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Nina Hochrainer

Sweet Indie Music, Kleinode globaler Alltagskultur, nachhaltiges Existieren. And New York.

29. 5. 2016 - 17:33

Das ist keine Cocktailparty

Das Seewiesenfest hat uns wieder mal gezeigt, wie man zu spannender Musik hingebungsvoll feiert.

Einmal im Jahr Ende Mai offeriert sich die Seewiese im ennstalerischen Kleinreifling als Festivalgelände für das kleine, charismatische und grundsympathische Seewiesenfest. Gelegen an einem Seitenfluss der Enns, der trotz seiner gerade mal 14 Grad die Festivalbesucherschaft und Bands nicht davon abschreckt, ein Bad zu nehmen.

Kind in Boot, Menschen am Ufer

Benedikt Novak

Der Sprung ins eiskalte Nass ist seit Beginn des Seewiesenfests vor 25 Jahren zum Ritual geworden – die Reinwaschung vor dem Festivalspaß, wenn man so will. Genauso obligatorisch ist das Gulasch, das über offenem Feuer in einem Riesentopf vor sich hin köchelt, und der Genuss eines Seebabs – ein Kebab mit Käsekrainer.

Alles idyllisch wie immer also, auch dieses Jahr. Die Wiener Electropopper Kids'n'Cats treten zum ersten Mal hier auf und bekommen deswegen beim Geländespaziergang Tipps von erfahrenen Festivalgängern, wie man seine Seewiesenzeit am besten gestaltet. Nach dem Flussbad gleich im Badeanzug oder überhaupt nackt auf die Bühne, lautet die Empfehlung eines besonders distinguierten Seewiesen-Connaisseurs.

Durchgeknallte Tittenparty

Kids'n'Cats interpretieren diesen Vorschlag nach ihrer Façon und treten auf in farbigen Kutten mit aufgeklebten Pappmaché-Brüsten an allen möglichen Stellen. Kurzfristig in Tits'n'Cats umbenannt performen sie diesmal ohne Liveschlagzeuger, aber bestgelaunt Songs aus der neuen EP "Juicy Fruits". Tiergeräusche werden nachgemacht und live geloopt, die Effektmaschine rotiert, Gesang gibt's als englisch-französische Textmelange. Durchgeknallter Titten-Electropop, der wohl um vier Uhr nachts besser platziert wäre als um vier am Nachmittag, wo das Publikum noch etwas zu entspannt ist vom Rumliegen in der Sonne. Tits'n'Cats passen sich daraufhin an und schicken uns mit gesampeltem Meeresrauschen in den Kurzurlaub an die französische Riviera. Très chic.

Während die Jungrocker ConClave aus Steyr das voller werdende Zelt bespielen, bitte ich Trümmer auf einer Bank am Gewässer zu einem Meta-Interview über die Utopien und gesellschaftlichen Gegenentwürfe in ihren Texten. Ich habe Zitate rausgesucht von Autoren, die sich in ihren Werken ebenfalls mit utopischen Konzepten befassen – die jungen Hamburger sollen dazu spontane Assoziationen abgeben. Sänger Paul kann damit allerdings partout nichts anfangen, er ist viel zu geflashed von der geilen Natur hier und möchte lieber über alles andere sprechen. Okay. Was für 'ne blöde Idee auch.

Explosive Tanzparty

Für den Auftritt ist die Konzentration aber wieder zurück und Trümmer entführen uns in ihre Interzone – einem utopischen Ort oder vielmehr Zustand des Rausches, in dem man wundersame Dinge erleben und neue Begegnungen machen kann. Ganz so verdrogt und surreal wie in William S. Burroughs' Interzone aus "Naked Lunch" geht's dann zwar doch nicht zu, aber Sänger Paul beweist frontmännisches Animateurtalent und lockt das Publikum näher an sich ran.

Der Respektabstand zur Bühne muss überwunden werden, um in die Interzone eintreten zu können, und als dies passiert, kündigt er ein Tanzstück an: "Es heißt Nitroglycerin und hoffentlich seid ihr genauso explosiv!" Wir erreichen zumindest Knallkörper-Explosivitätslevel und die Band spielt sich indessen mental raus aus der urbanen Betonhölle und den Trümmern zerfallender Städte, hinein in die pure Natur und den Regen, der gerade außerhalb des Zelts fällt.

Eutotrash-Danceparty

Auf einen heißen Nachmittag ist nun die fürs Seewiesenfest ebenfalls obligatorische abendliche Abkühlung gefolgt. Aber das Zelt dampft und wartet auf den Auftritt von LUH aus London. Kurz davor überhöre ich ein Gespräch zwischen den musikalischen sowie privaten Partnern Ellery und Ebony, in dem sie die Festival-Location als "surreal setting" bezeichnen und konstatieren, die Show nun endlich abwickeln zu wollen. Die Armen sind völlig fertig nach einer Monsterfahrt aus Norddeutschland hinter und noch zwei weiteren Heimreisetagen vor sich. Der Erschöpfungszustand wirkt sich nach anfangs sichtbarem Unwillen aber dann positiv auf das Set aus.

