Erstellt am: 30. 5. 2016 - 06:00 Uhr
Artist of the Week: Trümmer
Hast du den Hype um das erste Album der Trümmer 2014 geglaubt oder nicht? Endlich wieder mal eine Indierockband mit Texten, denen man zuhören konnte, und die auch sonst alle richtigen Assoziationen auslöste an deine zwei, drei oder zehn Lieblingsbands. Trümmer fahren auf Feuerrädern Richtung Zukunft durch die Nacht. Dringlichkeit besteht immer, aber ist das alles?
Das zweite Album von Trümmer ist jetzt da: "Interzone".
Trümmer
Trümmer fanden sich in Hamburg zusammen, waren beim ersten Album zu dritt und vorgebliche 18, hatten aber doch schon paar Studien abgebrochen. Trümmer jedoch keinesfalls verwechseln mit Isolation Berlin, das war ein ganz anderer Hype, oder war es der gleiche? Egal.
"Interzone" spricht man englisch aus
"Interzone" bringt erst mal mehr vom Selben. Beschleunigung, Utopien, und die absolute Bereitschaft sich und die Gesellschaft und die Liebe neu zu denken und sprudelnd im Rausch aufzulösen.
Und Rausch ist hier keine Metapher.
"Ich kann's nicht glauben, du bist seit Tagen wach.
Wir feiern heute mal zuhaus, du hast was Feines mitgebracht",
singt Paul Pötsch in "Nitroglyzerin":
"Im Badezimmer schwimmen wir im velvet underground.
Von dir lass‘ ich mir gerne meine Zukunft versauen.
Lass' uns unsterblich werden, bevor wir sterben.
Wie Rio Reiser v-von den Scherben."
I'm a loser, baby
Das Draußen- und Neben-sich-Stehen wird ebenfalls wieder leichtfüßig vermerkt und als Waffe verstanden.
"Das Leben ist ein Spiel, ich hab leider verloren.
Ich schick dir Grüße aus der Interzone."
Sänger, Texter und menschlicher Energieriegel Paul: "Das ist ein Song über Außenseitertum. Okay, ich bin halt jetzt nicht in der Mitte der Gesellschaft angekommen, will das auch gar nicht. Hab mir hier meinen Posten außerhalb gebaut mit meiner Band, und wir fliegen jetzt so durchs Universum… und es ist gut so."
Trümmer
Uhuu, ahaa
Neu: Die Lässigkeit gegenüber ungeschriebenen Indierock-Geboten lässt Songs auch mal funky werden. Paul: "Das macht die Musik noch offener und romantischer." Kontrollverlust wurde gesucht und gefunden in den zwei Monaten der Albenentstehung. Und der Zusammenhalt in der Band stimmt:
Producer Helge Hasselberg, der an Gitarre und Moog schon immer dabei war, ist jetzt offiziell Teil der Band und Basser Tammo hat auch ein Lied geschrieben. Pauls Stimme ist sicherer geworden, hat die spitzen kabaretthaften Betonungen verloren und bleibt im Live-Gehüpfe trotzdem deutlich. Bitte zuhören, danke, Paul bedankt sich zwischen den Songs von der Bühne. Ja, und Liebeslieder gibt es auf "Interzone" auch.
Und welche über Sex.
Olympia Press
Lyrics laufen lassen
Die Lyrics sind dem Mann am Mikrophon Paul diesmal zugelaufen:
"Die Musik war relativ schnell fertig, Texte hab ich dann im Nachhinein geschrieben. Ich wollte nicht, so wie beim ersten Mal, alte Tagebücher wälzen und kucken, was ist wichtig, was muss ich euch ganz predigermäßig mitteilen… sondern ich wollte, dass auch die Sprache unkontrollierter ist. Deshalb hab' ich eine Art und Weise zu texten bemüht, die die Surrealisten in den 30er Jahren in Frankreich erfunden haben: écriture automatique. Schreiben ohne nachzudenken. Eine herrliche Methode, die ich wirklich nur jedem empfehlen kann, haha!
Und in drei Nächten habe ich ein ganz langes Textdokument vor mir gehabt und es irgendwann geschafft, dass die Sprache sich selbst überlassen war und sich selbst spricht, und ich selbst habe dann nur zugekuckt. Nach 3 Tagen war es fertig, dann habe ich es ein bisschen liegen gelassen und dann nüchtern redigiert. Und da kam dieser Begriff 'Interzone' die ganze Zeit vor!"
