus/ITA), Michael Lang (FC Basel), Johan Djourou (Hamburger SV/D), Fabian Schär (Hoffenheim/D), Steve Von Bergen (BSC Young Boys), Nico Elvedi (Borussia Mönchengladbach/D), Ricardo Rodríguez (Wolfsburg/D), François Moubandje (Toulouse/ FRA).

Mittelfeld: Valon Behrami (Watford/ENG), Blerim Džemaili (Genoa/ITA), Gelson Fernandes (Renne/FRA), Fabian Frei (Mainz/D), Granit Xhaka (Borussia Mönchen-gladbach/D), Denis Zakaria (BSC Young Boys).

Angriff: Xherdan Shaqiri (Stoke City/ENG), Eren Derdiyok (Kasımpaşa/ TUR), Breel Embolo (FC Basel), Admir Mehmedi (Bayer Leverkusen/D), Haris Seferović (Eintracht Frankfurt/D), Shani Tarashaj (Grasshopper Zürich/Everton/ENG).

Auf Abruf sind Yvon Landry Mvogo (BSC Young Boys); Silvan Widmer (Udinese/ ITA), Philippe Senderos (Grasshopper Zürich), Luca Zuffi (FC Basel).

Verletzt hat sich jüngst Renato Steffen (FC Basel) und schon zuvor Josip Drmic (Mönchengladbach/ D).

Noch in Quali dabei: Kapitän Gökhan Inler (Leicester City/ENG), Timm Klose (Norwich City /ENG), Fabian Lustenberger (Hertha BSC/D), Pajtim Kasami (Olympiakos Piräus/GRE), Valentin Stocker (Hertha BSC/D) sowie Tranquillo Barnetta (Philadelphia/USA) und Marco Schönbächler (FC Zürich).

Ohne Chance: Almen Abdi (Watford/ENG), François Affolter (FC Luzern), Reto Ziegler (Sion), Danijel Milicevic (KAA Gent/BEL), Michael Frey (FC Luzern + Lille/FRA), Mario Gavranovic (Rijeka/CRO), Steven Zuber (Hoffenheim/ D), Florent Hadergjonaj (BSC Young Boys) sowie Christian Schwegler (RB Salzburg/AUT) und die U20-Starlets Edimilson Fernandes (Sion), Ulisses Garcia (Werder/D), Djibril Sow (Gladbach/D) und Albian Ajeti (Augsburg/D).

Rücktritt: Diego Benaglio (VfL Wolfsbrug/D), Pirmin Schwegler (Hoffenheim/D).

Naser Aliji (FC Basel), Berat Djimsiti (FC Zürich) und Albians Bruder Arlind Ajeti (Frosinone/ITA) haben sich jüngst für Albanien, die Heimat ihrer Eltern entschieden.

Zuviel Druck ist ungesund, ein echter Anti-Koller-Kurs bringt die Nati in die Krise; und trotz scheinbar leichter Gruppe droht der Schweiz Gefahr.

Die Inler-Entscheidung: Coach Petkovic als Anti-Koller

Es sind nicht so sehr die schlechten Vorbereitungs-Resultate, die den Experten Sorgen bereiten, es ist die psychische Performance der Schweizer Nati (sprich: Nazi, ganz ohne schlechtes Gewissen, so heißen die halt, und das finden nur Nicht-Schweizer lustig).

Und, weil wir ja den direkten Vergleich haben: ich bin mir sicher, dass die Nati unter Marcel Koller (und der hat sich das 2013 ja stark überlegt, als der SFV bei ihm anklopfte um ihm die Hitzfeld-Nachfolge als Chefcoach anzubieten) in einer anderen Verfassung ins Turnier gehen würde. Es ist das sechste der sieben letzten Groß-Ereignisse, im Gegensatz zu anderen Wackelkandidaten ist die Schweiz Stammgast bei WM/EMs und hat also bereits einen Ruf zu verlieren.

Koller hätte seinen langjährigen Kapitän sicher nicht zurückgelassen, auch wenn der das ganze Frühjahr bei Leicester City nur zweimal im Cup im Einsatz war. Inler hat sechs von zehn Quali-Spielen als Kapitän bestritten und galt als integrativer Leader. Inler kann sowohl 4-4-2 (flach) als auch 4-2-3-1, genauso wie 4-3-3, Perkovic aktuell favorisierter Spielweise. Gut, gestern im Heimspiel-Test gegen Belgien lag es nicht unbedingt an Ersatz-Kapitän Behrahmi, der da die Inler-Position spielte, dass die Nati als klar schwächeres Team unterlag. Es geht viel mehr um das Zeichen, das Petkovic so setzt: dass eine kurze Schwächeperiode reicht um sofort komplett rauszufliegen. Der Schweiz-Kroate arbeitet überhaupt viel mit permanenten Drohgebärden: Niemand im provisorischen 28er-Kader sollte sich sicher sein.

Ressourcen-Verschwendung, überzogene Druck-Spielereien

Das ist die exakte Anti-Koller-Position; und das bei ähnlichen Ressourcen. Die Schweiz verfügt zwar (und war auch in dieser Hinsicht Vorbild für Österreich) über viele starke Legionäre und ein paar immer lieferende Groß-Klubs in der heimischen Liga, aber unerschöpflich (wie in Frankreich) oder echt fett (wie aktuell beim gestrigen Gegner Belgien) ist dieses Reservoir eben nicht. Ähnlich wie beim ÖFB lohnt es sich (noch) jeden Spieler extra umzudrehen und genau anzuschauen, ehe man seinen Einsatz verwirft. Und das gilt für Inler ebenso wie für Klose, Lustenberger, Stocker oder Kasami.