LUH sind roher Electrogrunge und verstörender Gothicpop, klingen verzweifelt, flächig, zerrissen, verletzlich, kakophonisch, leidenschaftlich, unberechenbar. Sanft dargebotene Momente ergehen sich in plötzlichen Wutausbrüchen, Geschrei zwischen maßloser Aggression und uferloser Euphorie, dazu eine unerbärmlich hämmernde Floordrum, gewollte gesangliche Disharmonien zwischen den beiden Lovebirds und dann plötzlich Eutotrash-Danceparty und Stroboskop-Wahnsinn (Wo bitte ist die Nebelmaschine, wenn man sie einmal braucht?). LUH lassen das Publikum genauso erschöpft zurück, wie sie selbst die Bühne zuvor betreten hatten. "Tell me where we go from here", heißt es gegen Ende hin fast versöhnlich. Das wissen wir auch nicht, das müssen wohl Suuns beantworten, die gleich übernehmen werden.

Mittlerweile ist übrigens auch der Headliner des Abends eingetroffen: US-Indierapper Astronautalis. Er ist nicht nur der einstimmig gewählte schönste Mann am Gelände, sondern auch wahnsinnig nett. Ich gratuliere ihm zu den hohen Charts-Einstiegen seines neuen Albums "Cut the body loose" und er freut sich wie ein Schneekönig darüber, "clean Drake" (die cleane Version von Drakes aktueller Platte) überholt zu haben. Für "explicit Drake" muss er noch ein paar Exemplare mehr verkaufen. Aber darum geht es heute nicht.

Postpostpost-Party

Denn jetzt warten alle auf Suuns, inklusive Astronautalis, der sich einen Producer mit den kanadischen Elektronik-Postpunk-Krautrockern teilt und sie endlich einmal live sehen möchte. Vor einer Kulisse von drei Meter hohen, aufblasbaren Buchstaben, die den Bandnamen schreiben und von hinten beleuchtet sind, zeigen uns Suuns eindrucksvoll, was sie mit Tensionrock meinen.

Ein unter Hochspannung stehendes Set. Sich ständige neu aufbauende, hypnotische Melodieabläufe. Pulsierende Drumrhythmen. Wubbernde, wimmernde, verzerrte Gitarren. Sirenenhafte Synths. Konstanter Drive trotz abrupter Tempiwechsel. Im Sprechgesang dargebrachte Befehle. Resist. Resist. Resist. Wie denn bitte? Elektronische Killerbeats, die gekillt werden, bevor man sich dem Tanz ergeben kann. Dann Sound in Slow Motion und zäh-lasziver Gesang. Der ewige Tease auf einen nie kommenden Höhepunkt oder wie Astronautalis neben der Bühne auf und ab hüpfend schreit: "This shit rides so hard!" Am liebsten würde er raufspringen und dazu rappen. Aber gleich ist er selbst dran und ich finde die Fähigkeit, in ganzen Sätzen zu schreiben, wieder.

Keine Cocktailparty

Nach der bombastischen Show der Suuns das kochende Zelt zu rocken, ist keine leichte Aufgabe für den aus Florida stammenden, in Minnesota ansässigen Freestyle-Rapper, der heute als one-man-show mit Laptop performed.

"Eigentlich wollte ich einige traurige Stücke spielen, but fuck that", meint er und: "You can go apeshit on the lights and the strobes and all of this." Trotzdem ist die Luft gerade etwas draußen, und Astronautalis muss kurz mal streng mit uns werden. "If you know the words sing along, if you don't, make up the words. This is not a fucking cocktail party." Tschuldigung.

Astronautalis

Benedikt Novak

Dann ist da auch noch der db-Limiter wegen der Lautstärkevorschriften. "Fuck cops", meint Astronautalis dazu. Das geht immer, dafür gibt's euphorischen Applaus. Dann begibt er sich runter, mitten hinein in die Crowd, die gerade irgendwas zwischen Pogo und Polonaise aufführt. Auf ein erfreutes "Now we're getting somewhere!" folgt eine Handlungsanweisung: Man hat "Ay!" zu schreien und sich das Gehirn rauszutanzen. Das können wir, obwohl Rap und Punk von Astronautalis gerade für tot erklärt wurden. Den Rest der Show rappt er im Matsch in der Menge über soziale Missstände, die heute weit weg erscheinen, aber spätestens morgen wieder verkatert am globalen Frühstückstisch sitzen werden.

Astronautalis schließt auf einer positiven Note - mit einem massiven a capella Freestyle Rap und der Erkenntnis, dass solche kleinen feinen Festivals in seiner Heimat nicht existieren. "I'm super jealous that you got to grow up with this and super lucky that I get to be part of it tonight". Seewiesenfest is not dead.

Voodoo Jürgens

Benedikt Novak

Das Geständnis zum Schluss: Die beiden Auftritte von Voodoo Jürgens im Poetry-Slam-Zelt habe ich nicht gesehen. Aber mir wurde zugetragen, dass er großartig und das Zelt zum Brechen voll war, dass er ein neuer Ambros sei und alle mitgesungen haben beim besten Austropop seit immer und überhaupt. Oiso schauts eich eam demnächst söba aun. Am besten auf keiner Cocktailparty.