Trotz Albumtitel "Interzone" will Paul den literarischen Schöpfer des Wortes, den Junkieautor William Burroughs, nicht gekannt haben: "Als Interzone als Albumtitel feststand, haben wir gegoogelt und festgestellt, ach, das gab's ja schon mal. Bei 'Naked Lunch' von Burroughs. Ach, der hat auch so Cut-Up-Texte geschrieben. Ach, und da geht's auch um Rausch. Das war total interessant! Als ob wir einen Ort bereist haben, wo andere verrückte Leute auch schon mal unterwegs waren. Und wir machen ihn wieder neu auf."
Buchladen "Trümmer"
Deutscher Taschenbuch Verlag dtv
Wo wir grade bei Buchtipps sind. Onkelhaft hat ein Spex-Redakteur Paul Pötsch bei der ersten Platte die Lektüre von Theodor W. Adornos "Minima Moralia" empfohlen, aber Paul sagte einfach: Klar, bloß der schönen Sprache Adornos wegen sei er damals nach München gezogen.
Auf "Interzone" hat man nicht nur den Adorno lieb, sondern auch den Huysmans verinnerlicht und wendet den Ja-Panik-Trick mit den englischen Worten als zusätzliche Projektionsflächen an:
"Wir sind Dandies im Nebel, wir haben den Swag im Blut.
Wir können nichts außer Nichtstun, aber das können wir gut",
heißt der Kehrreim zu "Dandies im Nebel", eine Jugendbewegung, zu der uns der kesse Paul mit wippenden Stirnfransen von der Bühne am Donaukanaltreiben aus einlädt. Paul: "Es gab ja auch mal diese schöne Figur Bartleby: I would prefer not to."
Insel Taschenbuch Verlag
Nazis auf E
Vor Albernheiten haben die schlauen Trümmer aber auch keine Angst. Vor allem, wenn es ernst wird, braucht man sie wohl am meisten. Alle sind eingeladen zum "Europa Mega Monster Rave", dem rockigsten Stück auf der Platte. "Es gibt wieder Anschläge auf Flüchtlingsheime. Die machen uns zornig, ich werde sehr wütend, wenn ich sowas lese. Ich werde auch wütend, wenn ich Leute höre, die daran beteiligt sind. Wie dumm und stumpf Fremdenhass ist! Und deswegen ist das Lied so zornig und aggressiv. Ich dachte mir, vielleicht wäre das ja mal cool, nach Dresden zu den Pegida-Aufmärschen zu fahren, da einen Freibier-Stand zu eröffnen und Ecstasy ins Bier zu kippen. Nazis auf Ecstasy! Die rennen dann durch die Gegend und sagen, oh mein Gott, ich fühle so viel Liebe, ich hab mich die ganze Zeit selbst gehasst und deshalb hab ich Ausländer gehasst!"
Einige Geistesblitze hatte auch der ruhige Bassist mit der tiefen Stimme und den Madonnenaugen, Tammo Kasper. Sein Song auf "Interzone" heißt "Gin Tonic und Wodka Soda"
"Gin Tonic und Wodka Soda haben uns um den Verstand gebracht.
Du siehst mich an und sagst,
wir werden uns nicht wiedersehen.",
Trümmer Live
- 5.8.16: LUSTENAU (Szene Open Air)
- 18.10.16: SALZBURG (Rockhouse)
- 20.10.16: INNSBRUCK (Weekender Club)
- 22.10.16: VÖCKLABRUCK (Offenes Kulturhaus)
- 24.10.16: WIEN (Fluc)
und Paul ist stolz auf Tammo: "Das spricht dafür, wie wir als Band funktionieren. Es gibt nicht einen Frontmann – der dann vielleicht klassischerweise ich gewesen wäre –, der sagt, so Jungs, hier ist mein Song, ihr spielt ihn jetzt mal gefälligst so. Sondern es ist anders: Es ist ein Kollektiv, und da bringt jeder rein, was er gerade so am Start hat."
Na dann, bis dann
Es ist schön, Trümmer gemeinsam auf der Bühne zu sehen.
Live ist Paul jedenfalls die Illustration seiner Zeile "Nenn mich einfach Speedy Gonzales" und im Oktober kommen Trümmer wieder auf Tour zu uns.
"Lasst mich in Ruhe
mit eurer Ruhe."