Soll heißen: Inler wird den Eidgenossen spielerisch nicht fehlen - seine Eliminierung hat aber als psychischer Hemmschuh gewirkt; "Druck ausüben", das klingt zwar gut, die Spieler mitnehmen und zu einer Einheit hin festigen, ist aber besser. Und von einer Einheit ist bei der Schweiz 2016 nicht viel zu sehen. Geht auch gar nicht: viel zu viele der Berufenen befinden sich in einer veritablen Unform und bringen die (und ihre Unsicherheit) ins Teamtrainingslager mit, wo dann ein Klima des Drucks auf sie wartet. Kann eigentlich nicht funktionieren. Seferovic' rote Karte, die vielen Senderos-Patzer beim Test gestern, aber auch die Derdiyok-Verletzung, das aufgezuckerte Spiel von Lang oder der symptomatische Ausrutscher von Rodriguez bei einem Corner gestern waren Ausdruck dieser unguten Situation.

Wenn über der Hälfte des Teams die Psyche zittert

Wirklich stabil agieren derzeit nur Tormann Sommer, die unbeeindruckbaren Behrami und Džemaili sowie Xhaka im Mittelfeld und Xherdan Shaqiri, der aus der Not heraus vorne alles allein machen musste. Mehmedi, Seferovic, Derdiyok, Drmic haben allesamt fast traumatisierende Saisonen hinter sich - nur Breel Embolo, der Shooting Star aus Basel kann unbelastet auflaufen.

Hinten sieht es ähnlich aus: mit Gelson und Fabian Frei gibt's auch im Mittelfeld-Back-Up zwei Problemkinder und das einstige Prunkstück, die Abwehr, bröselt in jeder Hinsicht. Lichtsteiners Herz-OP, Rodriguez' Schwächeln, dazu die totale Innenverteidiger-Krise, die sich darin äußert, dass jedes Zucken von Johan Djourou mit Geheul kommentiert wird. Der HSV-Mann gilt aktuell als einziger Stopper von Format: Klose wie Inler aussortiert, Schär, Von Bergen, Senderos auch in wenig beständiger Form... gestern wurde sogar Junior Elvedi in sein Debüt geworfen.

Zudem standen Senderos - Djourou zusammen auf dem Platz, das Arsenal-Traumpaar von vor zehn Jahren, das damals mit seiner jugendlichen Kraft alles wegspielte - heute bröckelt da nur die Patina. Heute schaffte Senderos den Cut für die finalen 23 dann nicht...

So lebt das zwar immer noch gut organisierte, aber von vielen Fehlern durchzogene Schweizer Spiel heute von Shaqiris Vorstößen über rechts und seinen immens gefährlichen Hereingaben. Über links (wo sich zuletzt Steffen festgespielt hatte) kommt deutlich zu wenig. Und mit einem Bein lässt sich noch nicht richtig tanzen.

Die Krise beginnt (und endet) im Kopf

Strategisch hat Perkovic alle Optionen offen: er kann mit einem oder zwei Stürmern antreten, sein Mittelfeld als Kette auffädeln, er kann es defensiv-vorsichtig angehen, aber auch ein fulminantes 4-3-3 hinstellen. Er kann sein Team darauf einstellen das Spiel zu machen, aber auch es zu zerstören und reaktiv zu kontern.

Nach über zehn Jahren in der Weltspitze ist das Schweizer Nationalteam auf einem Level angekommen, das all diese Möglichkeiten in die DNA seiner Auswahlspieler eingepflanzt hat, von der U16 an. Derzeit kriselt es beim Abrufen, derzeit leidet die Nati an gleich einigen Kopf-Problemen.

Viel mehr als ein dritter Platz wird so nicht drinnen sein: vor allem im Bruder-Duell mit Albanien (mit vielen in der Schweiz Geborenen, Aufgewachsenen und Ausgebildeten) werden die aktuellen Grenzen aufgezeigt werden.

Albanien ist zwar individuell deutlich schwächer besetzt und verfügt über deutlich weniger taktische Optionen, hat aber massive Vorteile in punkto mannschaftlicher Harmonie, Geschlossenheit und Selbstvertrauen. Gerade gegen die Schweiz, Zentrum der albanischen und kosovarischen Diaspora, werden die rot-schwarzen Adler alles abrufen - und in der aktuellen Verfassung der Nati sollte das genügen. In Spiel 2 gegen Rumänien wird es dann schon um alles gehen.

Österreich als Gegner ist im Achtelfinale nicht möglich, im Viertelfinale theoretisch denk-, aber derzeit unvorstellbar. Hopp Schwyz, auf einen konzentrierten Neuaufbau nach dem Turnier!

Bestformation: Sommer; Lichtsteiner, Von Bergen/Schär/Elvedi, Djourou, Ricardo Rodríguez; Behrami, Džemaili, Granit Xhaka; Shaqiri, Seferović/Derdiyok, Mehmedi/Embolo.